Zukunft oder Schule

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Zukunft oder Schule

Von Christina Marchand, 27.09.2019

Unzählige Aktionen sollen die Erwachsenen endlich wachrütteln, so dass sie ihre Verantwortung wahrnehmen und nicht die Kinder um ihre Zukunft kämpfen müssen.

Konzentriert sitzen 20 Jugendliche um den Tisch. Im Raum ist es heiss und die Sitzung geht schon seit einer Stunde. Trotzdem murrt keiner, es wird nicht getuschelt und keiner wirft Papierkügelchen nach vorn. Keine Ermahnung ist nötig, dass alle zuhören sollen, denn diesen Jugendlichen ist klar, dass es ums Ganze geht, nämlich um ihre Zukunft.

Punkt um Punkt wird die Agenda abgearbeitet. Wo steht der Küchenbereich, wo die Sanität, wer hat den Schlüssel zum Depot und wer kann schon Auto fahren um Material zu transportieren? Ab und zu gib es kurze Diskussionen, aber auch diese laufen ruhig und freundlich ab.

Klimastrassenfest

Es sollte ein Strassenfest geben, bunt und laut, aber mit einem kleinen Unterschied – nämlich ohne Bewilligung. Dafür wollten die Jugendlichen die Strasse mit Radfahrern und vorbereiteten Blockaden sperren und dann sehr schnell die Infrastruktur aufbauen. Sie hofften, dass danach die Bevölkerung auf das Gelände kommt, um mitzufeiern.

Es geht ihnen dabei auch um die Rückeroberung des öffentlichen Raums, der in den Städten von den Autos dominiert wird. Aber vor allem wollen sie damit ein Zeichen für den Klimaschutz setzen. Denn obwohl die Gefahren einer dramatischen Klimaveränderung immer klarer werden, finden die Jugendlichen in der Öffentlichkeit und besonders bei den Entscheidungsträgern noch zu wenig Gehör.

Noch nie dagewesene Veränderung nötig

Sie fordern, wie von der Wissenschaft bestätigt, dass die CO₂-Emissionen in Rekordzeit auf Null gedrückt werden und danach sogar CO₂ wieder aus der Luft geholt werden muss. Sogar sehr konservative Klimaforscher sprechen von einer noch nie dagewesenen Veränderung, die nötig ist, um bei 2 Grad Erwärmung zu stoppen

Es gibt viele Wissenschaftler, die sogar fordern, dass der momentane Wert von über 400 ppm auf maximal 350 ppm abgesenkt werden muss, um relativ sicher die Klimakatastrophe zu vermeiden und bei 1.5° C zu bleiben.

Während diese Jugendlichen die Tatsachen sehr gut verstehen und auch sehen, dass diese Ziele nur mit drastischen Massnahmen erreicht werden können, diskutieren Politiker und Wirtschaftselite jahrelang um Details von Lösungen, mit denen das gesteckte 2-Grad-Ziel niemals erreicht werden kann, obwohl sogar 1.5 Grad völkerrechtlich bindend von den Regierungen in Paris angestrebt werden.

Selbst die Anerkennung des Klima-Notstands von vielen Parlamenten hat nicht dazu geführt, dass auch entsprechend einem Notstand gehandelt wird. So ist es kein Wunder, dass sich die Jugendlichen das Recht nehmen, ja, sich sogar verpflichtet fühlen, zu protestieren. Damit sind sie auch im Einklang mit den Menschenrechten, die die Bewahrung von Würde, Natur und Zukunft fordern.

Am Rande der Legalität

Deshalb sind viele Jugendliche bereit, grosse Teile ihrer Zeit und Sicherheit aufs Spiel zu setzen und sogar illegale Aktionen zu planen. Denn bei diesen Jugendlichen handelt es sich nicht um irgendwelche Aussenseiter oder faule Schulschwänzer. Es sind mehrheitlich die Mitfühlenden, Engagierten, Fleissigen und Schlauen, die verstehen, wie dramatisch die Situation ist.

Sie können es einfach nicht akzeptieren, dass die Erwachsenen ganze Völker dem Untergang weihen, nur um weiter mit dem SUV zur Arbeit und mit dem Billigflieger in den Urlaub zu kommen. Obwohl das Klimathema nun häufiger in den Medien ist und auch die Politik endlich in Bewegung gerät, haben die meisten Menschen noch nicht verstanden, wie dringend der Handlungsbedarf ist.

Spagat zwischen Schule, Familie und Zukunft

Gleichzeitig sind diese Jugendlichen aber auch mit Anforderungen von Schule, Eltern und Kollegen konfrontiert. Selbst Eltern, die die Klimabewegung gutheissen, machen sich Sorgen, wenn plötzlich das eigene Kind im Klimaschutz aktiv wird. Vor allem, wenn ihm plötzlich die Schule sinnlos erscheint, angesichts der globalen Probleme.

Einige Jugendliche haben aber auch Selbstzweifel, einerseits, ob der eigene Einsatz überhaupt etwas bringt, andererseits, ob es wirklich so schlimm kommen wird, wenn nichts getan wird. Zu schön leuchtet der blaue Schweizer Himmel oder lockt die Limmat mit sauberem Wasser. Die Klimakatastrophe scheint weit weg, wenn die Kollegen sich für die Badi verabreden oder den nächsten Urlaubsflug planen. Ganz plötzlich ist man in der alten Clique der Aussenseiter.

Grabenkämpfe in den Familien

In manchen Familien dagegen werden die Eltern auch aktiv und unterstützen die Kinder, so ist zum Beispiel die Bewegung „Eltern fürs Klima“ entstanden. In anderen müssen die Jugendlichen ihre Aktivität vor den Eltern verheimlichen, weil es sonst zum Klimastress auch noch Stress mit den Eltern gibt.

Ein Betroffener erzählt: „Oft gibt es Streit um die Zugtickets zu den Aktionen oder wann man abends nach Hause kommt. Meine Eltern verstehen einfach nicht, wie wichtig ich das finde.“ Aber viele Aktive erzählen auch von besonders schönen Erfahrungen in der neuen Gruppe. Das gemeinsame Engagement schweisst zusammen und es ist bereichernd, Gleichgesinnte zu treffen. Man fühlt sich gemeinsam stark und kann ungeahnte Kräfte mobilisieren.

Andere Aktive berichten: „Wir lernen mehr fürs Leben als in der Schule. Wir organisieren Veranstaltungen, schreiben Texte, geben Interviews, gestalten Flyer und Webseiten, bereiten Meetings vor und arbeiten Zeitpläne aus. Das ist doch eine perfekte Vorbereitung für viele Berufe.“

Generationenkampf geht weiter

Nach einer kurzen Pause geht die Sitzung um 21 Uhr weiter, es stehen noch einige Punkte auf der Agenda. Und anschliessend wollen einige Aktive noch mal vor Ort gehen, um den geplanten Ablauf zu überprüfen.

Am nächsten Morgen dann die schlimme Nachricht. In der Nacht ist ein Jugendlicher beim Plakatieren verhaftet worden und Handys mit vertraulichen Nachrichten wurden beschlagnahmt. Ein Schock für viele. Sie entscheiden, die Strassenblockade kurzfristig abzublasen. Alle sind enttäuscht, zwei Wochen Planung umsonst, aber man will nichts riskieren. Zurück bleibt ein Unverständnis für ein System, das einfach entsprechend den Gesetzen handelt und nicht beachtet, dass hier eine ganze Generation um ihre Zukunft kämpft.

Weitere Infos, wie man die Jugendlichen unterstützen kann:

Klimastreik.ch
Klimademo.ch (Samstag 28.9.2019 grosse Demo in Bern ab 13:30)
Klimablatt.ch (Eine Zeitung zum Thema Klimawandel von den Jugendlichen gestaltet)

Der Beitrag der Schweiz zur Eindämmung des Klimawandels wird sich in jedem Falle im Mikrobereich bewegen. Wenn wir unsere Souveränität an die EU verlieren, ist sie mit Sicherheit zu 100% weg. Deshalb ist der Kampf um die Souveränität der Schweiz im Wahlkampf 2019 wichtiger als die Streitereien um Klimaschutzmassnahmen.

Sehr gute Zusammenfassung der Probleme vielen Jugendlichen. Dazu kommt noch die Unverständnis der Schulen. Zum Beispiel wurden Geschichte(!)-Tests für globalen Streik von Freitag den 27.09 gegeben und gewarnt dass der Nachholtest schwieriger "scheinen" (sein) könnte weil Fragen andere seien. Resultat: Anstatt 75% Streitbeteiligung der Klasse, 10%!
In einer anderen Klasse wurde das Klimablatt.ch vor den Streiks in der Klasse gelesen und analysiert und die Lehrerin ging mit der Klasse streiken.
Zwei verschiedene Lehrerinen in der gleichen Stadt!

Danke für den Kommentar. Gerade die zunehmende Polizeirepression gegen die Bewegung sollte in viel mehr Artikeln und Kommentaren erwähnt werden.

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