Osttirol – Arsch der Welt und Nabel der Verzweiflung

Landschaft in Osttirol (c) Felix Kozubek

In diesen Tagen ist Osttirol wieder einmal Gesprächsthema. Allerdings nicht Gesprächsthema Nummer 1, denn das ist der seit jeher stiefmütterlich behandelte Bezirk wohl noch nie gewesen. Es geht um das leidige Thema der Anbindung des „Außenbezirkes“ an Nordtirol. Im Moment gibt es zwei Möglichkeiten, um mit öffentlichen Verkehrsmitteln von der Bezirkshauptstadt Lienz in die Landeshauptstadt Innsbruck zu gelangen:

  1. Mit dem Zug über das Pustertal und Südtirol. Dies ist seit Jahrzehnten nur zu zwei Randzeiten am Tag, entweder ganz in der Früh oder am Abend möglich. Die Fahrzeit ist in den letzten Jahren noch einmal gestiegen und liegt bei mittlerweile geschlagenen 3 ½ Stunden. Zum Vergleich: Mit dem Auto fährt man 2 ½ bis 3 Stunden, je nach Verkehrslage.
  2. Mit einer, vor ein paar Jahren neu geschaffenen, Bus-Zug-Verbindung über den Felbertauern und Kitzbühel, kann man in ungefähr 3 Stunden nach Innsbruck gelangen. Diese Verbindung wurde in den letzten Jahren forciert und fährt bis zu sechs Mal am Tag. Preislich ist sie allerdings teurer als die Zugverbindung, da die ÖBB Ermäßigungskarten im Bus der ÖBB-Postbus GmbH nicht gültig sind.

Vor ein paar Monaten war die Brennerbahnstrecke für mehrere Wochen gesperrt und man musste zwangsläufig auf den Busbetrieb umstellen. Damals wurde der dort verkehrende schnelle und komfortable Doppeldecker-Bus in einer Art und Weise angepriesen, dass man schon vermutet hatte, die Zugverbindung würde bald gekappt werden.

Seit gestern ist es nun offiziell. Der Zug wird mit der Fahrplanumstellung der ÖBB im Dezember Geschichte sein und Lienz damit zu einer der wenigen Bezirkshauptstädte, die nur mit einer Busverbindung an die Landeshauptstadt angeschlossen sind.

Vom Land Tirol und dem Verkehrsverbund Tirol wird wieder einmal kräftig die Werbetrommel für dieses neue Modell gerührt, um den Osttirolern diese Umstellung schmackhaft machen zu können. Aber dieses Mal werden sich die Osttiroler nicht so leicht einlullen lassen, denn das Fass war schon bis zum Anschlag gefüllt und dieser Tropfen bringt es jetzt zum Überlaufen. Dabei werden neben wichtigen strukturellen Problemen im Bezirk vor allem auch einige offensichtliche in der Planung der neuen Anbindung einfach übersehen:

  1. Die schnellere Fahrzeit des neuen Busses wird als ein Qualitätskriterium an erster Stelle genannt. Dabei fällt es mit einem Bus im Vergleich zum Zug nochmal wesentlich schwerer, eine pünktliche Ankunft zu garantieren. So sehr man über die ÖBB jammern mag, kann ich aus eigener 6-jähriger Erfahrung mit dem Pendeln zwischen Innsbruck und Lienz sagen, dass der Zug nicht einmal Verspätung hatte. Bei meinen Autofahrten durch das Pustertal und Südtirol hatte ich hingegen des Öfteren mit Staus und Zeitverzögerungen zu kämpfen. Die 3 Stunden Fahrzeit werden in den seltensten Fällen auch zu garantieren sein, so viel ist sicher.
  2. Am Ende des Tages regiert natürlich wieder einmal das liebe Geld. Klar muss eine gewisse Wirtschaftlichkeit gegeben sein und man kann das Geld nicht einfach so zum Fenster rauswerfen, um es ein paar Osttirolern recht zu machen. Trotzdem oder gerade deswegen, gehen mir die wirtschaftlichen Kalküle, die hinter dieser Aktion stecken, schlichtweg zu weit. Zum einen werden bald die verstärkten Taktfrequenzen zwischen Lienz und Franzensfeste kommen, damit man möglichst viele Pendler hin und her transportieren kann. Zwischen Franzensfeste und Innsbruck bestehen ja schon hohe Taktfrequenzen. Dabei denkt man jedoch nicht an die Osttiroler Pendler, sondern an die italienischen Gäste, die seit Jahren mit ihren „Kamikaze“-Radausflügen unseren Bezirk überfluten. Für Osttiroler Privatpersonen ist eine solche schnelle Taktung mit Umstiegen in Südtirol nicht wirtschaftlich, da man bei einer solchen Fahrt wesentlich mehr berappen muss als nur die ÖBB Zuggebühren. Die Vergünstigung durch die Vorteilscard kann man sich dann sowohl bei der Umsteigevariante über Franzensfeste als auch bei der „grandios-schnellen“ Busvariante in die Haare schmieren. Hier ist ganz klar die Tourismuslobby dahinter, die im Radtourismus den Heilsbringer des Bezirkes sieht und sich nicht einmal ansatzweise mit den damit einhergehenden Problemen beschäftigt, mit denen die ansässige Bevölkerung schon seit Jahren zu kämpfen hat. Unterm Strich kann der Radtourismus nicht so ein tolles Geschäft sein, wie immer gesagt wird, denn bei der Anzahl an „Touristen“, die jährlich nach Lienz radeln, müsste der Bezirk schon längst ein blühendes Beispiel für wirtschaftlichen Aufschwung sein. Realiter ist es allerdings eher ein armseliges Beispiel für Abhängigkeit, Abwanderung und Arbeitslosigkeit.
  3. Es bleibt fraglich, ob die neue Busverbindung über Südtirol auch genützt werden wird. Zumal es ja schon eine recht gute Kombinationsverbindung aus Bahn und Bus über die Felbertauernstraße und Kitzbühel gibt. Vermutlich wird diese Verbindung einen Aufschwung erfahren, während die Busverbindung über Südtirol nur von jenen Menschen genutzt wird, die auch im Pustertal ansässig sind. Ein Faktum, das in der Planung unbedingt berücksichtigt werden müsste. Denn die 3-stündige Fahrzeit alleine ist noch nicht Anreiz genug für die Menschen, sich die mühsame Strecke durch das Pustertal anzutun.
  4. Ein weiteres Problem, das sich für viele Pendler ergibt, ist, dass man in einem Bus so gut wie nichts mehr nebenher machen kann. Lernen, Arbeiten am Laptop oder ein Buch lesen wird unmöglich. Damit verkürzt sich die Fahrzeit vielleicht um eine halbe Stunde, unter dem Strich verliert man aber 3 Stunden, die man gut nutzen konnte, um wichtige Arbeiten zu erledigen.

Abgesehen von der sehr vagen Behauptung der Zeitersparnis, findet man kaum Gutes an der neuen Busverbindung und es drängt sich einmal mehr der Eindruck auf, dass es der Landesregierung egal ist, was mit dem lästigen Bezirk Osttirol passiert. Dass die Arbeitslosigkeit, vor allem unter Jugendlichen, seit Jahren steigt und viele junge Menschen dem Bezirk den Rücken kehren, um in den umliegenden Bezirken oder weiter weg Fuß zu fassen, interessiert die Verantwortlichen der Politik anscheinend wenig. Statt einem ordentlichen Plan, die Wirtschaft und den Tourismus Osttirols wirklich anzukurbeln, passiert seit Jahren das Gegenteil. Man findet immer noch eine Möglichkeit, den schon bis aufs Mark geschwächten Bezirk weiter munter in die Tonne zu treten. Nicht nur am aktuellen Beispiel der Bahnverbindung zeigt sich das. Der Bezirk liegt brach, die Regionalpolitiker strampeln sich ab und tun was sie können, aber geraten zunehmend an ihre Leistungsgrenzen. Osttirol muss endlich als Teil Tirols verstanden, akzeptiert und eingebunden werden. Gerade von der neuen Landesregierung mit Grüner Beteiligung sollte man sich hinsichtlich der Regionalentwicklung und der Verkehrskonzepte einiges erwarten können. Es ist bereits 5 nach 12 und die Leute in Osttirol sind es leid, immer nur mit Notlösungen vertröstet zu werden. Aus Nordtiroler Sicht mag Osttirol zwar den Arsch der Welt darstellen, was allerdings nicht bedeutet, dass man es auch endgültig zum Nabel der Verzweiflung verkommen lassen muss.