Kunst in Wien
Zur Aktualität des Wiener Aktionismus

Irrationalität
Der Vorwurf der Irrationalität ist den Performances so gut wie inhärent. Dass Rationalität nicht zwingend vernünftig ist macht VALIE EXPORT deutlich wenn sie sagt:
„ Der Mensch […] nimmt die Herausforderung an, und in einer etwas krankhaften Willenssteigerung drückt er seinen Kopf immer wieder an die Drähte. Im geschlossenen strukturierten Raum der Gesellschaft, die alle Energie des Menschen durch schmerzhafte Barrieren parzelliert und reglementiert, sodass der Mensch […] ein gezähmtes Tier wird, das den Erfordernissen eines Planes gehorcht, unter dem es zusammenbricht und den es nicht kennt, vermag nur eine den Schmerz, das Zentrum unserer Gesellschaft, sinnlos […] überwindende Willensäußerung den Zustand freier Willensleistung (freu strömender Energien) zu intendieren.“
Während ihrer Performance, die den Namen „Hyperbulie“ (1973), der medizinische Fachausdruck für eine krankhafte Willenssteigerung, trug, betritt sie nackt einen Korridor aus elektrischen Drähten, die sie beim Durchschreiten mit Absicht immer wieder berührt und ihr somit starke Schmerzen zugefügt werden.
In Hinblick auf (den Vietnam-)krieg und der dort vorgegebenen Rationalität und Legitimierung, scheint ein Vorwurf der Irrationalität nicht mehr haltbar. Es ist eine Frage des Bezugsystems, in dem eine Handlung als rational bzw. irrational erscheint. Mit ihrer vermeintlich irrationalen Performance entlarvt sie vielmehr die vermeintliche Rationalität des Systems. Eine Umkehrung findet statt.
1965 bringt Günter Brus jene Dilemmata des Lebens und des Krieges mit seiner vielleicht bekanntesten und letzten Performance „Zerreißprobe“ (1970) zum Ausdruck. Brus fesselt dabei seine Knöchel und zerrt seine Beine auseinander und fügt sich dabei mit einer Rasierklinge einen Schnitt in den Kopf, woraufhin er zu bluten beginnt (Es kommen noch einige weitere Elemente bei der Performance hinzu). Zerrissenheit und Eingezwängtheit werden mit Hilfe seines eigenen Körpers anschaulich und wird in radikaler Weise dargestellt.
Das Konstruktive am Destruktiven
Mit dem Begriff der Destruktion bzw. Zerstörung, der überwiegend negativ konnotiert ist, flammen Vorstellungen wie das Einbrechen von zuvor Aufgebautem und Erschaffenem auf. Es versteht sich als Moment des Unangenehmen, der Störung, wenn man so will. Etwas Erschaffenes soll als solches auch Bestand, soll bleiben wie es ist, beständig. Ein Gebäude, das erschaffen worden ist, einen bestimmten Zweck zu erfüllen, soll zukünftig Bestand haben. Wofür wäre es sonst errichtet worden? Das gesellschaftliche System soll Bestand haben. Wofür wäre es sonst geschaffen worden? Da es ist, soll es auch bestehen und das ist auch gut so. So lautet der konservative Imperativ! Dieser lässt sich benennen, und zwar als naturalistischer Fehlschluss. Vom Sein auf ein Sollen zu schließen. Wie leichtfertig und legitimatorisch ethische Begründung ins unbegründet Unethische fließt.
Oder ist vielleicht das einzig Beständige der Wandel?
Dem Destruktiven ist es wesensmäßig, die Dinge aufzubrechen, freizulegen, in die Luft zu sprengen, zu durchdringen, zu zerstören. Brutalität ist Methode, Offenlegung Zweck. Ohne der Brutalität könnte jene Freiwerdung nicht stattfinden. Es muss unangenehm sein – so wie Erkenntnis und Wahrheit nichts Angenehmes darstellen. Sie zerstören die zuvor geordneten Dinge, die mühsamst, wenn auch dogmatisch-brutal zusammengeflickt worden sind. Die Destruktion kennt kein Pardon, gehorcht keiner zuvor geltenden Logik, blickt dennoch hin statt weg, wie dies das wohlwollende Ordnungsprinzip tut, dessen Maxime für Blindheit plädiert. Und gerade das genaue Hinsehen, das Konfrontation sucht, ohne dem Bequemen zu verfallen, stellt den Sprengsatz dar, der Altes zerstört und Neues erschafft, der das Verborgene aushebelt, um es noch besser verstehen zu können.
Das, das ist das Konstruktive am Destruktiven.
Die Ausstellung "Mein Körper ist das Ereignis - Wiener Aktionismus & internationale Performance" ist noch bis 23. August immumok zu sehen.