Kleingeist und Größenwahn

Hurra, die Medien sind tot!

Es ist Donnerstag. Allerhöchste Zeit für die wöchentliche Kolumne "Kleingeist und Größenwahn". Markus Stegmayr folgt dieses Mal der These, dass die Medien tot seien. Er meint, dass man sich über diesen Tod nicht wirklich freuen könne. Oder etwa doch?

Die Anzeichen häufen sich. Die Medien sind tot. Nach langem und kläglichem Dahinsiechen braucht sie jetzt niemand mehr. Niemand weint ihnen auch nur eine Träne nach. Warum auch. Endlich kann jeder seine Botschaften im Netz verbreiten. Jeder kann schreiben. Jeder kann seine Meinung kundtun. Wer am lautesten schreit, gewinnt. Wer am meisten zuspitzt, kann sich seiner Leser gewiss sein. Wer am lautesten in die Social-Media-Kanäle hinein plärrt, bekommt auch eine ebenso laute und deutliche Antwort von der empörten Masse.

Das Zeitalter der Subtilität und der leisen Zwischentöne, falls es dieses jemals wirklich gegeben hat, ist damit endgültig vorbei. Sinnlichen Themen wurde die Sinnlichkeit nachhaltig und dauerhaft ausgetrieben. Erotik ist zu Pornographie geworden. Das Verborgene und Geheimnisvolle wird grell ausgeleuchtet, nicht nur in diesen Filmchen. Dieser mangelnde Respekt und diese fehlende Distanz können als Zeitdiagnose schlechthin herhalten. Leise wird laut, subtil wird explizit, differenziert und komplex wird zu evident und deutlich.

Kein Wunder somit, dass die Medien eines langsamen und qualvollen Todes gestorben sind.

Wer Medien dabei lediglich als Print-Medien interpretiert, liegt falsch. Der Begriff Medium muss viel allgemeiner, von seinem ursprünglichen Wortsinn her gefasst werden. Das lateinische Wort „Medium“ bedeutet Mitte oder Mittelpunkt. Mit esoterischen Diskursen lässt sich das „Medium“ außerdem als Mittler und Vermittler zu einer anderen, vermuteten Welt im Jenseits denken. Das „Medium“ ist auch ein stofflicher Vermittler. So ist Luft der vermittelnde Stoff um Schall zu übertragen.

Auf den Punkt gebracht lässt sich daher davon ausgehen, dass das „Medium“ sowohl als die Mitte als auch als eine Vermittlung betrachtet werden kann. Ein Medium, egal ob in Printform oder im Online-Bereich, hat die Aufgabe Informationen zu bündeln, deren Mitte und deren Essenz zu finden und aufzubereiten. Der für Medien arbeitende Schreibende hat eine Art „Gatekeeper-Funktion“. Er selektiert, unterscheidet, ordnet, beurteilt, bewertet.

Gibt es diese Rolle nicht mehr, dann ist der Damm gebrochen und Information gelangt, mehr oder weniger, ungefiltert an den Rezipienten. An sich ein guter Schritt, doch eine Überforderung, eine Überschwemmung mit Informationen, die kein Wissen mehr bilden und erst recht nicht mehr zu Bildung im klassischen Sinne führen. Das immer stärker werdende rauschen der Informationen lässt immer weniger Zeit, sich tiefer mit Themen zu beschäftigen. Dieses „Rauschen“ informiert, doch lässt ratlos und ohne Verständnis zurück.

Wir können somit den Tod der Medien prognostizieren. Wir können ihn sogar bejubeln. Ähnlich wie Nietzsche den Tod Gottes ausgerufen hat, sich aber bewusst war, dass dieser Tod und die damit entstehende Leere auch zu immensen Krisen führen wird. Wenn das Zentrum, die Essenz und das Eigentliche fehlen, wird vieles erst möglich und denkbar. Aber das ist nur eine Seite des gesamten Phänomens.

Sterben die Medien dann bedeutet das zwar eine Potenzierung der Möglichkeiten für den Einzelnen. Wir müssen uns aber auch bewusst sein, dass eine immense Entwertung des einzelnen Wortes, der Gedanken und Meinungen damit einhergeht. Wenn jeder eine Meinung hat, wird die differenzierte und zum Nachdenken anstoßende Meinung nivelliert und ist Teil eines riesigen Meinungs-Stromes.

Es ist mehr als fraglich, ob die hier beschriebene Subtilität und die leisen Zwischentöne in diesem riesigen, ungefilterten Informationsstrom überleben. Dann hätten wir uns zu früh über den Tod der Medien gefreut. Wir hätten falsch vermutet, dass dieser Tod eine Emanzipation für den Einzelnen bedeutet. Wir wären dann nur Teil eines immensen, unüberschaubaren Diskurs-Geflechtes, indem alle Meinungen gleich viel Wert haben und letztlich wertlos werden. Es wäre ein Zeitalter des Gebrülls, in dem wir letzten Endes alle unsere Stimme verlieren würden.

Hier geht es zu den vorherigen Folgen der Kolumne "Kleingeist und Größenwahn"