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Agro-Industrie und Politik zerstören das kulturelle Erbe der Alpen

Ich bin mir bewusst, dass ich als Überbringer der schlechten Botschaft mit ordentlichem Gegenwind der Alpenfeuilleton-Leser_innen zu rechnen habe. Besonders dann, wenn Fakten die Fiktion der heilen alpinen Welt ersetzen. Damit muss ich rechnen. Aber auch hier gilt: weil die Zusammenhänge bekannt sind, gibt es später keine Ausreden mehr nach dem Muster: ,hab‘ ich nicht gewusst‘.
Immer mehr Bergbauern werfen den Krempel hin. In den Tälern sollten wir uns jetzt schon warm anziehen
Die Agro-Industrie ist drauf und dran, gemeinsam mit der Chemielobby den Endsieg zu erzielen. Es geht nun auch noch den letzten kleinen und mittleren bäuerlichen Betrieben an den Kragen. Sie werden derzeit vor unser aller Augen fertig gemacht. Und damit wird auch ein kulturelles Erbe ausgelöscht, das unsere Bergbäuerinnen und Bergbauern im Laufe mehrerer Jahrhunderte erarbeitet hatten.
Wem es entgangen ist: der derzeitige Milchpreis ist für unsere Tiroler Bergbauern absolut ruinös. Wenn der Preis für 1 kg Milch unter 30 Cent sinkt, können die Bäuerinnen und Bauern nicht einmal mehr die laufenden Kosten decken. Aber nicht nur der Milchpreis ist im Keller, auch die Fleischpreise sind ein Hohn. Für viele Bergbetriebe gibt es nur einen Ausweg: zuerst – wenn möglich – die Verkleinerung des Hofes samt Flucht in den Nebenerwerb. Und als ultimative Lösung das Zusperren des Betriebes.
Horrende Kosten
Wer wird in Zukunft die sogenannte ,Kulturlandschaft‘ in den Alpen pflegen, wenn immer mehr Bäuerinnen und Bauern das Handtuch werfen? Sind doch die satten, grünen Blumenwiesen quasi das Aushängeschild des Tiroler, ja des alpinen Sommertourismus. Denn eines ist sicher: die Agro-Industrie wird ganz sicher nicht als Retter auftreten. Nicht nur hinter vorgehaltener Hand schwadronieren neoliberale Dummköpfe darüber, dass sich die Bewirtschaftung von Bergmähdern ,halt einfach nicht rentiert‘.
Wer wird dann aber die Almen bewirtschaften, wenn es immer weniger Bergbäuerinnen und Bergbauern gibt, die ihre Tiere im Sommer ,alpen‘? Naja, dann verbuschen die Almen innerhalb kürzester Zeit und werden zu unansehnlichen Leichen kapitalistisch-neoliberaler Agrarpolitik.
Eines muss uns allen bewusst sein: Die Folgekosten des „Bergbauern-Sterbens“ werden ein Horror. Zuerst bleiben die Touristen aus, wenn immer mehr Bergmähder und Almen aufgelassen werden und verbuschen. Abstoßende Beispiele dafür sind vor allem aus den französischen und italienischen Alpen bekannt, wo der Tourismus in ganzen Tälern bereits völlig zusammengebrochen und die lokale Bevölkerung abgewandert ist.
Und wer nun auf einen Aufschrei der Touristiker wartet, wartet vergebens. Obwohl der Tourismus der eigentliche Haupt-Profiteur der harten Arbeit von Bergbäuerinnen und Bergbauern ist. Ohne auch nur einen Euro zu investieren, standen ihm jahrzehntelang eine einzigartige Kulturlandschaft mit blumenübersähten Bergmähdern und sattgrünen Almen zur Verfügung. Selbst jetzt, wo Globalisierung und neoliberale Agro-Industrie unsere Bäuerinnen und Bauern in die Knie zwingt ist noch immer keine Rede davon, diese Arbeit in irgendeiner Form direkt zu honorieren. Zu allem Überfluss ist es in vielen Tiroler Tälern ein uralter Brauch, dass Tourismusbetriebe von den orts- oder talansässigen bäuerlichen Betrieben ganz bestimmt KEINE Produkte kaufen. Eine Ignoranz, die ins Auge gehen wird.
Alle paar Jahre ein ,Jahrhunderthochwasser“?
Ich muss kein Hellseher sein um vorherzusagen, was passiert, wenn die Bergbäuerinnen und Bergbauern die Hoftüren für immer schließen. Dann werden Jahrhunderthochwässer plötzlich alle paar Jahre durch die Täler wüten. Sie werden von Murenabgängen begleitet werden, die eine jahrhundertealte Kulturlandschaft unter sich begraben. Denn die Ursache-Wirkungskausalität zwischen der Pflege von Almen und Bergmähdern und katastrophalen Ereignissen ist ausreichend erforscht.
Gras als „Schmierseife“
Wenn die einst von Bergbäuerinnen und Bergbauern gepflegten Bergmähder nicht mehr gemäht werden, wächst das Gras quasi unkontrolliert und legt sich im Winter durch den Schneedruck um. Das unter der Schneedecke verrottende Gras entfaltet die Wirkung von Schmierseife und ist Ausgangspunkt von Lawinen. Selbst in Gebieten, die bislang als wenig lawinengefährlich taxiert worden sind häufen sich die Abgänge großer, sogenannter Gleitschnee-Lawinen. vgl. https://lawine.tirol.gv.at/fileadmin/_migrated/content_uploads/Gleitschneelawinen_06.PDF
Und Lawinen entwurzeln teils angefrorene Pflanzen, Grasbüschel und kleine Bäume. Die Folge sind die sogenannten ,Plaiken‘, Verletzungen der meist sehr dünnen und vor allem sensiblen Erdkruste in den Hochlagen der Alpen. Und solche Plaiken fördern dann die Entstehung von Muren.
Plaiken als Murenauslöser
In Tirol sind in den vergangenen Jahren immer wieder gewaltige Zerstörungen im Gefolge von massiven Regenschauern und Schlagregen entstanden. Die unterlassene Pflege von Bergmähdern oder Almen hat zwei Folgewirkungen:
- der Graswuchs auf Bergmähdern wird so dicht, dass das Wasser von Schlagregen erst gar nicht
mehr versickert und oberflächlich über das Gras hinweg in meist steilem Gelände abrinnt.
- Damit können große Wassermengen innerhalb kürzester Zeit in die Plaiken – Risse und Verletzungen der Humusschicht – eindringen und die Erdkrume unterspülen. Muren gehen ab und verlegen meist Bäche und Flüsse. Die aufgestauten Wassermassen brechen zu allem Übel dann meist schwallwarig durch diese Muren durch und verursachen Verheerungen, wie sie bislang kaum bekannt waren.
Berglandwirtschaft
Es wäre nun eigentlich logisch, politische Maßnahmen zu setzen, die ein derartiges Szenarium minimieren. Das Gegenteil ist in Tirol und Österreich der Fall. Zusätzlich zur verheerenden Preissituation werden die Förderungen für die Bergbäuerinnen und Bergbauern laufend gekürzt. Die Höhe der Bewirtschaftungsprämien von Bergmähdern haben bereits klassischen Almosencharakter: Zuwenig zum Leben und zuviel zum Sterben. Viele Bergbäuerinnen und Bergbauern klammern sich noch an ihren Betrieb, den sie von ihren Vorfahren übernommen haben. Sie fühlen sich – noch – verantwortlich für ein kulturelles Erbe, das einzigartig ist.
Weil die Regierenden versagen müssen wir aktiv werden
So, wie die österreichische Regierung bei der Flüchtlingsfrage versagt hat, so versagt sie bei der Katastrophen-Vorsorge in den Alpen. Ein Ritual wiederholt sich nämlich jährlich: jenes, die Förderungen für bäuerliche Kleinbetriebe zu kürzen. Ganz im Gegenteil zur Agro-Industrie und der mit ihr unter einer Decke steckenden Chemie- und Pharmalobby, die sich wachsender Fördermillionen erfreut.
Es nützt auch nichts, dagegen zu protestieren, Mails zu schreiben oder auf den Sozialen Medien zu toben. Wir müssen als Zivilgesellschaft zur Tat schreiten und Fakten setzen.
Die „Schule der Alm“ ist eine solche Initiative, die sich mit vollem Einsatz der Pflege, Erhaltung und Rekultivierung von Bergmähdern und Almgebieten widmet. Sie will Menschen, die bereit sind, unser kulturelles Erbe zu erhalten die Möglichkeit bieten, die wichtigsten Arbeiten auf Bergmahd und Alm zu erlernen. Um dann in Zukunft als Volontäre den Bergbäuerinnen und Bergbauern zu helfen, das gemeinsame kulturelle Erbe zu erhalten. Und diese Arbeit wollen wir in Eigenregie organisieren und finanzieren.
In meinem nächsten Blogeintrag stelle ich die „Schule der Alm“ näher vor.
So findet ihr die Schule der Alm im Netz:
facebook: https://www.facebook.com/Die-Schule-der-Alm-im-Valsertal-591902444293923/?fref=ts
Twitter: https://twitter.com/SchuleDerAlm?lang=de
Vielen lieben Dank für diesen Text und all die Gedanken, die dahinter stehen, mit denen ich/wir uns voll identifizieren. All die Petitionen, all die verbalen Übergriffe, die nicht zu vermeidende Polemik bei so Vielen, die kämpfen, aus Bitterkeit seit Jahrzenten von Engagement am Aufgeben sind, ich kann Alle verstehen. Aber, wir bei Slow Food in München und der Genusssgemeinschaft Städter und Bauern haben bei Allem was wir tun, immer als Erstes den Fokus darauf, wie machen wirs anders. Das Gute und Positive, was es noch gibt, ohne “Betriebsblindheit” zu leben. Daher finden wir dieses Projekt sehr wertvoll. Viel Erfolg, wir werden es gerne weiter verbreiten. Herzliche Grüße Marlene