Landbote: Trend
Urban Gardening hier, Bergbauernsterben da?

Wisst ihr eigentlich, was derzeit europaweit vor sich geht in der Landwirtschaft? Nein? Na dann ein kurzes Briefing.
Milch kostet nur ein Drittel des Preises von Mineralwasser
In Schleswig-Holstein wird derzeit Milch aus Bayern um 20 Cent pro Liter verhökert. In Deutschland echauffieren sich dieselben Bauernvertreter, die jahrzehntelang davon gelabert haben, die Bäuerinnen und Bauern hätten sich eben dem Markt unterzuordnen. On y soit qui mal y pense. Ebenfalls in freiem Fall: die Preise für Butter und Käse. In Österreich ist die Lage vielleicht nicht ganz so schlimm. Aber schlimm genug.
Denn hierzulande reiben wir uns verwundert die Augen. Die Alpenrepublik also doch eine Insel der Seligen? Keineswegs. Im Gegenteil. Während in Deutschland Wogen des Protestes hochgehen herrscht bei uns lediglich Friedhofsruhe. Weshalb in Österreich wenig von den Problemen zu hören ist? Weil die wichtigsten Blätter in diesem Land Raiffeisen gehören. Deren liebster Wahlspruch: Hände falten, Goschen halten.
Und die ÖVP-Landwirtschaftspolitiker („bei unserer Ehr’) werden sich hüten, etwas zu sagen. Sie kämen ja in Teufels Küche. Die Auswirkungen der frei fallenden Preise werden also fein säuberlich unter den Teppich gekehrt. Wie lange noch ist allerdings die Frage. Denn im Tiroler Unterland bezahlt derzeit die Molkereiindustrie etwa 29 Cent pro Liter ab Hof. Ein Almosen, das unsere Bergbauernbetriebe killt. Mehr noch: eine Schande.
Bislang völlig unbekannt ist ein Schreiben der Milchindustrie an Tiroler Bauern, das erst kürzlich ergangen ist. Obwohl wir offenbar in wahren Milchseen schwimmen – die Preise sinken weit unter die der Mineralwässer – werden den direkt vermarktenden Bauern Strafzahlungen angedroht, wenn sie permanent weniger Milch abliefern wollen. Wär ja nur logisch, die gute Milch der Milchindustrie nicht zu Schleuderpreisen in den Rachen zu werfen. Lest bitte selber, meines Erachtens ein unfassbarer Skandal.
Urban gardening müsste eigentlich zu einer neuen Solidarität mit unseren Bergbäuerinnen und Bergbauern führen. Oder täusche ich mich?
Was diese Situation mit urban gardening zu tun hat? Eigentlich sehr viel. Wenn urbane Menschen beginnen, selbst Gemüse zu ziehen, Tomaten und allerlei Kräuter zu pflanzen denke ich, dass sie das aus Überzeugung tun. „Die neue Lust am Garten“ ändert die Sicht der Dinge möchte man hoffen. Denn erst dann, wenn man weiß, wie zeitaufwändig es ist, Lebensmittel zu erzeugen beginnt man vielleicht nachzudenken. Ob es denn wirklich so toll ist, Butter um 50 Cent, Milch pro Liter um 20 Cent oder Kunstkäse um 5 Euro zu kaufen ungeachtet der Tatsache, dass den Bäuerinnen und Bauern bei solchen Preisen nix übrig bleibt.
Oder wenn man als urban gardener erleben muss, wie Schnecken an regnerischen Tagen das mühsam gezogene Gemüse auf Butz und Stingl vertilgen. Und urbane Pflanzer dann vor der Entscheidung stehen, die chemische Keule zu schwingen oder eben nicht um den Ertrag zu retten. Damit soll keineswegs der Agro-Chemie das Wort geredet werden. Aber wer hat das als Gärtner nicht schon erlebt?
Vielleicht wächst dann auch unser Respekt vor den Bäuerinnen und Bauern, die tagaus tagein vor genau diesen Problemen stehen. Ja, noch etwas könnte aus dem urban gardening erwachsen: die Erkenntnis, in Zukunft nur Lebensmittel zu kaufen, die nachweislich aus der Region stammen. Oder besser noch direkt von Bauern. Schön wäre es auch, wenn die sogenannten Bio-Produkte von Gierkonzernen wie Hofer, Billa oder MPreis boykottiert würden. Denn Bio ist für diese Leute nur ein Lockmittel, damit sie all den anderen Schmarren profitmaximierend verhökern können.
So hoffe ich inständig, es möge ein ‚Abfallprodukt‘ des urban gardening sein, die Wertschätzung der bergbäuerlichen Betriebe zu fördern.
Nützliche Links zu Bauern-Konsumenten-Organisationen
- Die 1. Innsbrucker Food-Coop Fruchtgenuss
- Bio-Bauernmarkt in der Bäckerei in Innsbruck: Wir für Bio
- BIO-Laden: Christoph Hofers Bio-Laden
Titelbild: Fruchtgenuss- Verkaufsraum in der Bäckerei; (c) Fruchtgenuss.