Montagskommentar

Von christlichen Weihnachtsliedern, Blockflöten und der Rettung des Abendlandes

Es ist wieder Montag. Ein möglicher Tag des Grauens, da die Arbeitswoche zur Gänze vor einem liegt. Im besten Fall ist der Montag aber ein Tag der Freude, zumal an diesem Tag der allwöchentliche "Montagskommentar" erscheint und dazu aufruft, die Woche mit locker-lässigem Nachdenken über gegenwärtige Kultur-Phänomene zu beginnen.

Wir sollten wieder mehr auf Konzerte gehen. Denn wenn wir das täten merkten wir schnell, dass das mit der Musik und der darin mit transportieren Kultur eine gar verzwickte und höchst komplexe Thematik ist. Je höher die Musikalität und die Virtuosität, desto mehr wird mit Traditionen jongliert. Desto weniger eignet sich die dann produzierte und vorgetragen Musik dazu, um ganze Staaten und deren als homogen behauptete Kultur zu repräsentieren.

Ein besonderes Spektakel in dieser Sache war das gestrige Konzert von Hamilton de Holanda. Wer bei dem Konzert des brasilianischen Mandolinisten lernen wollte, wie “echte” und “authentische” brasilianische Musik klingt, wurde eines Besseren belehrt. Der Ethno-Look, sonst ja durchaus passend für Konzerte mit sogenannter “Weltmusik”, musste an diesem Abend zuhause im Schrank bleiben. Der Samba war anwesend, aber tanzen ließ sich dazu nur schwer.

Stets mischten sich auch frei improvisierte Aspekte in seine Auslegungen und auch die ganze harmonische Komplexität des zeitgenössischen Jazz hatte mehr als nur ein Wörtchen mitzureden. Wichtiger als der Samba war wohl der Choro. Diese in Brasilien durchaus noch bekannte und hochgehaltene Spielart kennt man in Europa kaum. Sie ist komplexer und vielschichtiger als der Samba.

Nach dem Konzert taumelte man beglückt hinaus. Das begeisterte Publikum hantierte mit Begriffen und Zuschreibungen. Häufig fiel die Formulierung “unfassbare Virtuosität”. Hätte man noch länger hingehört wäre wohl von “Grenzenlosigkeit” die Rede gewesen. Und wie wichtig das sei. Gerade in den heutigen Zeiten. Kulturen bekämpfen sich schließlich nicht, sie fließen ineinander über. Solche Musik sei Ausdruck dieser angenommenen Tatsache.

Anderswo wurde am selben Tag ganz anders über Kultur geredet. Merkel, einst noch Apologetin der offenen Grenzen, forderte dazu auf, die Blockflöte zu Weihnachten wieder öfter auszupacken und sich an christlichen Weihnachtsliedern zu versuchen. Das klingt logisch. Während in anderen Kulturen die Oud oder die Sitar gespielt wird, hat sich die Blockflöte im deutschsprachigen Raum als das beste Instrument herausgestellt, um die verloren gehende Einheit der deutschsprachigen Kultur und Werte wiederherzustellen.

Womöglich wollte Merkel witzig sein. Das gelingt ihr, wie man weiß, in den allerwenigsten Fällen. Doch auch diese salopp dahingesagten Sätze verraten einiges über ihr Kulturverständnis. Verständnis kann es für sie nur geben, wenn beide sich begegnenden Kulturen sattelfest in Bezug auf die eigenen Wurzeln und Traditionen sind. Dann erst lässt sich darüber reden, was den jeweils Anderen ausmacht. Erst dann lässt sich, in einer Art Multi-Kulti-Utopie, eine neue Gesellschaft denken, die aus vielen verschiedenen Mosaiksteinchen besteht, die zusammen ein wunderbar Ganzes ergeben.

Ein durchaus schöner und vor allem beruhigender Gedanke. Alles wird gut. Wenn wir uns nur wieder auf unsere Wurzeln und unsere Herkunft besinnen und dies alles mit einer gehörigen Portion Toleranz garnieren.  Merkel würde wohl jubeln, wenn sie das eine Lied und die eine Spielart der Musik fände, die dazu in der Lage wäre, Deutschland und dessen Traditionen zu repräsentieren. Zu Weihnachten wurde man dann, multi-kulturell und mit tiefstem Verständnis dem Anderen gegenüber, gemeinsam musizieren. Christliche Weihnachtslieder würden auf Lieder aus anderen Kulturkreisen folgen. Wir würden viel von der je anderen Kultur lernen und zutiefst bereichert unser Zusammenleben nach einer solchen Musik-Session mit gänzlich anderen Augen sehen.

Auch wunderbar. Aber so einfach ist es nicht. Das zeigt vor allem “grenzenlose” und absolut weltgewandte Musik wie die Musik von Hamilton de Holanda. Begegnung funktioniert dort anders. Brasilianische Musik trifft dort nicht einfach nur auf andere Einflüsse und tritt mit diesen in einen tolerant-kreativen Dialog. Was oft als Zwiegespräch beginnt, entwickelt sich zu einem Stimmen-Gewirr, in dem die Frage nach Ursprung und Einfluss nicht mehr eindeutig zu beantworten ist. Die “nicht-brasilianischen” Einflüsse verändern die Tradition. Und die Tradition ist hilfreich dabei, um denn Jazz und andere Spielarten aus anderen Perspektiven zu beleuchten.

Was aber bedeutet das? Vor allem, dass Kultur veränderlich und nicht homogen sein kann. Wir sollten also auch davon Abstand halten, unsere christlichen Weihnachtslieder und unsere Blockflöten wieder auszupacken und sie in den Dienst des Kultur-Erhaltes zu stellen.

Eigentlich haben wir es, verschärft durch die derzeitige Migrationsbewegung, mit einem gänzlich anderen Phänomen zu tun. Indem viele vermeintlich “fremden” Menschen aus uns wenig bekannten Kulturkreisen in “unser” Land und “unseren” Kulturraum kommen, stellt sich die Frage nach dem “Eigenen” und der Identität mit einer neuen Schärfe. Und offenbar haben wir auf diese Frage nur sehr patscherte und, wie im Falle von Angela Merkel, peinliche und lächerliche Antworten.

Mit Blockflöten werden wir das “Abendland” wohl kaum retten. Das müssen wir auch gar nicht. Wir müssen nicht DEN einen Kulturraum mit zweifelhaften Methoden, Liedern und Instrumenten retten. Wir sollten uns vielmehr einige “Verfahren” ansehen, die sich in einem aufgeklärten Europa im Umgang mit kulturellen Phänomenen etabliert haben. Eine kritisch und neu-interpretierte Aufklärung ist da nicht die schlechteste Basis.

Zweifellos tragen nämlich einige derzeitige Tendenzen anti-aufklärerische und irrationale Züge. Die Migrationsbewegung unkommentiert und unkontrolliert hinzunehmen ist eine solche Tendenz. Im Eifer dieses “Gefechts” werden wir gar nicht mehr dazu kommen uns zu fragen, auf welcher Kultur-Basis wir uns begegnen sollen. Womöglich werden wir uns, überfordert wie wir sind, wieder auf unsere “alten und überlieferten” Werte zurückziehen. Unter Umständen kommen auch Bevölkerungsgruppen ins Land, denen Kulturvielfalt wenig bis nichts bedeutet. Wenn auf beiden Seiten der Rückzug auf das “Eigene” an der Tagesordnung steht, werden sich die Kulturen wohl, obwohl wir das schon längst überwunden geglaubt hatten, bald wirklich bekämpfen. Das gilt es zu verhindern. Und die Tatsache der nicht-repräsentativen, heterogenen  und sich wandelnden Kultur muss vehement kommuniziert und verankert werden.

Titelbild: (c) Susan G., Flickr.com