Montagskommentar

Diesen Wahnsinn erlebe ich als Vater in der Weihnachtszeit in Innsbruck

Es ist Montag. Kein Grund zur Verzweiflung. An diesem Tag startet nicht nur wieder eine neue Arbeitswoche, sondern es wird auch locker-lässig über den Zeitgeist und Gegenwarts-Phänomene nachgedacht. Dieses Mal geht es um ein Thema, das uns derzeit alle betrifft: Weihnachten und den damit einhergehende Wahnsinn.

Am Sonntag kommen wir nach Innsbruck zurück. Es ist gegen 17:00 und damit schon fast dunkel. Wie die Lemminge drängen und drängeln sich Menschen auf die Christkindl-Märkte in der Altstadt und am Marktplatz. Ich hoffe, dass mich meine Kinder nichts fragen. Nichts wissen wollen zu diesem absurden Szenario. Ansonsten käme ich in argen Erklärungsnotstand.

Tag für Tag versuchen wir unseren Kindern vorzuleben, dass Erwachsene halbwegs vernunftbegabte, rationale und den Überblick wahrende Individuen sind. Die Art und Weise wie sich erwachsene Menschen in völlig überfüllte Weihnachtsmärkte zwängen, sich dort bereitwillig anrempeln lassen um mittelmäßigen bis schlechten Glühwein zu trinken lässt diese durch unterschiedlichste Handlungen untermauerte Behauptung nicht nur ins Wanken geraten, sondern augenblicklich kollabieren. Wir schweigen. Unsere Kinder auch. Als ob sie wüssten. Und wir wissen es auch.

Tage zuvor. Unsere Kinder schauen einen eigentlich harmlosen Weihnachts-Cartoon mit dem in Tirol größtenteils verschmähten und sogar vereinsmäßig bekämpften Weihnachtsmann in der Titel- und Hauptrolle. Wir trauen unseren Kindern dennoch die Unterscheidung von Fiktion und Realität zu. Der Weihnachtsmann ist eine von Coca-Cola imaginierte Fiktion, das Christkind hingegen eine in Tirol veranktere und somit gute, schöne und wahre Realität.

Eines aber haben Weihnachtsman und Christkind gemeinsam: Sie sind Wunsch-Erfüllungsmaschinen. Im hier genannten Cartoon bekommt der Weihnachtsmann zahlreiche Wunschzettel von Kindern zugesandt. Selbstverständlich wird alles daran gesetzt auch noch den abwegigsten Wusch zu erfüllen. Klarerweise hat der Weihnachtsmann eine Maschine vor Ort, die auch noch das dämlichste Spielzeug ruck-zuck herstellen kann. Und natürlich werden Kinder mit Hilfe eines allwissenden Computers durchleuchtet, ob sie dieses auch wirklich verdient haben.

Tage später. Unsere Kinder und zweifellos viele andere Kinder schreiben einen Brief ans Christkind. Wunderschön gestaltet, bestens ausformuliert. In der Nacht vergisst das Christkind in Elterngestalt, gestresst wie es zur Zeit nunmal ist, den Brief abzuholen. Dabei hat es bereits des Abends brav online daran gearbeitet, dass das Bild der Wunsch-Erfüllungsmaschine nicht allzu schwer angeknackst wird. Es hilft nichts. Nicht die eigentliche Handlung zählt, sondern das Ritual. Blicke von enttäuschten Kindern sind die Folge. Implizite und explizite Fragen, ob man denn nicht brav genug gewesen sei machen die Runde.

Selbst der größte Weihnachtsmuffel kann in Innsbruck nicht völlig vor dem Weihnachts-Irrsin fliehen. Zumal am Marktplatz seit Jahren der immergleiche Gaukler Station macht, Geschichten erzählt und Kasperl-Theater spielt. Während Kinder angetan bis begeistert den Erzählungen folgen, schweift mein Blick immer wieder gen Mariahilf, sprich Richtung bunte Häuserzeile, welche bestens bekannt aus Film, Fernsehen und vor allem Postkarten ist. Die Schönheit ist augenscheinlich. Ebenso aber der Vorrang der Inszenierung. Die Beleuchtung und Inszenierung dieser Häuserzeile will Schönheit nicht mit subtilen Mitteln erreichen, sondern mit der Brechstange.

Augenblicklich öffnen sich all meine Sinne. Der Geruchs-Mischmasch irritiert mich. Fettgeruch von Kiacheln, pentranter Glühwein-Gestank. Jetzt wäre ich lieber zuhause und würde mir unter meinen Kopfhörern auf meinem bequemen Stuhl besinnliche und gute Weihnachtsmusik anhören. Denn es gibt sie. Nur nicht hier an diesen Plätzen des Massenauflaufes, bei denen Nivellierung des Urteilsvermögens und Geschmackssinnes an der Tagesordung stehen.

Zugleich möchte ich unsere Kinder beschützen. Ich möchte mich zwar zurückziehen, ihnen aber den Wert dieses Rückzuges für sie selbst bewusst und greifbar machen. Ich möchte ihnen den Wert des widerständigen Subjekts klar machen. Des Individuums, das sich auf sich selbst besinnt. Das nicht dort hinläuft und teilnimmt, wie alle hinlaufen und teilnehmen. Das in der Überforderung und Zumüllung mit Gerüchen, Klängen und Inszenierungs- und Überrumpelungs-Strategien den Überblick behält und notfalls das Weite sucht, bevor er seine kritische Rationalität verliert.

Es ist womöglich ein Kampf gegen Windmühlen. Und absolute Abschottung ist keine Option. Wunsch-Maschinen und Verdummungs-Apparate lauern überall. In den bereits beschriebenen Weihnachts-Serien. In religiös konnotierten und in Tirol gut verwurzelten Traditionen, die mit viel mit Schuld und Angst zu tun haben.

Ein utopisches Ziel lässt sich daraus ableiten: Ein angstfreies Wünschen in einem von Zwangs-Konsum befreiten Raum. In solchen Räumen und Orten würde sich Kinder keine Sorgen mehr machen, ob sie auch brav genug für die von ihnen herbeigesehnten Geschenke waren. Die Wünsche wären außerdem zweifellos andere und weniger geprägt von Dingen, die man, so wird suggeriert, unbedingt besitzen muss um glücklicher zu sein.

So schnell wir das nicht eintreffen. Kinder sehen das Gegenteil davon tagtäglich vorgelebt. Wir strömen dahin, wo alle hinströmen. Trinken, konsumieren und kaufen das, was alle kaufen. Hören und mögen das, was die breite Masse mag. Entsteht so kritisches Bewusstsein? Wohl kaum. Aber die Hoffnung darf man nicht aufgeben. Man muss versuchweise immer wieder vorleben, wie es auch anders ginge. Oder notfalls in guten Wirtshäusern in Innsbruck überwintern, bis alles von selbst besser wird.

Titelbild: (c) gaugusch, flickr.com