Interview Josef Hader

„Es war sehr schön, wieder ein Anfänger zu sein”

Schon wieder ein Interview zur "Wilden Maus"? Ja! Aber wir haben uns wirklich Zeit genommen und wollten es ganz genau wissen. Tina Mott traf Josef Hader in Innsbruck, fragte nach und führte ein Werkstattgespräch mit ihm.

AFEU: Wann haben Sie sich für diesen Filmtitel entschieden?

Hader: Der entstand erst relativ spät, als ich durch den Prater spaziert bin und mich fragte, wo der Protagonist denn hingehen würde. Da dachte ich noch nicht daran, dass das eine Metapher für das Leben sein könnte oder dass Wilde Maus ein toller Titel wäre. Ich stellte mir in dem Moment einfach nur vor: „So eine Kamerafahrt in einer Achterbahn, die kann was.” Mir gefiel an dem Namen auch, dass er mich an Das wilde Schaf erinnerte, das ist ein französischer Film aus den Siebzigerjahren mit Romy Schneider. Der Titel hat für mich so etwas Unbefangenes. Er hat nichts Schweres, aber auch nicht dieses: „Ich bin lustig.” Er ist wie ein Fragezeichen. Ein Film für Erwachsene, der Wilde Maus heisst, da denkt man sich: „Was soll das sein?”

AFEU: Dachten Sie während des Schreibens schon an bestimmte Schauspieler?

Hader: Manche hat man schon im Kopf, andere muss man finden. Ich habe mir viel Zeit genommen, um zu überlegen, zu suchen. Habe ganz vorsichtig Kolleginnen und Kollegen eingeladen, das Drehbuch zu lesen, sich mit mir zusammenzusetzen und über den Text zu reden. Ganz zum Schluss fragt man dann, ob man mitfilmen darf, wenn der andere liest oder durch das Lesen automatisch ins Spielen kommt. Ich habe mir schon vorher überlegt, dass ich kein klassisches Casting machen möchte. Da kann ich nur testen, wie ein Schauspieler unter grossem Druck möglichst die Nerven bewahrt. Das ist aber nicht die Situation, die beim Drehen herrscht. Dann geht es darum, dass ein Schauspieler mit sehr viel Vertrauen vom Regisseur – der ihm hoffentlich eine gute Atmosphäre schenkt – ganz weit kommt. Daher habe ich versucht, das Casting so zu gestalten, dass ich merke, wie wir zusammenarbeiten und wie Ergebnisse umgesetzt werden, die wir im Gespräch miteinander gefunden haben. Auf diese Weise konnte ich mein Schauspielteam recht zügig zusammenstellen. Wir sind dann nach Bukarest geflogen, um eine junge Rumänin für die Rolle der Nicoletta zu finden. Ich war richtig verzweifelt, weil es so viele gute Schauspielerinnen gab und ich nicht wusste, wen ich nehmen sollte. Auf so ein Übermass an Talent war ich nicht vorbereitet. Ich konnte die Entscheidung auch gar nicht dort treffen. Wir haben drei Darstellerinnen nach Wien eingeladen, denn ich wollte sehen, wie sie mit Georg Friedrich zusammenarbeiten und wie die Chemie zwischen ihnen passt. Es fiel mir dann auch schrecklich schwer, den anderen abzusagen, da alle auf ihre Art ganz wunderbar waren.

Ich habe sehr viel investiert und der Film ist ganz ordentlich geworden für einen ersten. Besser kann ich es halt zur Zeit nicht.

AFEU: Wie entwickelte sich der Prozess, ein Team um Sie herum aufzubauen?

Hader: Das geschah auch alles eher entspannt, lange vor den Dreharbeiten. Ich spielte weniger Kabarett und nahm mir Zeit dafür. Den Filmstab suchte ich gemeinsam mit dem Produzenten aus. Viele Mitwirkende kannte ich schon, manche noch nicht. Bei der Kamera wollte ich mutig sein. Ich dachte mir, dass ich keinen Film machen möchte, der in seiner Optik an ein Projekt erinnert, an dem ich beteiligt gewesen war. Ich wollte nicht die Ästhetik, die Wolfgang Murnberger für die Brenner-Filme verwendete, und ich wollte nicht die Ästhetik, die in gewissen – sehr guten – österreichischen Arthouse-Filmen gezeigt wird: Dieses kühle, schöne Bild, die unbewegte Kamera. Es ging mir darum, eine eigene, zur Geschichte passende Bildsprache zu entwickeln. Im Internet bin ich dann auf Andreas Thalhammer und Xiaosu Han gestossen, die auf keiner Filmschule waren, seit vielen Jahren auf der ganzen Welt Low-Budget-Filme drehen und immer zu zweit arbeiten. Ich fand es so grossartig, dass jeder Film anders ausschaute und eine andere Ästhetik hatte. Das sprach dafür, dass sie mit den einzelnen Regisseuren etwas erarbeiteten und nicht einen Stil hatten, den sie jedem Projekt aufdrückten. Wir haben uns dann getroffen und mir war nach dem ersten Gespräch klar: „Wir machen das zusammen.”

Durch die sehr junge Kamera ergab sich ein sehr junges Licht, das hängt eng zusammen. In Hjalti Bager-Jonathansson fand ich einen grossartigen, auch sehr jungen Tonmeister. Der Ton ist mir sehr wichtig. Wahrscheinlich, weil ich fast mehr Talent für den Ton habe als für das Bild. Das Bild muss ich mir durch das Schreiben, das Vorstellen und das Auseinandersetzen mit den beiden Kameramännern erobern. Beim Ton bin ich daheim, im Tonstudio war ich vollkommen selig. Und auch beim Schnitt geht es um Rhythmus. Man arbeitet ja mit Bildern, aber wie man diese Bilder in einen Rhythmus bringt, das ist eigentlich wieder eine Art Musik.

Am Ende ergab sich ein interessantes Team aus einigen alten Hasen, so richtigen Veteranen, die uns immer gesagt haben, was alles nicht geht, und aus jungen Menschen, die dabeigesessen sind, sehr höflich zugehört haben und dann meinten: „Vielleicht geht es ja doch.” Das war eine sehr schöne und fruchtbare Mischung. Auch dadurch, weil der Produzent die Kunst, das Team zusammenzuhalten, wahnsinnig gut beherrschte. Er hat immer alle an einen Tisch geholt und man hat sich ausgesprochen. Sogar in Situationen mitten im Dreh, wenn vielleicht jemand angefressen war. Es ist ganz normal, dass das passiert, wenn so viele Menschen so eng zusammenarbeiten. Er hat ganz genau geschaut, ob im Team alles passt, dadurch schuf er grossartige Bedingungen.

Wilde Maus Titel klein © Wega Film

Bild: (c) Wega Film

AFEU: Gab es Momente, in denen Sie das Gefühl hatten: Jetzt entgleitet mir das Projekt!

Der Drehbeginn kam immer näher. Und ich hatte sehr grosse Angst davor und schlief ganz schlecht. Doch nach drei Drehtagen, die sich wie drei Wochen anfühlten, wusste ich, dass ich es irgendwie schaffen werde. Dann schläft man auch wieder besser.

Man weiß natürlich noch nicht, ob der Film gut wird. Das kann man vorher nie sagen. Es ist wie das Zusammensetzen von einem Puzzle, das man einmal gezeichnet hat. Erst im Schnitt entscheidet sich, wie gut der Film wird, da kann man auch Dinge weglassen oder neu gewichten. Ich wusste, das Material ist so beschaffen, dass man einen ordentlichen Film daraus machen kann. Mir war während der Dreharbeiten ja nichts ganz Furchtbares passiert, dass zum Beispiel eine Szene total schiefgegangen wäre. Der Rohschnitt dauert dann 15o Minuten, das ist natürlich viel zu lang, aber man sieht, dass gutes Material da ist. Obwohl ich fast drei Jahre an dem Drehbuch geschrieben habe und am Set immer nur das Beste wollte, ist der Rohschnitt wieder so etwas wie eine Stoffsammlung. Ich konnte es nicht glauben, als mir meine Kollegen erzählten, das sei so, wie wenn man den Film nochmals neu aufsetze. Aber es ist wirklich so.

AFEU: Das dramatische Finale ereignet sich in den tief verschneiten Bergen. Hat der Schnee eine besondere Bedeutung für Ihren Film?

Hader: Ehrlich gesagt ist das eine Idee, die ich schon sehr lange hatte und bisher nie in ein Drehbuch reinschreiben konnte. Irgendwie ist der Schnee im Film etwas ganz Tolles. Zum ersten Mal ist mir das aufgefallen, als ich vor vielen Jahren Schiessen Sie auf den Pianisten von Truffaut gesehen habe. Die Handlung beginnt in Paris und nach den Szenen in der Grossstadt, mit den vielen Menschen und dem Verkehrslärm, fahren die Protagonisten aufs Land. Dort fällt Schnee. Und plötzlich ist der Film vollkommen verzaubert. Er wird ganz weiss und ganz still. Und in dieser Lautlosigkeit passiert das Furchtbare.

Diese Szenen blieben mir unglaublich eindrucksvoll in Erinnerung. Seit dieser Zeit habe ich im Kopf, was der Schnee in einem Film kann. Irgendwann entstand dann die Idee von jemandem aus der Stadt, der aufs Land fährt und diese Art von Selbstmordversuch macht. Das Komische an der Szene ist, dass ein Städter in den Wald fährt und glaubt, er sei wirklich einsam dort. Die Leute vom Land wissen aber, dass man nirgendwo einsam ist. Es kommt einfach immer wer vorbei: ein Jäger, ein Holzarbeiter oder eben ein Traktorfahrer. Ich fand diesen typischen Irrtum des Stadtmenschen sehr komisch. Da sitzt er auf dieser Lichtung, und plötzlich kommt ein Traktor. Ich habe mir vorgestellt, wie er durch den Schnee haxelt, und diese Ruhe, in der die Bauern hinter ihm her gehen und sich denken: „Das ist ein Wahnsinniger, den müssen wir einfangen.” Ich wäre nie auf die Idee gekommen, auf diese Geschichte zu verzichten, weil sie unangenehm oder schwer zu drehen war. In dem Moment, in dem der Zuschauer meint, jetzt geht gar nichts mehr, macht diese Sequenz ein Tor auf, ganz weit.

Ich wollte einen Film machen über Menschen und alles, was sich reibt zwischen Menschen.

AFEU: Wie erging es Ihnen bei den Dreharbeiten unter so schwierigen Bedingungen?

Hader: Ich wollte für diese Szenen unbedingt frischen Schnee, aber dadurch entstand ein Problem mit dem Auto. Wir mussten es ja schon vorher dort hinauf stellen, damit es dann auch zugeschneit wird, wenn der Schnee fällt. Darüber gab es aber unterschiedliche Ansichten im Team. Der Ausstatter meinte: „Das geht nicht.” Dort oben wehe der Wind und dann sei das Auto nur zur Hälfte mir Schnee bedeckt oder nur auf einer Seite. Und Kunstschnee in Kombination mit natürlichem Schnee bemerke man sofort, er wolle sich nicht seinen Ruf zerstören. Da haben wir gesagt: „Na gut, dann stellen wir uns halt dort rauf und drehen mit dem, was da ist.” Daraufhin haben uns die alten Hasen angeschaut, als ob wir verrückt wären. Der Produzent und der Ausstatter waren gewohnt, an sehr kontrollierten Sets zu arbeiten. Nur so sind diese grossartigen Filme von Michael Haneke möglich. Für sie war es problematisch, dass die Bedingungen im Schnee nicht vorhersehbar und beherrschbar waren. Man konnte die Szenen auch nicht fünfmal wiederholen, sondern sie mussten beim ersten Dreh sitzen. Da boten sie mir an, das Auto künstlich zu vereisen. Aber das wollte ich nicht. Ich wollte den Schnee.

Nach zwei Tagen kam dann ein Anruf: „Josef, grosse Krise! Wir haben viel zu viel Niederschlag, das Auto versinkt im Schnee.” Das fand ich super. Ich musste dann einfach noch das Drehbuch anpassen, ans Wetter. Aber das hat gut funktioniert.

AFEU: Nun ist’s vollbracht. Spüren Sie jetzt eher Erleichterung oder Leere?

Hader: Im Moment bin ich noch das Zirkuspferd, das herumrennt und Werbung macht. Aber ich glaube nicht, dass danach die Leere kommt. Ich empfinde es eher als ein Abgeben. Dieses Mal erscheint es mir besonders einfach. Ich habe sehr viel investiert und der Film ist ganz ordentlich geworden für einen ersten. Besser kann ich es halt zur Zeit nicht. Ich muss mir keinen Vorwurf machen. Bis zum Schluss habe ich alles überlegt und probiert. Und darum kann ich sehr gut damit leben, was es geworden ist. Jetzt lasse ich das Projekt aus, ganz leicht.

Durch die Arbeit an der Wilden Maus konnte ich meinen Lebensrhythmus verändern und dafür bin ich sehr dankbar. Ich entschied mich dafür, weniger herumzureisen und Kabarett zu spielen. Ich konzentrierte mich auf das Schreiben. Auch in Zukunft möchte ich diesen Takt beibehalten und Luft zum Nachdenken haben. Ich freue mich auf eine Zeit im Frühjahr, wenn ich nichts tun werde und einfach schaue, was passiert. Ob ich dann depressiv bin und mich mit einer Schnapsflasche in den Schnee setze oder ob ich total entspannt sein werde. Ich würde sehr gerne einen weiteren Film verwirklichen. Da ist es aber wie bei den Kabarettprogrammen. Das nächste Projekt sollte nicht vergleichbar sein mit diesem, sondern ganz anders und in einer gewissen Weise auch überraschend. Das ist der Sport in der Kunst. Und nur so kann man sich weiterentwickeln. Es war sehr schön, wieder ein Anfänger zu sein.


Zum Film


Österreich 2017

Produktion: Wega Film; Veit Heiduschka, Michael Katz

Regie & Drehbuch: Josef Hader

Kamera: Andreas Thalhammer, Xiaosu Han

Ton: Hjalti Bager-Jonathansson

Schnitt: Ulrike Kofler, Monika Willi, Christoph Brunner

DarstellerInnen: Josef Hader, Pia Hierzegger, Georg Friedrich, Jörg Hartmann, Denis Moschitto, u.a.

 

Kinostart: 17. Februar 2017

Josef Hader präsentiert seinen Film am 18. Februar in Innsbruck:

2o:oo im Leokino (leider ausverkauft!)

2o:15 im Cineplexx


Trailer und Impressionen


Josef Hader in für ihn ungewohnter Rolle (Bild: (c) Petro Domenigg, filmstills.at)

Josef Hader in für ihn ungewohnter Rolle (Bild: (c) Petro Domenigg, filmstills.at)

Bild: (c) Petro Domenigg, filmstills.at

Bild: (c) Petro Domenigg, filmstills.at

Titelbild: (c) Wega Film