Shitstorm im Social Media. Die Macht der Masse – Wie es euch gefällt
Was gefällt und was nicht, ist Geschmackssache. Jeder hat seine eigene Meinung. Das ist auch gut so. Und doch hat sich etwas verändert. Machte man früher schlechte Erfahrungen oder fand etwas nicht so toll, erzählte man vielleicht Freunden und Verwandten davon. Heute sind wir alle vernetzt. Schmeckt die Pizza nicht oder ist das Urlaubshotel dreckig, kann ich diese Information ruckzuck verbreiten. Oft ist das hilfreich. Schwierig wird es jedoch, wenn sich eine Gruppe von Leuten zusammenschließt und sich gegen etwas verbündet.
Shitstorm. Das ist die Bezeichnung für genau dieses Phänomen. Webseiten werden mit einem Schwall negativer Kommentare überhäuft, die oft ins Unsachliche abdriften. Dieser „Sturm“ richtet sich in den meisten Fällen weniger gegen einzelne Personen als gegen Unternehmen. Oft werden dann Kampagnen, Aktionen oder einzelne Produkte kritisiert.
Wer den Unmut der Internetnutzer auf sich zieht, für den kann sich durch die negativen Kommentare ein echter Imageschaden entwickeln. So erging es beispielsweise der Firma Henkel, die einen Wettbewerb zur Gestaltung der Flasche des Spülmittels Pril ausrief. Jeder konnte Vorschläge einreichen und für die Designs abstimmen. Am Ende wählte Henkel nicht die Ideen aus, die die Leser auf die vordersten Plätze gewählt hatten. Das Unternehmen wurde von der Internetgemeinde mit großer Häme überzogen und anschließend auch von den Medien. Anschaulich ist auch das Beispiel Nestlé. Greenpeace stellte fest, dass für eine Zutat des Schokoriegels Kitkat der Lebensraum von Orang-Utans zerstört wurde. Nestlé sah sich veranlasst eine große Kampagne zu investieren, um sich von dem Imageschaden zu erholen.
„Gefällt mir nicht“ – das ist noch ein harmloser Kommentar
Doch die negativen Kommentare beziehen sich nicht nur auf Produkte. Auch im Personalmarketing – genauer beim Recruiting – gibt es Fälle von „Kommentarstürmen“. Ein aktuelles Beispiel liefert die BMW Group. Der Automobilhersteller hatte ein Video veröffentlicht. Es soll Studenten dazu animieren, ein Praktikum bei BMW zu machen. Ein „echter“ Praktikant und ein Trainee von BMW rappten in dem Video „Steh auf und komm zu BMW“. Ein Flop. Innerhalb kürzester Zeit wurde das Video, das bei Youtube zu sehen war, von Hunderten von Usern bewertet. Und zwar nicht positiv. „Marketing-Gau des Jahres“, „peinlich… super peinlich“ oder „damit ist BMW bei mir unten durch“ sind nur einige der Kommentare. Es ist nicht leicht, das Thema Personalmarketing ins Netz zu verlagern, die Karriere online zu planen. Das zeigt auch das Beispiel der Deutschen Flugsicherung. Auf der Facebook-Seite wurde ein Recruiting-Video veröffentlicht, dass die Besucher mit zahlreichen negativen Kommentaren versahen.
Warum? Und vor allem, was kann man dagegen tun? Und wie viel muss man eigentlich dagegen tun? Man könnte es doch auch anders wenden. Nämlich: Seid froh, es interessiert sich jemand für euch! Wenn die Nutzer bzw. Leser so deutlich und empfindlich auf etwas reagieren, spricht das nicht auch dafür, dass Ihnen die Marke oder das Unternehmen gefällt? Vielleicht wünschen Sie sich einfach nur, ein wenig mitbestimmen zu können? Vielleicht wollen sie signalisieren: Dieses Mal sind wir nicht einverstanden. Aber wir würden es gerne beim nächsten Mal wieder sein.
Was nun? Unternehmen unter Zugzwang
Dennoch bleibt die Frage, wie Unternehmen auf die Flut negativer Kommentare reagieren sollen? Das ist nicht einfach. Werden Informationen aus dem Netz genommen, kann ein sogenannter Streisand-Effekt einsetzen. Internetnutzer verbreiten die Inhalte auf anderen Webseiten oder in Foren. Dies hat oft den genau gegenteiligen Effekt: die Entrüstung wird neu angefacht. Reagiert man nicht, fühlen sich die Kommentatoren in ihrer Meinung bestärkt. Frei nach dem Motto: „Unsere Meinung interessiert die nicht.“ – genau wie im Fall von Pril.
Wie so vieles im World Wide Web haben die Kommentare ihre Vor- und ihre Nachteile. Es ist toll, dass jeder die Möglichkeit hat, seine Meinung zu äußern. Es ist gut, dass einzelne Personen oder Gruppen etwas bewegen können. Gleichzeitig ist es beindruckend, ja fast ein wenig unheimlich, wieviel Macht von der anonymen Masse ausgehen kann. Internetnutzer sind schwer zu kontrollieren. Und genau da liegt auch für die meisten Unternehmen das Problem. Sie betreten schlicht und einfach unbekanntes – unkontrollierbares –Terrain.
Unternehmen sollten von vorneherein wissen, dass im Netz nicht alles plan- und noch viel weniger kontrollierbar ist. Eine mögliche Antwort könnte sein: so offen und authentisch wie möglich zu kommunizieren. Das honorieren bestimmt auch die Nutzer. Denn wer will schon PR-Sprache und Hochglanzbroschüre rund um die Uhr?
Wer hat die Macht?
Ist ein Shitstorm nicht auch eine Art Machtspiel? Internetnutzer, Mitglieder in sozialen Netzwerken verabreden sich. Es entstehen flashmob-artige Bewegungen im Netz. Die Zugangsbarriere für das Internet ist niedrig. Ein Kommentar ist eine Sache von Sekunden. Ein Klick und man hat sich verewigt. Vielleicht äußern sich deshalb viele „einfach nur so“, ohne genauen Einblick zu haben oder besonders involviert zu sein. Hinzukommt, dass oftmals die Tendenz dahin geht, eher negativ zu kommentieren, als zu loben oder begeistert seine Meinung zu äußern.
Noch fehlt vielleicht eine natürliche Regulierung im Netz. Vielleicht müssen wir alle noch lernen, wie man mit bestimmten Phänomenen im Netz umgeht. Die Interaktion von Konzernen mit den Usern im Netz wird in Zukunft noch wichtiger werden. Nur so können alle – vor allem Jüngere – erreicht werden. Wenn sowohl Konzerne als auch Internetnutzer etwas davon haben wollen, müssen sich die Unternehmen an die „Anarchie“ und „Freiheit“ des Netzes gewöhnen. Und für die Surfer gilt: „Seid nicht zu streng, nutzt die Chance, euch auszutauschen und äußert konstruktive Kritik.“ So haben alle etwas davon.
Nachtrag: so sehen die 152 Kommentare zum BMW Video Praktikanten-Rap als Tagcloud aus: