Mein Fan-Problem

Von Lukas Heinser
Veröffentlicht: 1. Juli 2012 22:03

Es mag so die 82. Minute im WM-Viertelfinalspiel Deutschland gegen Kroatien gewesen sein, als ich den Fernseher im Wohnzimmer meines Elternhauses zurückließ, in den Garten ging und meinen Fußball immer wieder gegen die Wand des Gartenhauses drosch. “So geht das, Ihr Versager”, rief ich an die Adresse der deutschen Mannschaft, die gerade in Lyon 0:2 zurücklag. Meine Mutter trat auf die Terrasse, beobachtete skeptisch mein wütendes Gebolze und verkündete, es stehe jetzt 0:3.

In der deutschen Mannschaft spielten damals so klangvolle Namen wie Christian Wörns, Jörg Heinrich, Dietmar Hamann, Michael Tarnat und Olaf Marschall.

* * *

Ich bin jetzt seit 22 Jahren Fußballfan — und das hat viel mit Missverständnissen zu tun:

Das erste Fußballspiel, an das ich mich erinnern konnte, war das Achtelfinale Deutschland gegen die Niederlande bei der Italia 90. Zuvor waren wir im Sommerurlaub in den Niederlanden gewesen, wo damals alle der Meinung waren, dass ihr Team Weltmeister werden würde. Alles war in Oranje dekoriert und seitdem bin ich Holland-Fan. Holland verlor gegen Deutschland, Deutschland wurde Weltmeister und ich musste – ebenso wie Franz Beckenbauer – annehmen, dass Deutschland auf Jahre unbesiegbar sein werde. Dann verlor Deutschland das EM-Finale 1992 gegen Dänemark1 und ich weinte als Achtjähriger heiße Tränen der Enttäuschung.

Da meine Begeisterung für Sport (genauso wie meine Begeisterung für den Eurovision Song Contest) von Anfang an vor allem von meiner Begeisterung für Zahlen und Statistiken geprägt wurde, tippte ich vor der WM 1994 alle Spiele des Turniers, errechnete die Gruppensieger und Achtelfinalpaarungen und kam zu dem Schluss, dass Deutschland seinen Titel verteidigen würde. Daraus wurde nichts, ich war wieder einmal bitter enttäuscht, aber der Gedanke, dass dieser Finalsieg 1990 nicht die Regel, sondern die Ausnahme gewesen sein könnte, kam mir erst viele Jahre später. Ich hatte mich unterdessen in die schwedische Mannschaft verliebt, die mit offenkundigen Weltklassespielern wie Thomas Ravelli, Patrik Andersson, Thomas Brolin, Henrik Larsson, Kennet Andersson und Martin Dahlin WM-Dritter wurde. Als ansonsten ahnungsloser Junge musste ich davon ausgehen, dass Schweden eine internationale Top-Mannschaft sei.

* * *

Endgültig vom Fußball angefixt, brauchte ich natürlich auch eine eigene Bundesligamannschaft. Meine Wahl fiel auf Borussia Mönchengladbach, was nicht so willkürlich wahr, wie es sich im ersten Moment anhören mag: Stefan Effenberg, der wegen seines Mittelfinger-Einsatzes gegen deutsche Fans bei der WM aus dem Kader geflogen war, wollte nach dem Turnier in die Bundesliga wechseln. Aus irgendeinem frühpubertären Grund fand ich die “Stinkefinger”-Aktion als Zehnjähriger cool und dachte mir: “Hey, wo der hingeht, das ist mein Verein: Bremen oder Mönchengladbach!” Für Gladbach sprachen dann aber auch noch die schwedischen Nationalspieler Patrik Andersson und Martin Dahlin und mein Patenonkel, der in Mönchengladbach wohnte.

Vor dem Beginn der Bundesligasaison 1994/95 hatte ich keine Ahnung, wie erfolgreich diese Borussia aus Mönchengladbach sein könnte, ein Jahr später waren “wir” Fünfter in der Bundesliga und DFB-Pokalsieger geworden.2 Ich musste wieder einmal annehmen, mich für eine Top-Mannschaft entschieden zu haben.

Am letzten Spieltag der Saison 1997/98 rettete sich Gladbach3 vor dem Abstieg, ein Jahr später stieg mein Verein dann doch in die zweite Liga ab. Ich beschloss, mich eher auf Musik zu konzentrieren, wo ich auf weniger Enttäuschungen hoffte. Nach einem Jahr lösten sich zwei meiner damaligen Lieblingsbands auf.

Als ich gerade nach Bochum gezogen war, qualifizierte sich der VfL für den UEFA-Cup, ein Jahr später stieg er ab. Gladbach entließ 2006, nach der erfolgreichsten Saison seit zehn Jahren, den Trainer und ging 2007 wieder in die zweite Liga. Letztes Jahr trafen beide Mannschaften in der Relegation aufeinander, ich konnte mich kaum entscheiden — und ein Jahr später beendete Gladbach die Saison in der ersten Liga auf Platz 4, Bochum Elfter in Liga Zwei.

Man lernt als Fußballfan viel fürs Leben, denn es gilt das gleiche, was Jason Lee in “Vanilla Sky” über die Liebe sagt:

You can do whatever you want with your life, but one day you’ll know what love truly is. It’s the sour and the sweet. And I know sour, which allows me to appreciate the sweet.

* * *

Was meine Liebe zum Fußball, aber auch die zur Musik, immer etwas schwierig gestaltet hat, waren die anderen Fans. Ich hatte immer Schwierigkeiten damit, Teil einer Gruppe zu sein. Ich denke dann immer: “Wir mögen ja gemeinsame Interessen haben, aber ich bin doch ganz anders als Ihr!”

Wenn ich während der zwei Wochen Eurovision denke, so langsam sei es aber auch mal gut, mit den Klischeeschwulen, die da blondiert und nasal flötend um mich rumtucken, muss ich mich nur dran erinnern, wie es im Fußballstadion aussieht: Homophobie statt Homosexualität, plumpes Gebrüll statt entzücktem Gekreische und generell null Taktgefühl. Natürlich: Nicht alle Fußballfans sind so, aber in der Summe ist es für mich dann doch schwer erträglich. Schon in der Kneipe sind mir diese Typen ein Graus, die immer hinter einem stehen und in jeder verdammten Szene die Spieler lautstark anbrüllen — dabei können Menschen im Fernsehen einen nun wirklich nicht hören.

* * *

Schlimmer als diese Fans, die es mit ihrer Begeisterung für den Sport dann vielleicht doch ein bisschen übertreiben, sind aber jene Leute, die sich zu internationalen Turnieren in schwarz-rot-goldene Schale werfen und gemeinsam mit der Boulevardpresse darauf hoffen, dass “wir” den Titel holen.

Natürlich kann man internationale Fußballturniere verfolgen, ohne die Abseitsregel oder die FIFA-Weltrangliste zu kennen. Auch habe ich in den letzten sechs Jahren verstanden, dass die Menschen, die ihre Häuser und Autos mit Deutschlandflaggen schmücken, in den allerwenigsten Fällen Neonazis sind. Aber diese Schönwetterfans sind schon schwer erträglich.

Wenn man von den unglücklichen Vogts-Weltmeisterschaften 1994 und ’98 und den EM-Totalausfällen 2000 und 2004 absieht, zählt Deutschland seit 26 Jahren kontinuierlich zu den vier besten Mannschaften Europas bzw. der Welt. Wer Fußball nur guckt, weil er auf einen Titelgewinn der eigenen Mannschaft4 hofft, ist kein Fan der Sportart, sondern einfach nur jemand, der sein Verhältnis zu dieser Sportart von einem einzigen Faktor abhängig macht: dem Titel. Mit dieser Einstellung kann man dieser Tage nicht mal mehr Fan des FC Bayern München werden — und selber Sport treiben sowieso nicht.

* * *

Das EM-Viertelfinale gegen Griechenland war sicher kein brillantes Spiel. Die deutsche Mannschaft hat sich gegen eine eher drittklassige Mannschaft zwei Gegentore eingefangen, das Spiel letztlich innerhalb einer sehr guten Viertelstunde gewonnen.

“Bild” titelte am nächsten Morgen:

Uns stoppt keiner mehr!

Die “Bild”-Schlagzeilen vor und nach dem Halbfinal-Aus, die mein Kollege Mats Schönauer im BILDblog gesammelt hat, stammen allerdings noch aus einer ganz anderen Welt: Ich finde es eh schwierig, wenn Journalisten (oder in diesem Fall: “Bild”-Mitarbeiter) “wir” sagen und damit die deutsche Mannschaft meinen. Wenn ein kleiner Junge und vielleicht auch älterer Fußballfan enttäuscht und wütend sind, ist das menschlich — aber Medien sollten nicht menschlich, sondern sachlich berichten. Was “Bild” da macht, geht über den normalen Wahnsinn eines enttäuschten Fans hinaus. Da arbeitet eine ganze Redaktion an Schlagzeilen, die all dem entgegenstehen, was sie selbst wenige Tage zuvor erarbeitet hat. Ein menschliches Gehirn müsste eigentlich implodieren, wenn sich sein Besitzer derart selbst widerspricht.

“Bild” reagiert wie ein trotziger Dreijähriger, der seiner Mutter “Ich hasse Dich!” entgegen schleudert, wenn sie ihm kein zweites Eis mehr kaufen mag, oder wie ein Stalker — in jedem Fall wie niemand, dem man rationales Denken unterstellen könnte.

Die Mannschaft sei “zu soft” für den Titel, so urteilt “Bild”. Die neoliberale Moral der Casting-Shows der “Bild”-Freund Dieter Bohlen und Heidi Klum wird so weiter im Bewusstsein junger Menschen verankert: “Du musst es nur hart genug wollen! Wenn Du es nicht schaffst, hast Du nicht hart genug gewollt!”

Hier werden Menschen so behandelt, als seien sie Maschinen, die man nur richtig optimieren muss, damit sie Erfolg haben. Und Erfolg heißt immer nur, Erster zu sein. Es geht nie darum, für sich selbst das Beste herauszuholen, sondern ausschließlich darum, “Bester” zu sein. Alles andere ist immer eine Enttäuschung. Wer so denkt, wird fast immer ein Leben voller Enttäuschungen führen.

* * *

Es spricht eh wenig dafür, dass im Sportjournalismus irgendjemand arbeitet, der Fußball liebt: Spiele werden in so viele statistische Werte (gelaufene Meter, gespielte Pässe, gewonnene Zweikämpfe, etc.) zerlegt, dass nicht mal ich als Statistik-Freund irgendeinen Sinn darin sehe — und ich weiß, dass Heiko Herrlich und Mario Basler in der Bundesligasaison 1994/95 mit jeweils 20 Treffern Torschützenkönige der Bundesliga wurden.

Der Statistikwahn der aktuellen Sportberichterstattung ist so, als ob man eine CD nach ihrer Spielzeit, der Beatzahlen der einzelnen Tracks und der Anzahl der Harmoniewechsel bewerten würde. Man möchte sich nicht vorstellen, wie solche Menschen ihre Ehepartner aussuchen. Wer die ganze Welt in angeblich objektive Zahlen zerlegt, wird irgendwann überrascht feststellen, dass er sie trotzdem nicht versteht.

Und dann immer diese Benotungen nach Fußballspielen! Natürlich hat Lukas Podolski am Donnerstag schlecht gespielt, aber was hat man davon, wenn man ihm dafür eine “6″ geben kann?

Wirtschaftsverbände und Lehrer kritisieren die Notenvergabe an Schulen in ihrer aktuellen Form als wenig aussagekräftig. Ich habe es immer schon für Unfug gehalten, dass jemand, der Medizin studieren möchte, dafür gute Schulnoten in Geschichte, Englisch, Sport und Religion braucht. Und wenn Sie jetzt sagen: “Ja, aber irgendwie muss man so eine Studienplatzzulassung ja regeln”, dann entgegne ich Ihnen: “Wenn unser Bildungssystem es nicht einmal auf die Kette bekommt, gerechte und logische Zulassungsverfahren zu entwickeln, dann brauchen wir mit dem Versuch, künftige Eliten auszubilden, ja gar nicht erst anzufangen!”

* * *

Im November 2009 war aus einem Volk von 82 Millionen potentiellen Bundestrainern kurzzeitig eine Nation von 82 Millionen Psychologen geworden: Nach dem Suizid des depressiven Nationaltorhüters Robert Enke erklärten Funktionäre, Fans und Medien, es müsse ein sogenanntes Umdenken einsetzen.

Walter M. Straten, damals stellvertretender Sportchef bei “Bild”, hatte sich damals von der “Süddeutschen Zeitung” so zitieren lassen:

“Wir werden wohl mit extremen Noten etwas vorsichtiger sein”, sagt der stellvertretende Bild-Sportchef. Man werde sich einmal mehr überlegen, “ob der Spieler, der eine klare Torchance vergeben hat, oder der Torwart, der den Ball hat durchflutschen lassen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht”.

Schnell zeigte sich, dass Stratens Aussage exakt so ernst zu nehmen war, wie andere Aussagen der “Bild”-Chefredaktion.

In der Zwischenzeit ist ein Bundesligatrainer wegen Burnouts zurückgetreten, hat ein Schiedsrichter einen Suizidversuch unternommen, wird einem Bundesligaprofi vorgeworfen, sein Haus in Brand gesetzt zu haben.

Jedes Mal zeigen sich alle entsetzt und jedes Mal geht es danach weiter: Fußballer sind entweder Helden oder Luschen, es gibt nur hop oder top.

Als Fan fand ich den Satz “Es ist doch nur ein Spiel”, immer schlimm. Er kann nur von Menschen kommen, die selbst nie mitgefiebert und mitgelitten haben. Aber an etwas anderes sollte man immer mal wieder erinnern: Diese Götter oder Versager, die da Tore schießen oder Chancen vergeben, die brillant aufspielen oder grandios vergeben, das sind letztendlich auch nur Menschen. Also: “nur”.

  1. Das sich nicht mal regulär qualifiziert hatte und in meinem Panini-Sammelalbum nur mit einem zweiteiligen Mannschaftsfoto gewürdigt wurde, nicht mit einer Doppelseite voller Einzelporträts! []
  2. Das Pokalfinale in Berlin hatte ich als mein zweites Fußballspiel überhaupt sogar live im Berliner Olympiastadion verfolgt. []
  3. Mit Schützenhilfe von Hansa Rostock! []
  4. Oder schlimmer noch: der eigenen Nation. []

Ich habe Dir nie einen Dosengarten versprochen

Von Lukas Heinser
Veröffentlicht: 30. Juni 2012 20:33

Man kennt das: Da möchte man in großer Runde auf eines der sommerlichen Musikfestivals fahren und dann zerstreitet sich kurz vorher die Gruppe, es wird jemand krank oder schwanger, das Wetter ist so scheiße wie befürchtet oder es passiert sonst irgendetwas Dummes.

In jedem Fall sitzt man am Ende auf viel zu viel Dosenbier, das man so alleine und in einer normalen, zivilen Umgebung auch nicht konsumieren mag, und packt es erst einmal in den Keller, wo es dem Haltbarkeitsdatum entgegengammelt. Ein Jahr später entdeckt man neben einer leeren (oder drei vollen) Gaskartuschen und leicht angeschimmeltem Campinggeschirr die abgelaufenen Bierdosen, darauf kein Pfand. Was nun?

Dosenschießen mal anders. from Lukas Heinser on Vimeo.

Liebe Kinder, bitte nicht ohne elterliche Aufsicht nachmachen!

What’s My Age Again?

Von Lukas Heinser
Veröffentlicht: 27. Juni 2012 18:25

Mit elf Jahren stand ich auf dem Neutorplatz in Dinslaken und hielt einem älteren Herren einen Kugelschreiber unter die Nase. Der Mann hieß Heiner Geißler und ich wusste, dass er Politiker und irgendwie berühmt war, also wollte ich seine Unterschrift haben. Meine Autogrammsammlung umfasste anschließend vier Exponate: Geißler, Willy Brandt (damals schon tot, von einem Kollegen meines Vaters geschenkt bekommen), Franz Beckenbauer (den mein Großvater gegen Unterschrift auf dem Golfplatz hatte vorbeiziehen lassen) und Klaus Staeck. Ich war in meinem Leben öfter auf Autorenlesungen und Ausstellungseröffnungen gewesen als im Stadion — und das niemals gegen meinen Willen. Man muss viel Liebe aufwenden, um das irgendwie als “niedlich” betrachten zu können. “Cool” war es im Leben nicht.

Als ich 16 Jahre alt war, lief in den Kinos “American Pie” an. Ich ging alleine ins Kino (meine Freunde hatten den Film schon alle gesehen) und fand den Film maximal halblustig. Am lautesten (und einsamsten) gelacht habe ich, als in der Szene, in der Stifler’s Mom Finch verführte, “Mrs. Robinson” erklang — dabei hatte ich die “Reifeprüfung” damals noch nie gesehen, sondern nur darüber gelesen. Der Soundtrack zu “American Pie” wurde trotzdem zum Soundtrack meiner Jugend: Ich glaube, fast jeder dieser 13 Songs der ersten elf Songs ist auf mindestens einem Mixtape gelandet. Es handelte sich dabei, so erfuhr ich, überwiegend um sogenannten Fun-Punk, der nach Sommer, Sonne, Skateboards und Schwachsinntreiben klang. Eine der dort vertretenen Bands hieß Blink-182.

Ich hatte “Enema Of The State”, das Durchbruchsalbum von Blink-182 in Deutschland, nie selbst auf CD, aber die Hits kannte ich, sogar mit den dazugehörigen Videos. Zum Beispiel das, in dem die Bandmitglieder nackt durch die Straßen einer amerikanischen Stadt liefen. Mit 16 fand ich das peinlich und pubertär. “All The Small Things” hingegen, wovon auch immer es handeln sollte, fand ich toll. Wir haben es sogar mal mit unserer “Punkband” “gecovert”.1

Am Nachfolgealbum “Take Off Your Pants And Jacket” störte mich schon der Titel (pubertär!), während mein damals 12jähriger Bruder das Album rauf und runter laufen ließ. Spannend fand ich die Band erst wieder, als sie für ihr selbstbetiteltes Album mit Robert Smith (kredibel!) zusammenarbeitete.2

Nach “Blink-182″, das ich über die Jahre richtig lieb gewonnen hatte, war lange erst mal Schluss mit der Band: Tom DeLonge machte mit Angels & Airwaves weiter, Mark Hoppus und Travis Barker mit +44 — beides gute Bands, aber trotz meiner eigentlich gar nicht so engen Beziehung zu Blink nicht das selbe.

Inzwischen habe ich meine Pubertät nachgeholt, habe bedeutend mehr Rockmusiker- als Politikerautogramme und bin mir für kaum einen Pimmelwitz zu schade. Und weil die Popkultur beruhigenderweise in Zyklen verläuft, kommen alle die, die es damals nicht wirklich zu den Helden meiner Jugend geschafft haben, jetzt noch einmal vorbei, damit wir uns gemeinsam (noch mal) jung fühlen können: Im April war ich auf einem Konzert, auf dem Andrew W.K. (den ich mit 18 total doof fand) sein grandioses Partyepos “I Get Wet” zur Aufführung brachte, eine Woche später lief “American Pie — Das Klassentreffen” in den deutschen Kinos an, auf den ich mich tatsächlich mehr gefreut hatte als auf mein eigenes zehnjähriges Abiturtreffen.3

Und am Montag dann endlich Blink-182. Deren Comebackalbum “Neighborhoods” hatte ich zwar maximal drei Mal gehört, aber darum ging es ja gar nicht, sondern um die Songs von früher. Die Essener Grugahalle, berüchtigt für ihre spezielle Atmosphäre, war gut gefüllt mit Menschen Mitte, Ende Zwanzig, nur wenige waren jünger — das dann aber gleich gründlich. So viele T-Shirts der auftretenden Band sieht man vermutlich sonst nur bei den Toten Hosen. Die beiden Vorgruppen (Royal Republic und The All American Rejects) wurden freundlich empfangen, aber es war klar, weswegen alle hier waren: Blink-182.

Als die dann mit “Feeling This” loslegten, war die Stimmung sofort auf dem Siedepunkt, wie man als Lokaljournalist schreiben würde. Es war wie damals in den Jugendzentren und Partykellern — oder, in meinem Fall: so, wie ich annehme, dass es damals in den Jugendzentren und Partykellern war. Die an ein öffentliches Schwimmbad gemahnende Architektur der Grugahalle verschwand hinter den glücklichen, verschwitzten Gesichtern wild durch die Gegend hüpfender junger (ja: junger!) Menschen.

Und dann: “All The Small Things”. Mit den Freunden einen Kreis bilden und hüpfen. Hüpfen, bis man das Gefühl hat, in der Luft stehen zu bleiben. Die Welt und mit ihr die Halle mit den Tausenden Menschen darin, der Bühne und der Band, drehen sich weiter, doch dieser Moment hier ist jetzt und für immer. Nana nana na nanana nana, nana nana na nanana nana. Wäre es übertrieben, zu behaupten, dass ich zwölf Jahre darauf gewartet habe? Nein. Ich wusste es nur damals noch nicht.

Dann weiter: Minutenlange, atemberaubende Schlagzeugsoli von Travis Barker, Zugaben und am Ende ein Papierschnipselregen. Ein Fest.

Blink-182 in der Essener Grugahalle

Auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden wir von der EVAG, dem vermutlich schlechtesten Nahverkehrsanbieter in einer europäischen Großstadt: Um Zwanzig nach Elf fährt die letzte U-Bahn Richtung Innenstadt und die vielen, vielen Konzertbesucher ohne Auto passen dort nicht hinein. Das heißt: Zunächst passen die Allermeisten doch hinein, aber die Bahn kann über zehn Minuten nicht losfahren. Wir steigen wieder aus, überirdisch fährt ein Krankenwagen vor.

Und so gehen wir die drei Kilometer bis zum Hauptbahnhof zu Fuß, durch das um Viertel vor Zwölf schon völlig verwaiste “Szeneviertel” Rüttenscheid. Immerhin der Supermarkt hat noch auf, wir kaufen Bier für den weiteren Weg. So wie die anderen Kinder das mit 16 vermutlich schon gemacht haben.

  1. Man kann dem Herrgott gar nicht oft genug danken, dass wir in einer Zeit aufwachsen durfen, als noch nicht jeder eine Videokamera in seinem Mobiltelefon hatte. Die Video-8-Aufnahmen, die von dem “Auftritt” existierten, sind hoffentlich schon lange zerfallen. []
  2. Als ich Thees Uhlmann in Düsseldorf zu jenem Interview traf, in dessen Verlauf auch eine Kilians-Demo-CD den Besitzer wechseln sollte, trug er einen Blink-182-Kapuzenpullover, für den er sich zu Beginn des Gesprächs entschuldigte. []
  3. Das offensichtlich auch nicht stattfinden wird. []

Journalisten im Backwahn

Von Lukas Heinser
Veröffentlicht: 15. Juni 2012 14:45

Neulich war ich auf einer Journalistentagung. Ich konnte das vor mir selbst rechtfertigen, indem ich auf dem Podium sagte, dass ich keine Journalistentagungen (und keine Bloggertreffen) mag. Die anwesenden Journalisten waren anschließend so nett, mir noch einmal zu erklären, warum das eigentlich so ist.

Ich saß im Publikum einer Diskussion über das Urheberrecht, die ganz außergewöhnlich kuschelig zu werden drohte, weil niemand, der vorher irgendwelche Aufrufe zur Rettung des Urheberrechts (vor wem auch immer) unterzeichnet hatte, an der Diskussion teilnehmen wollte. (Oder konnte — vielleicht fand zeitgleich das Jahrestreffen der Offene-Briefe-zur-Rettung-des-Urhebberrechts-Unterzeichner statt, wer weiß schon, was Menschen, die offene Briefe unterzeichnen, so in ihrer Freizeit machen.)

JEDENFALLS: Ein Vertreter der Piratenpartei erklärte gerade, dass es ja durchaus viele Menschen gebe, die für Inhalte zahlen würden, diese Bezahlung in vielen Fällen aber unmöglich sei. Die populäre Fernsehserie “Game Of Thrones” etwa werde vom Sender HBO ausschließlich über ihren Bezahlkabelkanal vertrieben und ein Jahr nach Ausstrahlung der Staffel auf DVD veröffentlicht. Wer die Serie zeitnah sehen wolle (etwa, um im Freundeskreis mitreden zu können), werde quasi in die Illegalität gezwungen, selbst wenn er eigentlich bereit wäre, gutes Geld für einen legalen Zugang zu zahlen.

Tatsächlich ist diese HBO/”Game of Thrones”-Geschichte ein bemerkenswerter Fall, denn eine neue Zugangsmöglichkeit zu den HBO-Serien würde das eigentliche Geschäftsmodell des Senders, den Absatz seiner Kabelpakete, gefährden. Statt dieses Risiko einzugehen, nimmt HBO die weltweite Verbreitung der Serie durch Dritte einigermaßen billigend in Kauf — und hofft offenbar darauf, dass die Fans dann schon noch anschließend die DVDs kaufen werden.

Über all das wurde bei der Podiumsdiskussion nicht gesprochen, denn es erhob sich ein Mann (wie ich annehmen muss: ein Journalist) im Publikum und fing lautstark zu schimpfen an: Wo wir denn da hinkämen, wenn der Konsument plötzlich bestimmen würde, auf welchem Weg und zu welchen Konditionen er das Produkt geliefert bekomme?! Wenn der Sender die Serie nicht anders verkaufen wolle, müsse man halt warten. Man würde ja auch nicht beim Bäcker sagen: “Du willst zwanzig Cent für die Brötchen, aber ich geb’ Dir nur zehn!” (Ich kann mich nicht an den genauen Wortlaut erinnern, aber die Brötchenpreise waren definitiv nicht zeitgemäß.)

Mal davon ab, dass seine Wortmeldung vergleichsweise weit am eigentlichen Punkt vorbeiging und ich ob seines Geschreis ganz dringend aus dem Veranstaltungsraum fliehen musste, blieb mir der Mann im Gedächtnis.

Was, so dachte ich, muss bei einem Autor falsch gelaufen sein, damit er seine Texte mit Brötchen vergleicht?

Gestern dann verfolgte ich im Internet eine weitere Podiumsdiskussion und wieder fing irgendein Chefredakteur an, von Brötchen zu reden. Da dämmerte mir: So wird das nichts mehr mit dem Journalismus in Deutschland.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das Backhandwerk ist ein ehrenwertes Gewerbe, vor dem ich – wie vor allen Handwerken – größten Respekt haben. Wer möchte schon mitten in der Nacht aufstehen, um Mehlstaub einzuatmen und seine Hände in eine klebrige Masse zu drücken? Darüber hinaus ist es eine hohe Kunst: Es ist außerhalb Deutschlands nahezu unmöglich, ein gescheites Brot zu finden, und wirklich gute Brötchen findet man nirgendwo mehr, seit die Bäckerei Hallen in Dinslaken ihre Pforten hat schließen müssen.

Damit wir uns des weiteren nicht falsch verstehen: Auch ich möchte für meine Arbeit, in diesem Fall das Erstellen von Texten und lustigen Videos, angemessen entlohnt werden.

ABER: Meine Texte sind keine Brötchen! Niemandes Texte sind das!

Text und Brötchen im Direktvergleich (Symbolfoto).

Werden oft verwechselt: Text (links, über den Eurovision Song Contest in Baku) und Brötchen (rechts, mit Kürbiskernen).

Zwar scheinen manche Journalisten und die meisten Verleger überzeugt, dass ihre Texte für die Menschheit so wichtig sind wie das tägliche Brot, aber das macht sie noch nicht zur Backware.

Man könnte das natürlich durchspielen und augenzwinkernd feststellen, dass die Leute anscheinend auf Marie-Antoinette gehört haben und jetzt einfach Kuchen essen statt Brot. Dafür müsste man sich noch überlegen, was in dieser Metapher jetzt der Kuchen wäre (Blogs? Google?), aber das Bild würde mit jedem Gedanken schiefer. Texte sind keine Brötchen!

Texte werden nicht gebacken, man kann sie nicht nach fünf Tagen kleinhobeln und mit ihnen Schnitzel panieren und vor allem werden Texte nicht an Leser verkauft, sondern an Verleger. (Dass die dann sagen, sie würden gerne aber nur die Hälfte des Preises zahlen wollen, ist das eigentliche Problem für die Journalisten.)

Das ganze Themenfeld “geistiges Eigentum” ist vermint mit hinkenden Vergleichen, aus dem Boden von Fässern herausgeschlagenen Kronen, verunfallten Metaphern, falschen oder wenigstens überholten Annahmen und unglücklichen Begriffen. Ja, “geistiges Eigentum” ist schon ein solcher unglücklicher Begriff, weil der Geist ja eben so erfrischend unkörperlich ist. Das überfordert viele Vorstellungskräfte, weswegen die Katholische Kirche den Heiligen Geist kurzerhand in eine Taube gepackt hat. Das ist auch nur ein Bild, liebe Journalisten (wenn auch weit weniger bescheuert als gebackene Texte): Wenn Euch eine Taube auf den Kopf kackt, ist das in den seltensten Fällen ein Zeichen Gottes.

Wir können über alles diskutieren (ach, das tut Ihr ja schon seit 15 Jahren): über die Möglichkeit, einzelne Texte zu bezahlen; darüber, dass die Werbekunden ins Internet abwandern; über die schlechten Arbeitsbedingungen von Journalisten und die teils ekligen Verträge, die ihnen die Verlage vorlegen; darüber, dass guter Journalismus natürlich bezahlt werden muss, und über vieles mehr.

Aber wenn Menschen, die ausschließlich von der Kraft ihrer Gedanken leben, Texte mit Brötchen vergleichen, dann sehe ich für alle weiteren Gesprächsansätze ausgesprochen schwarz.

Covering the Eurovision Song Contest since 2010

Von Lukas Heinser
Veröffentlicht: 14. Mai 2012 14:53

Ich bin gestern nach Aserbaidschan gereist, um mit Herrn Niggemeier mal wieder ein Videoblog vom Eurovision Song Contest zu machen.

Bevor es morgen richtig losgeht, halten wir noch einmal Rückschau und erinnern an das, was bisher geschah:

Alle weiteren Folgen finden Sie dann auf bakublog.tv und bei “Spiegel Online”.

Not for sale

Von Lukas Heinser
Veröffentlicht: 8. Mai 2012 11:24

Am Sonntagabend schaute ich mir das auf DVD an, von dem ich annahm, dass es die letzte Folge “Skins” sein würde: Die zehnte Folge der sechsten Staffel, die dritte Generation der Hauptcharaktere ist durch. Es war, nach einer schwer enttäuschenden fünften, eine erstaunlich gute Staffel, die Zeitanzeige näherte sich der 45-Minuten-Marke und dann lief zur großen Abschlussmontage ein Lied, das ich auf Anhieb liebte.

Ich habe noch nicht viele Serien komplett durchgeguckt, aber ich erinnere mich noch gut an das Finale von “Scrubs”1 und wie ich danach tagelang nur “The Book Of Love” von Peter Gabriel hören konnte.

Wie auch bei “Scrubs” wird es bei “Skins” noch weitergehen: Eine finale Staffel, in der die Charaktere aus allen drei Generationen auftauchen werden, wird im kommenden Jahr laufen, was ich aber erst hinterher gelesen habe. Und wie auch bei “Scrubs” hatte ich anschließend das Problem, dass ich diesen großen, bedeutenden, magischen Song nicht kaufen konnte.

“Don’t Go” der erst 19-jährigen Singer/Songwriterin Rae Morris ist bei Warner Music UK erschienen und bisher nur im britischen iTunes-Store und bei amazon.co.uk zu kaufen — das macht es mir als deutschem Hörer quasi unmöglich,2 diesen Song legal zu erwerben.

Dabei wäre ich durchaus bereit, mehr als die 99 bzw. 89 Pence dafür zu bezahlen, ich würde glatt zehn Pfund dafür hinblättern, dieses Lied endlich auf meiner Festplatte zu haben. Aber es geht nicht. Und so bekommt die junge Frau, die dieses für mich so bedeutende Lied geschrieben hat, jetzt eben kein Geld von mir — oder nur die paar Centbruchstücke, die es abwirft, dass ich den Song seit zwei Tagen gefühlte hundert Male auf ihrer Soundcloud-Seite gehört habe.

Dieser Eintrag ist womöglich ein Beitrag zur Urheberrechtsdebatte.

  1. Also das eigentliche Finale von “Scrubs”, nicht die Unzumutbarkeiten der neuen Folgen. []
  2. Ja, ich weiß: Es gibt Tricks und natürlich hätte ich mir bei meinem letzten Besuch im Vereinigten Königreich einfach mal einen britischen iTunes-Gutschein kaufen können … []

Hoch im Interkurs

Von Lukas Heinser
Veröffentlicht: 19. April 2012 16:28

Ich weiß nicht, mit welchem Computerprogramm die Leute bei stylebook.de (“Powered by Bild.de”) ihre Texte so aus dem Englischen übertragen lassen, aber irgendetwas sagt mir, dass es aus der Schweiz stammt:

Darum geht es im Film: Der brotlose Ex-Soldat George Duroy (Pattinson) begibt sich in das Wirrwarr eines Pariser Verlagshauses. Um zu Einfluss und Macht zu gelangen, bezirzt er drei Damen (Uma Thurman, Christina Ricci und Kristen Scott Thomas). Dabei schreckt er auch nicht vor sexuellem Interkurs mit den verheirateten (!) Frauen zurück.

Mit Dank an Harald M.

Inhaling thrills through twenty dollar bills

Von Lukas Heinser
Veröffentlicht: 18. April 2012 15:07

Diese Meldung aus dem Internetangebot der “Pforzheimer Zeitung” liegt hier seit Tagen ungebloggt im Büro:

Prozessauftakt im Heroin-Prozess: Das gestellte Illustrationsfoto zeigt, wie mit einem zu einem Röhrchen gerollten Geldschein ein weißes Pulver von einer Linie in die Nase eingezogen wird.

Es ist ja nicht nur so, dass das Setting nicht gerade den prototypischen Heroinkonsum zeigt — ich mag vor allem die Bildunterschrift.

Fehlt eigentlich nur noch der Hinweis: “Liebe Kinder, bitte nicht nachmachen!”

Mit Dank an Stefan L.

Überschrift geborgt bei The Postal Service.

Whisper words of wisdom

Von Lukas Heinser
Veröffentlicht: 13. April 2012 11:58

Jeden Freitag veröffentlicht Christoph Dallach eine Popmusik-Kolumne auf “Spiegel Online”. Heute widmet er sich zum Beispiel inhaltlich missverstandenen Liedtexten:

Immer wieder passiert es Menschen, die des Englischen nicht ganz so mächtig sind, dass sie Liedtexte anders deuten, als die Autoren sie gemeint haben. Aber auch, wer Englisch als Muttersprache gelernt hat, bekommt mitunter nicht mit, was ein Song wirklich bedeutet. Acht Parade-Beispiele für häufig falsch verstandene Liedtexte hat nun das Blog Divine Caroline zusammengetragen.

Ferner geht es um Paul McCartneys Sohn James, der in einem Interview mit der BBC unvorsichtigerweise gesagt hatte, er könne sich vorstellen, gemeinsam mit Sean Lennon, Dhani Harrison und Jason Starkey Musik zu machen. Die Geschichte ging als “Next Generation Beatles” um die Welt.

Dallach schreibt:

Dummerweise entpuppte sich auch dieser Plan letztlich als Niederlage: Von der Online-Ausgabe des “Guardian” befragt, ob Interesse an so einer B-Beatles-Gang bestünde, antworteten 82,8 Prozent der User: Nein danke. Let it be!

Blöd, dass “Let It Be” nicht bei den acht “Parade-Beispielen für häufig falsch verstandene Liedtexte” dabei war, gilt es inzwischen doch als einigermaßen sicher, dass “let it be” nicht im Sinne von “lass es bleiben”, sondern als “lass es geschehen” gemeint ist.

Paul McCartney jedenfalls hat die Inspiration zum Song wie folgt beschrieben:

One night during this tense time I had a dream I saw my mum, who’d been dead ten years or so. And it was great to see her because that’s a wonderful thing about dreams, you actually are reunited with that person for a second… In the dream she said, ‘It’ll be alright.’ I’m not sure if she used the words ‘Let it be’ but that was the gist of her advice, it was ‘Don’t worry too much, it will turn out okay.’ It was such a sweet dream I woke up thinking, ‘Oh, it was really great to visit with her again.’ I felt very blessed to have that dream.

Aber es passiert halt immer wieder Menschen, die des Englischen nicht ganz so mächtig sind, dass sie Liedtexte anders deuten, als die Autoren sie gemeint haben.

Mit Dank an Philip.

Alles aus Liebe

Von Lukas Heinser
Veröffentlicht: 28. März 2012 14:51

Stop the press!

Die Toten Hosen haben die Tracklist ihres neuen Albums “Ballast der Republik” veröffentlicht und dabei kam raus: Lied Nr. 14 wird “Oberhausen” heißen.

Ein gefundenes Fressen1 für die Lokalmedien: “Bild” brachte heute einen kleinen Artikel über den “noch geheimen” Song, aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was die “WAZ” gestern in Oberhausen veranstaltet hat.

Wenn Anfang Mai die neue CD “Ballast der Republik” der Düsseldorfer Punk-Rocker “Die Toten Hosen” erscheint, ist das Revier offenbar dabei: Ein Song trägt den Titel “Oberhausen” – über den Inhalt wird noch gerätselt.

Das mit dem Rätseln ist durchaus wörtlich zu verstehen — und der Ort dieses Rätselns ist die “WAZ”. Man kann den Redakteuren allerdings nicht vorwerfen, da nur selbst in der Teeküche drüber gegrübelt zu haben:

Selbst szenekundige Musiker zeigten sich davon völlig überrascht.

Fürwahr: Die “WAZ” hat keine Kosten und Mühen gescheut und so ziemlich alles, was in der lokalen Musikszene Rang und Namen hat, mit dem Thema behelligt.

“Das ist eine Riesenüberraschung”, sagt etwa Kevin Kerndl von der hiesigen Musikvereinigung “RockO”. Auch wenn der blanke Songtext für den Organisator des Festivals “Olgas Rock” angesichts des Albumtitels “Ballast der Republik” zunächst eher negativ wirkt. “Da muss man abwarten, aber das wird für die hiesige Musikszene auf jeden Fall interessant.”

(Lassen Sie sich nicht verwirren: Mit dem “blanken Songtext” ist nicht etwa der … äh: Songtext gemeint, der ist ja – wir erinnern uns – immer noch unbekannt.)

Tim Kleinrensing von der Punkband Sondaschule erklärt:

“Ich könnte mir vorstellen, dass dies im Geiste des Punk-Rocks ein Lobgesang auf die Stadt mit der höchsten Verschuldung wird.”

Und:

“Ironie ist im Genre nicht selten – da kann alles kommen!”

Na, dann kann die “WAZ” ja auch ihre Assoziationsmaschine anschmeißen:

Oberhausen und die “Toten Hosen” – die Verbindung ist nicht aus der Luft gegriffen: Die Band hat mehrere große Auftritte in der Arena gespielt – und die Halle unlängst zu einem ihrer Lieblingsplätze geadelt. Zuvor absolvierten die Düsseldorfer im Sterkrader “Old Daddy” in den frühen 80er Jahren die ersten Konzerte ihrer Karriere überhaupt.

Und überhaupt:

Fragt man auf der Straße nach, vermuten die Oberhausener hinter dem Hosen-Song gar ein Cover des wohl bekanntesten Oberhausen-Liedes: der Missfits.

Ja, ich hab an der Stelle auch kurz gedacht, wann zum Henker Glenn Danzig oder einer von den anderen jemals über Oberhausen gesungen haben soll. Es stellte sich dann aber raus, dass das auch kein Schreibfehler war und tatsächlich das regional bekannte Frauenkabarett-Duo “Missfits” gemeint war.

Und weil Lokalpolitiker natürlich jede Chance wahrnehmen, ihren Namen in der Zeitung lesen zu können,2 hat auch der Oberbürgermeister der “WAZ” auf Anfrage nicht erklärt, da müsse man doch erst mal abwarten, da könne man noch nichts sagen und überhaupt sei das nicht seine Aufgabe, sondern:

OB Klaus Wehling möchte von “tote Hose” in Oberhausen natürlich nichts wissen, will sich das Lied aber trotzdem anhören. “Das gehört doch zum Pflichtenheft eines Oberbürgermeisters.” Auch wenn Wehling gesteht: “Die gesamte CD wird es wohl nicht werden.”

Jetzt wissen die “WAZ”-Leser in Oberhausen (geschätztes Durchschnittsalter: 55) also, dass die Toten Hosen ein Lied über ihre Stadt geschrieben haben. Also: mutmaßlich. Vielleicht geht’s auch um was ganz anderes, man weiß es ja noch nicht. Aber wenigstens, man hat schon mal ‘ne Seite damit gefüllt.

Weitere Titel von “Ballast der Republik” sind übrigens “Traurig einen Sommer lang”, “Altes Fieber”, “Europa”, “Draußen vor der Tür” und “Vogelfrei”. Was man da bis zur Veröffentlichung am 4. Mai noch für Artikel drüber schreiben kann!

  1. Ich hätte gewettet, dass es ein Hosen-Lied oder -Album namens “Gefundenes Fressen” gibt, das scheint aber nicht der Fall zu sein. []
  2. Außer natürlich, es geht mal um was Wichtiges. []

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