Klaus Gietinger: Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs |
Klaus Gietinger: Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs |
Inhaltsangabe:Die im Ersten Weltkrieg zuletzt an der Westfront eingesetzte Eliteeinheit Garde-Kavallerie-Schützen-Division stand zwar unter dem Kommando des Generalleutnants Heinrich von Hofmann (1863 – 1921), wurde jedoch aufgrund seiner Herzkrankheit faktisch vom Ersten Generalstabsoffizier Hauptmann Waldemar Pabst (1881 – 1970) geführt. Pabst, klein, eitel, ehrgeizig und machthungrig (Seite 12)
Als dieser die Nachricht von der Novemberrevolution in Berlin bekam, eilte er mit seinen Männern nach Berlin, um eine Räterepublik zu verhindern und mit "der Herrschaft der Minderwertigen" (Waldemar Pabst 1934; hier: Seite 13) aufzuräumen. Am 30. November 1918 traf er auf dem Bahnhof Wildpark bei Potsdam ein. Pabst wandelte die kaiserliche Truppe in ein Freikorps um. Ihm unterstanden nun auch das Regiment Reinhard, die Marine-Eskadron Pflugk-Harttung und Einwohnerwehren, insgesamt etwa 50 000 Mann. Heinrich von Hofmann bzw. Waldemar Pabst unterstanden General Walther Freiherr von Lüttwitz (1859 – 1942), der als "Oberbefehlshaber in den Marken" im Januar 1919 den "Spartakusaufstand" in Berlin niederschlug. Das Stabsquartier richtete Waldemar Pabst am 15. Januar 1919 vormittags im Hotel Eden gegenüber dem Haupteingang des Zoos ein. Niemand sorgte sich um die Legalität dieses Unterfangens. (Seite 19)
Fünf Männer der Wilmersdorfer Bürgerwehr drangen am Abend des 15. Januar 1919 in eine Wohnung ein, in der Siegfried und Wanda Marcusson gemeldet waren. (Wer ihnen den Tipp gab, wissen wir bis heute nicht.) Sie trafen einen Mann an, der behauptete, Marcusson zu sein, und eine Frau, die keinen Namen nannte. Es handelte sich um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Zwei Männer fuhren mit Karl Liebknecht zu ihrem Hauptquartier; die anderen drei bewachten Rosa Luxemburg in der Wohnung und nahmen dann auch noch Wilhelm Pieck (1876 – 1960) fest, der gegen 21 Uhr klingelte. Pabst hat mir [...] versichert, dass er vor seiner Entscheidung Noske angerufen habe. Dieser habe ihn aufgefordert, die Genehmigung des Generals von Lüttwitz zur Erschießung der beiden Gefangenen einzuholen, und nach der Einwendung Pabsts, 'die werde er nie bekommen', mit den Worten reagiert, 'dann müsse er selbst verantworten, was zu tun sei'. (Otto Kranzbühler in einem Brief vom 12. Januar 1993 an Klaus Gietinger; hier: Seite 104)
Klaus Gietinger, der Gustav Noske als "eine präfaschistische Figur" (Seite 112) bezeichnet, ist offenbar überzeugt davon, dass der Volksbeauftragte insgeheim das weitere Vorgehen billigte (Seite 113).
Alle wussten, was gespielt wurde, und was es zu tun gab: Luxemburg und Liebknecht zu töten.
Gegen 22.45 Uhr wurde Karl Liebknecht durch einen Nebenausgang des außen weiträumig abgeriegelten Hotels hinausgeführt und in den Fond eines bereitstehenden Autos gesetzt. Offiziell sollte er ins Gefängnis in Moabit gebracht wrden. Klaus Gietinger zählt die weiteren Insassen namentlich auf: den Fahrer und drei Offiziere. Außerdem stand links und rechts je ein Soldat auf dem Trittbrett.
[...] stand unten vor dem Eden-Hotel ein Posten, ein Husar Runge. Der Mann hat, wie Frau Luxemburg 'rauskam, ihr mit dem Kolben über den Schädel geschlagen. Das stand nicht in meinem "Programm". Das hat der Mann, bestochen durch einen Herrn meines Stabes - der längst nicht mehr lebt, ich könnte Ihnen sonst den Namen sagen, der Eisenbahnreferent bei mir im Stabe war -, und der hat gedacht: Na, das wird wohl wieder so gehen, wie es mit den anderen gegangen ist, die werden wir schnell wieder lossein, und die Schweinerei beginnt von neuem. Der konnte sich ja keinen Begriff machen, das war ein Oberleutnant, und da hat er diesen Husaren Runge mit einer gewissen Geldsumme bestochen, irgendwie den Liebknecht und die Luxemburg umzubringen.
Klaus Gietinger beschäftigt sich mit der Frage, wer die anderen fünf Insassen des Fahrzeugs waren, mit dem Rosa Luxemburg weggebracht wurde (Seiten 30, 80, 111). Auf dem linken Trittbrett stand außerdem ein Jäger. Wieder – so Gietinger weiter – war Edwin von Rzewuski zur Stelle und schlug die bewusstlose Parteiführerin zweimal ins Gesicht. Nach 40 Metern Fahrt fiel ein Pistolenschuss, der vor dem linken Ohr ins Rosa Luxemburgs Kopf eindrang und auf der anderen Seite etwas tiefer wieder austrat. Der Fluchthelfer Vogels hieß Canaris. (Seite 64; vgl. auch Seite 112)
Klaus Gietinger geht davon aus, dass Kurt Vogel damit drohte, er werde aussagen, auf Befehl gehandelt zu haben. Der Kommandant des Gefängnisses soll dies weitergegeben haben. Daraufhin – so Gietinger – habe Wilhelm Canaris (1887 – 1945) die falschen Papiere besorgt und Vogel befreit. Der Kapitänleutnant, ein Adjutant von Gustav Noske, hatte in dem Prozess vor dem Kriegsgericht der Garde-Kavallerie-Schützen-Division als Richter fungiert. (Von 1933 bis 1944 leitete Wilhelm Canaris die Abwehr.)
Insofern besteht die höhere Wahrscheinlichkeit dafür, dass die aller Wahrscheinlichkeit nach durch den Schuss bewirkte schwere Zertrümmerung der Schädelgrundfläche den sofortigen Tod herbeigeführt hat, als die vorangegangenen Kolbenschläge und es spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Schuss Frau Luxemburg noch lebend getroffen und getötet hat. Im Mai 1921 fiel ein Leutnant a. D. auf, der eine goldene Uhr feilbot, die Rosa Luxemburg gehört hatte: Ernst Krull. Der Staatsanwalt Ortmann konstatierte am 13. Mai: Krull steht im dringenden Verdacht, die bisher nicht ermittelte Militärperson zu sein, die nach der Abfahrt des Autos der Frau Luxemburg vom Eden-Hotel auf das Trittbrett des Autos aufgesprungen, eine Strecke mitgefahren ist, auf der Fahrt den Schuss auf Frau Luxemburg abgegeben hat und dann vom Auto herabgesprungen ist." (hier: Seite 76)
Krull gestand zwar, eine Woche vor der Ermordung Rosa Luxemburgs deren Uhr und Abiturzeugnis bei einer "Hausdurchsuchung" gestohlen zu haben und behauptete, ein Stück auf dem Trittbrett der Limousine mitgefahren zu sein, aber keiner der erneut befragten Insassen des Fahrzeuges konnte sich an ihn erinnern. Offenbar handelte es sich nicht um den Gesuchten. Die Rolle, die wütende Volksmenge darzustellen, war dem Marineleutnant Souchon zugedacht, der an einer verabredeten Stelle auf den Kraftwagen wartete, mit dem Rosa Luxemburg weggebracht wurde. Der Kraftwagen hielt an, und Souchon schoss auf die noch bewusstlose Luxemburg (hier: 85) Am 5. Januar 1962 erklärte Waldemar Pabst in der Zeitschrift "Das deutsche Wort": Dieser Entschluss zur Beseitigung der beiden verderblich wirkenden und gelehrigen Moskau-Schüler ist mir nicht leicht gefallen. (hier: Seite 87) Daraufhin führten die Redakteure Hans Schmelz und Martin Virchow mit ihm ein Interview, das am 18. April 1962 in "Der Spiegel" erschien.
Spiegel: Herr Pabst, Sie haben am 15. Januar 1919 die Kommunistenführer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg umbringen lassen ... Der Historiker Joseph Wulf (1912 – 1974) entdeckte 1966 die verloren geglaubten Akten des Kriegsgerichts der Garde-Kavallerie-Schützen-Division aus den Jahren 1921 bis 1925 und machte sie Dieter Ertel zugängig, dem damaligen Leiter der Abteilung Dokumentarfilm des Süddeutschen Rundfunks, der daraufhin im Februar, Mai und Dezember 1966 Gespräche mit Waldemar Pabst führte und das Drehbuch für das Fernseh-Dokumentarspiel "Der Fall Liebknecht-Luxemburg" schrieb, das am 14. und 15. Januar 1969 in zwei Teilen ausgestrahlt wurde. Originaltitel: Der Fall Liebknecht-Luxemburg – Regie: Theo Mezger – Drehbuch: Dieter Ertel – Kamera: Horst Schalla – Darsteller: Edith Heerdegen, Richard Lauffen, Martin Benrath, Gert Westphal, Harry Buckwitz, Günther Jerschke, Alexander Kerst, Herbert Stass, Karl Walter Diess, Gerd Baltus, Jürgen Schmidt, Rolf-Dieter Groest, Günter Mack, Hubert Suschka, Ulrich Matschoss, Helmut Kircher, Friedrich G. Beckhaus, Peter Thom, Heinz Giese, Günter Glaser, Peter Chatel, Bernhard Dübe, Herbert Dubrow, Gernot Duda, Wilfried Elste, Gerhard Jersch, Klaus Krüger, Uwe-Jens Pape, Joachim Richert, Hans Christian Rudolph, Berndt Schauen u.a. – 1969
Zwei Monate nach der Sendung klagte Hermann Souchon gegen den SDR, den Intendanten Hans Bausch und Dieter Ertel wegen Verleumdung. Das Stuttgarter Landgericht urteilte am 12. Februar 1970 auf der Grundlage der Akten des Kriegsgerichts der Garde-Kavallerie-Schützen-Division, offenbar ohne das damalige Verfahren zu hinterfragen und verlangte einen Widerruf in der "Tagesschau". Tatsache ist: Die Durchführung der von mir angeordneten Befehle [...] ist erfolgt, und dafür sollten diese deutschen Idioten Noske und mir auf Knien danken [...] Dass ich die Aktion ohne Noskes Zustimmung gar nicht durchführen konnte (mit Ebert im Hintergrund) und auch meine Offiziere schützen musste, ist klar. Aber nur ganz wenige Menschen haben begriffen, warum ich nie vernommen oder unter Anklage gestellt worden bin, und warum die kriegsgerichtliche Verhandlung so verlaufen ist, Vogel aus dem Gefängnis befreit wurde, usw. Als Kavalier habe ich das Verhalten der damaligen SPD damit quittiert, dass ich 50 Jahre lang das Maul gehalten habe über unsere Zusammenarbeit. Die Saukerle vom Spiegel, Stern hätten gerne herausbekommen, wer alles hinter unserer Aktion gestanden hat. (hier: Seite 105ff) |
Buchbesprechung:
Klaus Gietinger veröffentlichte im September 1992 in der "Internationalen wissenschaftlichen Korrespondenz zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" einen Bericht über die Ermordung von Rosa Luxemburg und die Versuche, die Täter vor einer Strafverfolgung zu bewahren. Im Jahr darauf publizierte der Decaton-Verlag sein Buch "Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung der Rosa L." (109 Seiten). Eine erweiterte Ausgabe davon nahm 1995 der Verlag 1900 ins Programm (189 Seiten). Parallel zu der Biografie "Der Konterrevolutionär Waldemar Pabst. Eine deutsche Karriere" von Klaus Gietinger (ISBN: 978-3-89401-592-3, 535 Seiten, 39.90 €) erschien im Januar 2009 in der Edition Nautilus die hier vorliegende überarbeitete Neuausgabe unter dem Titel "Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs".
Rosa Luxemburg wurde ins Auto geworfen wie ein Stück Vieh. Auch wenn man nicht jede einzelne Schlussfolgerung des Autors für zwingend und die Art der Darstellung für literarisch anspruchslos hält, muss man ihm Respekt für seine Arbeit zollen: Mit "Eine Leiche im Landwehrkanal" hat er maßgeblich zur Aufhellung der Vorgänge am 15. Januar 1919 beigetragen. Dabei ist Klaus Gietinger (* 1955) kein Historiker, sondern Sozialwissenschaftler, Drehbuchautor und Regisseur. Die Wahrheit über den Doppelmord – keiner hat sich um ihre Erforschung so verdient gemacht wie der Drehbuchautor und Regisseur Klaus Gietinger. (Volker Ullrich, "Die Zeit", 15. Januar 2009)
Der 73 Seiten umfassende Anhang des Buches "Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs" von Klaus Gietinger besteht nicht nur aus Anmerkungen bzw. Quellenangaben und einem Namensregister, sondern außerdem aus einer Reihe von Dokumenten im Wortlaut und Kurzbiografien von fünfzehn Personen, die in die Vorgänge am 15. Januar 1919 verstrickt waren. |
Inhaltsangabe und Rezension: © Dieter Wunderlich 2009
Rosa Luxemburg (Kurzbiografie) |