Und plötzlich war alles anders…

Im Sommerurlaub 1998 mit der Familie in Florida, spürte ich beim Joggen zum ersten Mal Schmerzen im Steißbeinbereich. In dieser Zeit arbeitete ich bei McDonald’s im Bereich Operations als Regional Manager, verantwortlich für die Neuen Bundesländer und Berlin.
Ich schob die Schmerzen auf die vielen Autofahrten, die ich zu absolvieren hatte, um neue Standorte für McDonald‘s zu akquirieren und zu bewerten.
Im Januar 1999 hielt ich es dann vor Schmerzen nicht mehr aus und wurde an einem Samstag zu einem CT (Computertomographie) in eine Berliner Klinik geschickt.
Das Ergebnis war niederschmetternd.
Ein bösartiger Tumor im linken Steißbeinbereich, ca. 8 cm groß.
Wie sich später herausstellte, nannte sich diese Krebsform Multiples Myelom oder auch Knochenmarkkrebs.
Zu diesem Zeitpunkt eine recht seltene Krebsart.
Ich war zuerst mit dieser Diagnose schlichtweg überfordert.
1000 Fragezeichen tauchten zur gleichen Zeit vor mir auf: Wie sag ich das meiner Frau und unseren beiden kleinen Töchtern? Was heißt das für meine Arbeit, meine Karriere – verliere ich meinen Job? Wie wird das am besten behandelt und wo? Muss ich bald sterben?
Meine Frau unterstützte mich die ganze Zeit über großartig, in jeder Phase der Therapie, die sich über fast zwei Jahre zog.
Die Familien im Hintergrund kümmerten sich liebevoll um unsere Töchter und mein Arbeitgeber, der damalige McDonald’s Vorstand unterstützte mich fabelhaft.
Im Frühjahr wurde der Tumor dann in einer Klinik in Bonn bestrahlt und tatsächlich, er ging zurück. Eine weitergehende Behandlung wollte man zu diesem Zeitpunkt nicht durchführen.
Abwarten, ob der Krebs weiter voranschreitet, war angesagt.
Und er tat es, schon wenige Monate später. Gerade hatte ich eine neue Regional Manager Position im Südwesten angetreten. Zum Jahreswechsel 1999/2000 musste ich noch in der Nacht eine Klinik aufsuchen. Schmerzen im gesamten Knochenbereich machten mir sehr schwer zu schaffen. Der Krebs begann von innen heraus, alles zu zerstören. In der Universitätsklinik Köln sagte man mir, dass ich bei optimalen Begleitumständen wohl noch rund zwei Jahre zu leben hätte – und das sei doch eine gar nicht so schlechte Prognose. Ich fand es war eine besch…. Prognose und ich wollte mich mit dieser Aussicht definitiv nicht zufrieden geben.
Durch Zufall erfuhr ich von einer Klinik in Little Rock in Arkansas, USA, in der ein Dr. Barlogie sich ausschließlich mit dem Multiplen Myelom beschäftigt. Er ist auf diesem Gebiet, auch durch seine Forschung, weltweit führend. Gott sei Dank spielte meine Krankenkasse mit und eine Woche nach der ersten Kontaktaufnahme waren meine Frau und ich im Flugzeug auf dem Weg nach Little Rock.
Um es kurz zu machen: Wir verbrachten fast das gesamte Jahr 2000 dort, meine Frau pendelte zwischen Heimat und Klinik. Ich bekam insgesamt 14 Chemotherapien, 2 Stammzelltransplantationen und eine Vielzahl von zusätzlichen Medikamenten.
Es war knallhart und manchmal war ich nahe dran aufzugeben, aber ich hatte die ganze Zeit ein großes Ziel vor Augen: Ich wollte meine Mädchen wiedersehen! Das gab mir Kraft.
Dr. Barlogie, die Schwestern und das gesamte Klinikpersonal waren “outstanding“ und um jeden Patienten extrem bemüht.
Alles andere – meine Karriere, mein Ansehen, berufliche Inhalte -  verschwand nach und nach aus meinem Bewusstsein. Es gab nur noch den nackten Kampf ums Überleben, und die große Dankbarkeit meinem Arbeitgeber gegenüber, der mich nicht fallen ließ.

Warum schreibe ich diese Zeilen?
Nun ja, das Ganze ist jetzt elf Jahre her und ich lebe immer noch. Gerade sitzen meine Frau und ich auf dem Flughafen von Little Rock. Wie jedes Jahr waren wir eine Woche hier zur Nachkontrolle und wieder bringen wir ein tolles Ergebnis mit nach Hause:
Immer noch ohne Rückfall, und das nach 11 Jahren!
Meine Karriere konnte ich im Übrigen 2002 fortsetzen. Aber anders.
Mein übertriebener Ehrgeiz wich einer manchmal übertriebenen Zurückhaltung und Vorsicht. Ich bin einfach nur froh keine Schmerzen mehr zu haben, alles andere hat nicht mehr den Stellenwert von früher.
Ich möchte hier aber auch an alle Personalabteilungen und Vorgesetzten appellieren, Langzeitkranke nicht zu früh abzuschreiben und ihnen Unterstützung zu gewähren, solange es geht. Das wirkt sich enorm positiv auf die Psyche aus und ist somit gut für den Heilungsprozess.
Das kann ich aus eigener Erfahrung sagen.

Kommentare

  1. Lieber Herr Göbel,

    beachtlich, so viele Menschen an Ihrer ganz persönlichen Geschichte teilhaben zu lassen. Wunderbar, dass Ihre Krankheitsgeschichte dann doch letztlich einen solch guten Verlauf genommen hat. Und – das darf ich sagen, als jemand, der Sie persönlich kennt – diese Biographie erklärt so manches. Sie können sich denken, dass ich das rundum positiv meine.

    Ihrem Appell am Ende Ihres Blogeintrags kann ich mich nur anschließen – denn Menschlichkeit und wirtschaftlicher Erfolg müssen sich keineswegs ausschließen. Auf Sicht vermute ich eher: Ganz im Gegenteil!

    Alles Gute und viele Grüße, Carmen Bergmann

  2. Interessanter Artikel! Ich werde da nochmal versuchen mehr zu erfahren!

  3. super text dad , sehr ergreifend und toll geschrieben .. !
    hab dich lieb

  4. Phänomenal, diese Offenheit!

  5. Lieber Wolfgang, was für ein toller Beitrag! Danke! Ich kann viele Sorgen die Du beschrieben hast nachvollziehen, weil mich auch diese Krankheit eingenommen hat. Mit dem nötigem Rückhalt der Vorgesetzten wird einiges einfacher…Danke!

  6. Lieber Herr Goebel, schön, dass der Blog nun auch für private Einträge genutzt wird. Und: ich freue mich für Sie und Ihre Familie, dass alles gut ist.
    Liebe Grüsse aus Gladbach und hoffentlich bis bald mal!

  7. Ich freu mich das es Ihnen gut geht und hoffe das es noch lange so bleibt,Sie waren mal vor 20 Jahren mein Chef,vielleicht erinnen Sie sich alle riefen mich Ecki,also ich wünsche Ihnen alles Gute lg

    • Liebe Frau Eckardt,
      natürlich kann ich mich noch an Sie und vorallem Ihren Fleiß und Einsatz erinnern! Die Zeit in Köln war sehr schön, ich habe in dieser Zeit viel gelernt. Ich hoffe es geht Ihnen gut.
      Herzliche Grüße,
      Wolfgang Goebel.

  8. Lieber Wolfgang Göbel,
    vielen Dank für diesen Beitrag1 Er gibt mir Mut und hilft zu relativieren, was ich gerade selbst durchlaufe.
    Liebe Grüße aus Kirchheim, Norghessen, bzw z.Zt IBZ Kassel. Uly Robinson

    • Lieber Herr Robinson,
      es freut mich, dass ich Ihnen helfen konnte. Ich wünsche Ihnen weiterhin ganz viel Kraft.
      Herzliche Grüße zurück,
      Wolfgang Goebel

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