Nina Bußmann: Große Ferien : Nach mir das Unkraut
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Bild: Suhrkamp Verlag
Mit „Große Ferien“ hat die Debütantin Nina Bußmann einen erstaunlich lebensklugen Roman über die Frage geschrieben, wie man ein Eigenbrötler wird.
Der Suhrkamp Verlag ist zu beneiden - oder zu bedauern. Da hat das Haus gleich zwei junge Schriftstellerinnen an sich gebunden, und dann schreiben die beiden Romane, deren Ähnlichkeiten so frappierend sind, dass man sie keinesfalls gleichzeitig veröffentlichen kann. Nina Bußmann und Judith Schalansky, beide 1980 geboren, widmen sich einer Lebensphase, der sie eigentlich längst entwachsen sind: Sie kehren beide zurück an die Schule. Und selbst wenn man davon ausgehen darf, dass sie sich weder abgesprochen haben, noch die eine bei der anderen abgeschrieben hat, wird es sich kaum vermeiden lassen, dass bald sehr viele Leser sagen werden: Die Bußmann ist wie die Schalansky.

Redakteurin im Feuilleton.
Dafür kann Nina Bußmann nichts. Ihr Debütroman „Große Ferien“, aus dem sie im vergangenen Sommer beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt einen Auszug las und mit dem sie einen Preis gewann, sei, wie sie sagte, schon damals fertig gewesen. Aber weil er eben so vollständig in das gleiche Universum eintaucht wie Judith Schalanskys Roman „Der Hals der Giraffe“, der im vergangenen Herbst erschien, erreicht Bußmanns Werk die Buchhandlungen erst in diesen Tagen.
Den Vergleich mit der Vorgängerin braucht sie indes nicht zu scheuen. Ja, auch sie macht einen Lehrer zur Hauptfigur ihres Werks, der ein seltsam intimes Verhältnis zu einem seiner Schüler pflegt. Auch bei ihr ist dieser Lehrer ein Eigenbrötler erster Güte, einer von denen, deren Unglück die Schüler sofort erahnen, ein Mensch, den eine Reihe von größeren und kleineren Demütigungen bitter und ungesellig haben werden lassen. Und auch bei Nina Bußmann spiegelt sich der Zwangscharakter dieses tragischen Helden in seinem Blick auf die Natur, die in dem Roman als Bedrohung erscheint, als Großmetapher für das stets scheiternde menschliche Bemühen, eine bleibende Ordnung zu errichten. Auch ihr Roman erweist so im Grunde einer vor fast genau einhundert Jahren erschienenen Erzählung die Ehre, die sich ebenfalls dem wahnhaften Ringen eines Menschen mit der Natur widmete, Alfred Döblins „Die Ermordung einer Butterblume“.
Aus dem Innenleben des Lehrers entsteht der Ton
Den ganzen Roman hindurch nennt Nina Bußmann ihren Lehrer nur beim Nachnamen: Schramm. Der eine Tag aus seinem Leben, den sie schildert, beginnt mit der Arbeit im Vorgarten, in dem Schramm für gewöhnlich viele Stunden damit verbringt, Unkraut zu zupfen. Dabei offenbart sich in der Art, wie er den Pflanzen zu Leibe rückt, die sich zwischen den Gehwegplatten ausbreiten, seine manische Pedanterie: „Schramm scharrte. Er hieb die Spitzhacke tief in die Ritzen, bis er die Stränge der Wurzeln zu fassen bekam, und lockerte sie in kleinen, wiederholten Bewegungen, einem Rucken und Heben. Manche Triebe ließen sich dann sogar schon mit den Fingern herauszupfen, andere durch Ziehen mit verkanteter Klinge heranholen; abschließend schabte er die Reste der Wurzelhärchen aus der Fuge.“
Damit ist der Ton vorgegeben, in dem sich die Geschichte bewegt. Es ist Schramms Ton, denn aus seinem Innenleben entsteht der Roman. Wie es Gedanken eigen ist, sind sie jedoch nicht zielgerichtet, so dass der Leser zwar einiges über Schramms Leben erfährt, vieles aber im Ungefähren bleibt. Dass Schramm unter einem strengen Vater und einer schwachen Mutter litt, dass er im Vergleich mit dem Bruder Viktor, dem früh die Mädchenherzen zuflogen, immer den Kürzeren zog, dass er eigentlich gar nicht Lehrer werden wollte und sich schließlich an der Schule den Ruf eines Tyrannen erworben hat - all diese Informationen werden dem Leser gleichsam en passant zuteil, wobei die Beiläufigkeit, mit der Schramm sie erinnert, den Dingen nur vordergründig den Schrecken nimmt. Darin liegt eine große Stärke dieses Romans: Wie das unaufhaltsam sich ausbreitende Unkraut langsam, aber stetig durch den Garten wuchert, so ergreift auch das Grauen allmählich vom Leser Besitz. Irgendwann ist man bereit, hinter Schramms Fernbleiben von der Schule ein echtes Verbrechen zu vermuten.
Vom aggressiven Potential der Verschrobenheit
“Etwas ist vorgefallen“, heißt es denn auch an einer Stelle, und in dieser passiven, unpersönlichen Formulierung, die klug gewählt ist, spiegeln sich sowohl die Anlage als auch die Dramatik des gesamten Geschehens. Denn was genau vorgefallen ist, wird man nicht erfahren, und strenggenommen ist es auch nicht entscheidend. Es reicht zu wissen, dass Schramm mit dem Schüler Artur Waidschmidt aneinandergeraten ist, nachdem sich die beiden zuvor eine Weile recht nah gestanden haben. Ob homoerotische Neigungen auf Seiten des Lehrers eine Rolle spielten? Gut möglich. Ob Waidschmidt einfach nur ein böses Spiel mit Schramm trieb? Auch möglich. Sicher ist nur, dass es Waidschmidt war, der die Pausen zunächst lieber mit dem Lehrer verbrachte, bevor er später doch die Gesellschaft von seinesgleichen, vor allem von einem Mädchen, vorzog. Was bleibt, sind Verdächtigungen und Mutmaßungen - und zwar sowohl auf Seiten Schramms als auch auf Seiten des Lesers.
Denn auf ähnliche Weise wie Schramm, der im Laufe seines Lebens immer tiefer in einen Sog aus verschwörerischen Gedanken, Zweifeln und diffusen Ahnungen gerissen wird - und zwar so lange, bis diese Gedanken sein Leben selbst werden -, so verfängt sich auch der Leser in einer Folge von Ereignissen, die er gewissermaßen nur vom Hörensagen kennt und die ihn seltsam beunruhigt zurücklassen. Für Schramm werden die kruden Ahnungen schließlich zu Gewissheiten, weil es ihm nicht mehr gelingt, sie mit anderen zu teilen und an anderen auszuprobieren. Genau dies vergrößert seine Isolation und macht ihn zu dem Außenseiter, als der er uns entgegentritt.
Es zeugt von großem Talent, mit welcher Sicherheit sich Nina Bußmann in den Kopf dieses sonderbaren Menschen versetzt und mit welcher Selbstverständlichkeit sie den Leser auf diese Reise mitnimmt. Sie erzählt davon, wie jemand verschroben wird - und welches aggressive Potential in so einer Einsamkeit lauert. Ein lebenskluges, erstaunlich reifes Debüt.