Staatstrojaner : Code ist Gesetz
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Bild: dapd
Die Enttarnung des Staatstrojaners ist eine gewaltige Zäsur. Wer heute regiert, herrscht auch mit Code. Welche Instanz kontrolliert den mächtigen Text?
Der Staatstrojaner, dessen Selbstmordprogramm offenbar versagt hat, wurde von Hackern gefunden, wiederhergestellt und dann wieder in seine Bestandteile zerlegt. Das Ergebnis, wenn die Analyse des Chaos Computer Clubs zutrifft, ist eindeutig, und das Ergebnis ist schlimm: Die staatliche Überwachungssoftware verfügt nicht nur über illegale Fundamentalfunktionen, sie scheint auch so fahrlässig programmiert zu sein, dass jeder, der den Trojaner entschlüsselt hat, alle anderen gleichartigen knacken und fernsteuern kann. Welche Beweiskraft sollen Erkenntnisse der Überwachungssoftware jetzt eigentlich in Gerichtsverfahren noch haben? Und vor allem: Was heißt es, wenn, wie die Hacker zeigen, „Beweise“ von jedermann, der die IP-Adresse kennt, auf befallenen Computern installiert und fingiert werden können, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen, ohne die Chance der Rehabilitation? Der Fall HSH-Nordbank, wo von Privatschnüfflern kinderpornographisches Material auf einen Rechner plaziert wurde, ist ein Vorzeichen der neuen Vernichtungsstrategien in der digitalen Welt.
Mehr noch: Computer sind nicht nur Kommunikations-, sie sind Denkwerkzeuge. Die sekundengenaue und lückenlose Dokumentation des Bildschirminhalts (weitergeleitet in die Vereinigten Staaten und von dort wieder nach Deutschland) überwacht das Denken selbst, als Entstehungsstufen eines Textes: niemals verschickte Mails, digitale Selbstgespräche. Was hier technologisch geschieht, ist wirklich das nackte Grauen. In Zeiten einer „Piratenpartei“ kann der Fund des Chaos Computer Clubs die politische Geographie nachhaltig ändern.
Grundsätzlich kann der Trojaner immer alles
Denn kleinreden kann man ihn nach heutigem Kenntnisstand nicht. Es gibt überhaupt nur einen Grund, warum er einen nicht gänzlich aus der Fassung bringt, es ist, paradoxerweise, das Vertrauen in den Staat. Wir sind kein Land, das dafür bekannt wäre, dass Richter und Staatsanwälte das Gesetz beugen. Sie haben aber im Zweifelsfall ebenso wenig Ahnung von der Komplexität der Software wie jeder andere Bürger. Fast jeder, das Bundesverfassungsgericht ebenso wie die Hacker des Chaos Computer Clubs, sind dafür, dass schwerste Verbrechen auch mit Mitteln der Überwachung verhindert oder geahndet werden können - sofern der rechtliche Rahmen gewährleistet ist.
Das aber ist keine Beruhigung. Im Gegenteil. Die gefundene Software kann offenbar immer alles. Es ist nur die Frage, was man in ihr anschaltet oder abschaltet. Nur die Funktion, die ihr das ermöglicht, ist getarnt - die Programmierer wussten also, dass nicht in Ordnung war, was sie taten. Wer wusste es noch? Und wer kann den Maschinen-Text verstehen, der das verrät?
Die neue Machtfrage in der Demokratie
In Frage steht nicht mehr, wir moralisch und grundgesetztreu unsere Institutionen sind, in Frage steht mittlerweile, wer die Macht in der digitalen Gesellschaft hat. Es ist eine Frage, die sich überall ergibt, wo digitale Systeme die Herrschaft übernommen haben: von den Finanzmärkten über die sozialen Netzwerke bis hin zum Staat. Schon vor Jahren hat der amerikanische Jurist Lawrence Lessig die Formel geprägt: „Der Code ist das Gesetz.“ Gemeint war damit, dass diejenigen, die codieren, über die Werte in den modernen Gesellschaften entscheiden. Während das digitale Zeitalter eine der größten Emanzipationen des Menschen seit Erfindung des Buchdrucks bringt, bedroht es ihn gleichzeitig mit einer dramatischen Entmächtigung seiner Freiheit. Wer entscheidet über die Werte in der digitalen Gesellschaft? Der Bürger oder die Codierer und ihre Auftraggeber? Das ist die neue Machtfrage in der Demokratie, und sie ist, wie man am vorliegenden Fall sieht, im Begriff, zugunsten des Codes entschieden zu werden.
Wir sollten uns nicht einreden, dass niemand, der die Macht hat, sie nutzt. Überwachungssoftware, die bei Geheimdiensten möglich ist, gewinnt bei Polizei und Justiz ein völlig neues Gewicht. Hier drohen Polizeiapparate selbst zu Schatten von Geheimdiensten zu werden - mit dem gravierenden Unterschied, dass sie ihre Erkenntnisse als Beweise vor Gericht bringen.
Wie wird der Staat Code und Gesetz harmonisieren?
Wer hat die Macht über die Programmierer? Wer bestellt den Code? Reicht es wirklich, nur auf die Grundgesetztreue des Staates und seiner Diener zu hoffen, wenn der Code, den nur die Auftraggeber und die Eingeweihten verstehen, diese Treue bereits durchbricht? Alle diese Fragen sind unbeantwortet. Nicht nur Menschen und Branchen revolutionieren durch das Netz ihre Architektur. Wir sehen jetzt: Der Staat selbst tut es. Von der Frage, wie er Code und Gesetz in Einklang bringt, hängt die Freiheit des Einzelnen ab.
Jetzt, seit dem Erfolg der Piratenpartei, besteht die Chance, dass diese Aufgabe zum Gegenstand von Realpolitik wird. Dazu aber ist es nötig zu erkennen, dass die neue Welt nicht nur schön ist und neu, sondern das Zeug dazu hat, den Staat zum Ungeheuer zu machen.