Irmgard Keun

geboren am 6. Februar 1905 in Berlin
gestorben am 5. Mai 1982 in Köln

deutsche Schriftstellerin
30. Todestag am 5. Mai 2012


BiografieWeblinksLiteratur & Quellen


Biografie

Ihre Biographie liest sich so spannend wie die sieben Romane, in denen sie einen einmaligen, psychologisch scharfsinnigen und ironischen Einblick in die “deutsche Wirklichkeit” (Klaus Mann) vom Ende des ersten Weltkriegs bis zur zweiten Nachkriegszeit bietet. Und sie selbst muß oft so mutig und frech gewesen sein wie ihre jungen Protagonistinnen, wenn auch bei weitem nicht so naiv.

Als Tochter wohlhabender, liberal gesinnter Eltern verbrachte Irmgard Keun ihre Kindheit in Berlin und Köln – Städte, die unverwechselbar in ihre Romane eingehen durch die genau abgehörte Sprechweise der Figuren und die vielen visuellen Details. Nach einer kurzen Laufbahn als Schauspielerin wurde Keun fast über Nacht bekannt durch ihren ersten Roman Gilgi, eine von uns (1931), der in einem Jahr eine Auflage von 30 000 erreichte. Fast ebenso erfolgreich war Das kunstseidene Mädchen (1932); der Roman handelt wie Gilgi von einer jungen Frau, die sich über ihre kleinbürgerlichen Ursprünge hinaussehnt, sich im Geiste der Neuen Frau behaupten und unabhängig leben will, obgleich das, gerade in der späten Weimarer Zeit, als durchaus schwierig und problematisch geschildert wird.

Keun mußte selbst ähnliche Schwierigkeiten erleben, als die Nazis an die Macht kamen und ihre Bücher verboten wurden. Mit einer für sie typischen Tollkühnheit versuchte sie, durch eine Klage gegen die Regierung das verlorene Geld wiederzubekommen, lenkte dadurch aber nur die Aufmerksamkeit der Gestapo auf sich. 1936 ging sie nach Ostende ins Exil. Ihr 27 Jahre älterer Gatte Johannes Tralow blieb in Deutschland zurück, während der heimliche Geliebte, der jüdische Arzt Arnold Strauss, in Amerika auf sie wartete. Anderthalb Jahre war Keun die Gefährtin des österreichischen Schriftstellers Joseph Roth, mit dem sie quer durch Europa reiste, beide unter ständigem Druck wegen Geld oder Visa. In dieser schwierigen Zeit verfaßte sie trotzdem drei Romane, in denen sie ihre Erlebnisse in Nazi-Deutschland (Nach Mitternacht, 1937) oder im Exil (D-Zug dritter Klasse; Kind aller Länder, 1938) verarbeitete. Wieder ist es die scheinbar naive Perspektive einer jungen Frau oder eines Mädchens, die der Erzählung ihren besonderen Ton, ihre Frische und Unmittelbarkeit verleiht.

Nach der Trennung von Roth und einem Besuch bei Strauss in Virginia Beach, USA, fand sich Keun 1940 bei Einmarsch der Deutschen ohne Geld und Paß in Amsterdam. Sie konnte sich noch retten, indem sie einen SS-Offizier überredete, ihr einen falschen Paß zu besorgen, mit dem sie wieder nach Deutschland reiste, wo sie illegal und anonym das Ende des Krieges abwartete.

Nach dem Krieg versuchte Keun, mit Feuilletons und einem Roman (Ferdinand, der Mann mit dem freundlichen Herzen, 1950) als Schriftstellerin wieder Fuß zu fassen. Die 1936 im Ausland erschienene Erzählung über ein im ersten Weltkrieg heranwachsendes aufsässig-scharfsinniges junges Mädchen (Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehren durften) fand in der Radio-Bearbeitung großen Widerhall, aber sonst gelang Keun in der konservativen Nachkriegsära das Come-back nicht, und allmählich verstummte sie. 1951 gebar sie ihre Tochter Martina, deren Vater sie nie bekanntgab. Ihre Alkoholprobleme verschärften sich; zweimal ging sie deswegen in eine Anstalt, zuletzt für sechs Jahre (1966-72). Erst in den späten 70er Jahren wurde sie wiederentdeckt, ihre Werke wurden neu aufgelegt, und sie erhielt, ein Jahr vor ihrem Tod, den ersten Marieluise-Fleißer-Preis der Stadt Ingolstadt.

Zitat:

Alle haben schreckliche Angst vor diesem jungen, im Tiefsten unsicheren und scheuen Geschöpf, weil sie im Grunde nicht den Worten, sondern den Gedanken der Menschen lauscht und es sehr unheimlich ist, auf seine Gedanken statt auf seine Worte Antworten zu bekommen, zumal von einer Humoristin.
(Arnold Strauss über Irmgard Keun (1934, Briefe 51-52))

Joey Horsley

Seitenanfang



Links

Rolf Löchel über Keun zum !00. Geburtstag

Sonja Hilzinger über Keun zum 105. Geburtstag

Seitenanfang


Literatur & Quellen

Häntzschel, Hiltrud. 2001. Irmgard Keun. Rororo Monographie. Reinbek bei Hamburg. Rowohlt TB.

Horsley, Ritta Jo. 1988. “Irmgard Keun”, in: Dictionary of Literary Biography. Vol 69. [Contemporary German Prose Fiction: 1945 to the Present]. Hg. Wolfgang D. Elfe & James Hardin. Detroit. Gale Research Company.

Horsley, Ritta Jo [Joey]. 1990. “‘Warum habe ich keine Worte? . . . kein Wort trifft zutiefst hinein.’: The Problematics of Language in the Early Novels of Irmgard Keun”. Colloquia Germanica 23, 3-4 (1990): 297-313.

Horsley, Ritta Jo. 1992. “Irmgard Keun (1905-1982): ‘Auf dem Trittbrett eines rasenden Zuges’ - Irmgard Keun zwischen Wahn
und Wirklichkeit”, in Duda, Sibylle & Luise F. Pusch. Hg. 1992. WahnsinnsFrauen. Frankfurt/M. suhrkamp TB 1876. S. 280-308.

Horsley, Ritta Jo [Joey]. 1993. “Witness, Critic, Victim: Irmgard Keun and the Years of National Socialism”, in Gender, Patriarchy and Fascism in the Third Reich: The Response of Women Writers. Hg. Elaine Martin. Detroit, MI. Wayne State Press. 65-117.

Horsley, Ritta Jo [Joey]. 1998. “Irmgard Keun”, Women Writers in German-Speaking Countries: A Bio-bibliographical Critical Sourcebook. Hg. Elke Fredriksen & Elizabeth Ametsbichler. Westport, CT; London. Greenwood. 233-43. 

Horsley, Ritta Jo [Joey]. 2000. “‘This Number is Not in Service’: Destabilizing Identities in Irmgard Keun’s Novels from Weimar and Exile.” In Facing Fascism and Confronting the Past: German Women Writers from Weimar to the Present. Hg. Elke Frederiksen & Martha Wallach. Albany, NY. SUNY. S. 37-60.

Keun, Irmgard. 1988. Ich lebe in einem wilden Wirbel: Briefe an Arnold Strauss, 1933-1947. Hg. Gabriele Kreis und Marjory S. Strauss. Düsseldorf. Claassen.

Keun, Irmgard.1983 (1954). Wenn wir alle gut wären: Kleine Begebenheiten, Erinnerungen und Geschichten. Hg. Wilhelm Unger. Köln. Kiepenheuer & Witsch.

Krechel, Ursula. 1979. “Irmgard Keun: Die Zerstörung der kalten Ordnung: Auch ein Versuch über das Vergessen weiblicher Kulturleistungen.” Literaturmagazin 10: 103-128.

Kreis, Gabriele. 1993 [1991]. “Was man glaubt, gibt es”: Das Leben der Irmgard Keun. München. Heyne TB.

Steinbach, Dietrich. 1985. “Irmgard Keun”, Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Hg. Heinz Ludwig Arnold. München. Edition text + kritik. S. 1-11.

Seitenanfang

Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.

Share Tweet Mail Druck

Seitenanfang

Hedwig Dohm