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Autorenbuch Marc Mrosk BAD WEATHER – FIXPOETRY.com

Gewählter Autor: Marc Mrosk

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BAD WEATHER


Draußen nieselte sich der Regen auf den Straßen aus und die Jungs saßen in der warmen Bude, spielten Karten und rauchten Erdbeertabak.  

“Gib mal die Pfeife rüber”, sagte der mit den langen Haaren und der Brille. Sein Name war Mellow.

“Danach will ich”, sagte der mit den kurzen, der Stark hieß und der andere, Hong, rauchte mit einem Lächeln auf den Lippen. Plötzlich donnerte es draußen und vor Schreck schlug sich Hong das Ende des Mundstücks unter die Vorderzähne.

“Ah!” schrie er und lachte und die anderen lachten mit. Er entzündete das Feuerzeug und ließ den Tabak erneut  aufglühen. Behutsam, wie bei einer Mund-zu-Mund Beatmung zog er den Rauch ein und rieb dann mit der Zunge über die Zähne. Er hustete ein wenig und musste sofort wieder anfangen zu lachen. Er hatte gute Laune, warum auch nicht, er stand kurz davor die vakante Stelle als Lay-Outer in einer großen Werbeagentur in Berlin anzunehmen. Sie hatten ihn gefragt und um baldige Antwort gebeten. Er hätte sie ihnen auch gestern gleich am Telefon geben können, aber er wollte diesen Erfolg, der für ihn zwar nicht ganz fremd, aber in dieser Form ein vollkommen neues Gefühl war, so lange es nur möglich war, genießen. Sie würden sogar auf ihn warten. Sie würden auf seine Antwort warten. Hong gab die Pfeife an Stark weiter und blickte aus dem Fenster. Eins, zwei Blitze konnte er noch ausmachen und dann waren sie verschwunden. Feuchte Straßen blieben zurück und dann drängte sich die Sonne wieder durch.

Mellow und Stark rauchten und verweilten mit dem süßlichen Geschmack auf der Zunge. Hong lächelte dem Fenster und der Sonne entgegen. Er wollte raus und mit ihr tanzen. Er schmähte nach einem Joint und einer Flasche Wein.

„Besorg was zu essen“, sagte Mellow und Hong bot sich freiwillig als Laufbursche an. „Und Grass“, sagte er und die anderen waren überredet. Ihm war heute nichts zuwider und egal, was sich in seinen Kopf verirrte, konnte diese innere Euphorie nicht ins Wanken bringen. Nicht mal das Wetter störte ihn, auch nicht die Wolken, die sich erneut wie ein Todesgeschwader am Himmel neu formierten, um gleich noch mal richtig loszuschlagen. Stark klopfte Hong auf die Schulter und nickte. Er wusste, dass Hong es geschafft hatte und umarmte ihn kurz, als wäre es schon der Abschied. „Nun übertreib’s nicht. Ich bin gleich wieder da.“

***

Mellow lag wie ein erschossenes Tier auf der Couch, verfiel den Explosionen und den schreienden Vietcongkämpfern, die er auf dem Bildschirm verfolgte und ließ langsam einen misstrauischen Gedanken zu, als er seinen Blick auf zum Fenster richtete.

„Es hagelt schon wieder“, sagte er mit träger Stimme und schob seine Brille auf der Nase hoch. Stark schaute auf und kniff die Augen zusammen, als ihn hunderte von Lichtern durch das Fenster blendeten.

„Das ist kein Hagel“, sagte er und nahm ein Geräusch war, dass ihn veranlasste den Ton des Fernsehers auszustellen. Explosionen waren noch zu hören, allerdings um ein mehrfaches leiser. Er steckte sich den kleinen Finger ins Ohr, weil er einen Tinnitus vermutete, doch das war es nicht. Es kam definitiv von draußen. Es klang nach Krieg, aber nicht solche, wie er sie aus dem Fernsehen kannte. Nimm den zweiten Weltkrieg und gib jedem Soldaten ein Luftgewehr für die Straßenkämpfe in die Hand und du bist verdammt nah dran an diesem Geräusch.

„Was ist das?“ Mellow setzte sich auf.

Stark stand kurz darauf am Fenster und blickte hinaus. Wie ein Blitzlicht schoss es ihm entgegen und er konnte nur noch an Hong denken, der sich in diesen Minuten irgendwo dort draußen befand mit Hamburgern und einem kleinen Beutel Grass in der Hand und einem zerschnittenen Kopf. Er musste ihm verdammt schlecht gehen, das war Stark in diesem Moment bewusst.

„Das sind keine Hagelkörner“, sagte er, „das sind Glassplitter.“

***

Ein Teebeutel gefüllt mit Reißzwecken, den man richtig durchschüttelt. Daran dachte Hong, als er mit blutendem Kopf und zerrissenem Sweater in einem Häusereingang lag und nach draußen ins Chaos blickte. Die Glashügel vor der Tür wurden immer höher und vermischten sich zu einem funkelnden Ozean. Hongs Hände waren voller Blut, weil er es nicht lassen konnte, sich die Stirn zu wischen. Mehr Tropfen konnten seine Augen nicht mehr aushalten und seine Schulter fühlte sich an, als hätte man diese mit einem Lederriemen traktiert. Sein Hals war blutverschmiert und Hong hatte die Befürchtung, dass genau diese Wunde ihn schaffen wird. Hin und wieder sah er draußen einige Leute vorbei laufen oder zu Boden fallen, von Panik und schreiendem Schmerz begleitet. Ein älterer Mann kroch auf allen Vieren dem Eingang, in dem Hong saß, entgegen. Seine Hände und Knie bis auf die Knochen aufgeschnitten, doch dann brach er unter der Last der herab fallenden Scherben zusammen. Die Jacke bekam erste Risse, aus denen bald Flüsse aus Blut herausliefen.

Hong zog sein Handy aus der Tasche, schloss die Augen und fühlte die Wärme des Blutes auf seinem Gesicht. Es wurde dunkel und alles was blieb, war das zitternde Freizeichen in seinem Ohr, bis ihn eine junge Frauenstimme zum letzten Mal wach küsste.

„ForMedia Werbeagentur, Hampe, Guten Tag.“
„Guten Tag…“, begann Hong, „hier ist Hong Tebe. Ich rufe an, um zu sagen, dass ich den Job nehme.“
 

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