wartezeit
Liebe Monika Vasik, lieber Timo Brandt,
Ihre Beobachtungen bringen so viele Dinge in so kurzer Zeit auf den Punkt, vielen Dank dafür. – Ja, die Angst geht wohl um in diesem Buch, die Angst vorm Verschwinden, obwohl der Schreibprozess an sich glücklicherweise angstlos war. Und ja, dieses Buch ist eng an meinem Leben entlang geschrieben, das lässt sich nicht leugnen, denn alle Konzepte sind mir schon vor Jahren abhanden gekommen. Überhaupt: Zerfallen nicht alle Konzepte wie ausgetrocknete Sandburgen im Kopf, sobald sich die Momente häufen, wo wir uns nicht mehr unsterblich fühlen?
Der erste große Zyklus des Bandes war „gespräch mit einem toten freund“, geschrieben im Sommer 2013 auf einem Campingplatz in Schmöckwitz bei Berlin. Gerade war mein ältester Freund in einem Leipziger See ertrunken und ich saß (gezwungenermaßen) auf diesem Campingplatz, im Familienurlaub, und war ein Sack voller Unruhe und Angst. Nur in den Mittagspausen, wenn mein 2-jähriger Sohn schlief, konnte ich kurz denken, schreiben, versuchen, die Angst zu bannen, sie vielleicht sogar umzuwandeln in Hoffnung … Erlösungssehnsucht (wie Monika K. so schön sagt).
Um dieses Ereignis herum hat sich der Band im Grunde allmählich aufgebaut. Der Tod des ältesten Freundes, und gleichzeitig der Tod eines Menschen in meinem Alter, ließ mich (noch stärker als nach dem Tod meines Vaters) rauschhaft-verzweifelt alle möglichen Suchbewegungen ausführen. Eine wilde Mischung aus Neuem Testament, Kierkegaard und Einstein-Podolsky-Rosen-Paradoxon brodelte sich zusammen, eine für mich tröstliche Mischung aus Gebeten, „Gottesbeweisen“ und „spukhafter Fernwirkung“. Mal der Wunsch, den Verstand zu kreuzigen, um ins religiöse Stadium überzutreten, mal der Wunsch, sich des Verstandes noch viel stärker zu bedienen, um Trost aus unsterblichen Teilchen zu schöpfen …
Kierkegaard schreibt, dass das zu Gott existenzielle Verhalten immer nur momenthaft geschehen kann, man immer wieder zurückfällt (in die eigene Existenz mit all ihren Ängsten) und der Sprung in den Glauben immer wieder neu zu tun ist. Das stimmt, denke ich, und das macht die Sache nicht weniger anstrengend. So einen Moment, so einen Sprung wie Kierkegaard sagt, hatte ich bisher nur einmal, das ist jetzt 15 Jahre her (siehe: „nur einmal konnte ich dich erkennen“, S.117) und ich habe große Lust, dass es wieder passiert. Aber solche Momente sind Geschenke, Offenbarungen, nicht erzwingbar oder erlernbar. Mit Gedichten kann ich die „Wartezeit“ am besten, am ruhigsten, überbrücken … das ist vielleicht schon der Kern meiner ganzen Umkreisungen.
Diesmal habe ich die 1000-Zeichen-Grenze eindeutig gesprengt, beim nächsten Mal fasse ich mich kürzer, versprochen!
Mit besten Grüßen, Carl-Christian Elze