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Bertram Reinecke,

Lieber Frank,

Ich finde Dein Bild von Karten, denen andere neue Karten hinzulegen möchten sehr hilfreich. In der Taz buttert bereits Max Czolek eine Karte hinein, weil er hofft, dieser Stich würde auf seine Seite fallen. Dass Nora Bossong diesen Stich dann öffentlich zieht, ist ärgerlich. Sie kann sich darauf verlassen, dass Kuligk vorher in der Taz allen Mitspielern, die Lyriker sind, die Farbe „Kompetenz“ blank gespielt hat.
In der Tat: Schon die Taz befeuert ein Missverständnis, das sich dann fortgeschleppt hat. Dieser Artikel ist aber tastendender ausgefranster als spätere. (Man will sich dann nicht beklagen, wenn er in Tageszeitungseile verluscht aber dennoch versucht, eine Breite einzufangen, ist ja heute leider keine Selbstverständlichkeit.) Wie wenig gehört dazu, ihn dann zu Vereinseitigen in Richtung eines ohnehin virulenten Missverständnissses, wie der Zeitartikel es getan hat!
Es gibt natürlich viele andere Karten im Spiel und es wäre interessant, wo welche Karte noch hinzu gelegt wurde …
Für mich irritierend, wie dennoch das Bedürfnis über Jan Wagners Lyrik zu reden, aber ganz dominant bleibt, obwohl Kuligks problematischer Stich und Bossongs Artikel es sehr erschwert haben, gerade jetzt darüber zu reden. Danke auch für die Klarstellung: Wer aus der ShortlistLyrik auswählen wollte, konnte nur Wagner wählen, egal wie sehr sein Herz gerade an Wagner oder vor allem an der Lyrik hängt. In Deiner Deutlichkeit ist das eine erfrischend wahre Feststellung. Sie hat mich zum Nachdenken angeregt: Warum haben dies Argument nicht diejenigen im Munde geführt, die gegen eine Wagnerdebatte zum jetzigen Zeitpunkt sind? Es hätte doch etwas schlagendes gehabt. Ich sehe, dass Ihnen da mehr als ich bisher vermutete tatsächlich um Wagner ging, dessen öffentliches Lob sie von ganzem Herzen billigen und kein My davon abgezogen wissen wollen. Hatte ich noch nicht dran gedacht ... Man müsste schon das scharf kritsiche Urteil eines Alex H. haben, welches sichtlich so fundamental ist, dass es ihn von dem Verdacht freispricht, er meine ausschließlich und ausgerechnet Wagner will man z.B. die Jury treffen. Er hat aoffenbar von Anfang an eine grundsätzliche andere Meinung dazu, was Lyrik heute sein sollte und Wagner gehört gar nicht dazu? Soweit habe ich ihn verstanden. Aber ich verstehe ihn erfahrungsgemäß nicht sonderlich gut. (Ich meine jedenfalls einer Stimme mit ähnlichem Gestus öfters auf Lyrikzeitung begegnet zu sein und identifiziere ihn mit einem Autor aus Schreibheft Nr.79.)
Zurück zu Deinem Beitrag: Ja, ich kenne das Gefühl auch, was da getriggert werden kann. Und manchmal bricht es sich vielleicht auch Bahn. Es sind ja seltsame Situationen, denen man als Lyriker begegnet. Ich habe auch Lesungsansetzungen unter dem Label „Lyrik“ schon als großes Missverständnis erlebt: Das hier ist doch gar nicht in irgendeinem relevanten Sinne „etwas von demselben“. Der teils vielleicht manchmal berechtigte Schmerz bei Auswahlprozessen nicht adäquat wahrgenommen zu werden, stumpft doch aber die Leidenschaften auch sehr schnell ab. Sei es, dass er sonst zur Gewohnheit weren müsste, was niemand ertrüge und man sich abwendet, sei es, dass es immer wieder oder auch hier und da dann doch auch schöne Gelegenheiten für die eigenen Texte gibt. So habe ich das Gefühl, dass sich Leute in diesem Segment des Betriebes unabhängig davon, ob sie vergleichbare Sachen machen, auch oft durch eine gewisse Selbstdistanz menschlich auszeichnen. Naturgemäß muss ich mich hier ausnehmen :-)