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Bertram Reinecke,

„würde ich meinem leser eine reaktionsfläche anbieten, mit der er nicht wirklich in kontakt kommen kann?“ Die Frage ist rhetorisch, vermute ich, Du würdest Deinem Leser keine solche Fläche bieten. Ich glaube auch, Breyger und Hefter tun dies nicht. Sie haben nur andere Anforderung daran, was es heißt, Kontakt herzustellen. Sie fliehen auf andere Weise ein vorschnelles umarmt werden, vor die sprachlichen Mühlen des anderen gespannt werden.
Zu mir und anderen haben Hefters Texte dennoch oft so guten Kontakt, besonders auf Lesungen, dass sich der Kontakt auch leise lesend herstellt. Breyger habe ich zu wenig gehört. Mir wurde aber klar, dass man ihn wie Hefter lesen könnte. Das heißt für mich gar nicht, dass Breyger Hefter Nacheifert, ihr Epigone wird. (Ich nehme ein mögliches Misstrauen nicht als gegeben hin, bloß, weil sich Schwierigkeite/Unklahrheiten bei der Lektüre einstellen.) Ich hätte ihn vorher sozusagen bissiger gelesen. Nach seinem Wink sehen seine Text für mich gleich ganz anders aus. Das hat nichts mit Kook-Label zu tun. Denn Ulf z.B. liest ja ganz anders als Martina. Das ist ja nur von sehr Ferne vergleichbar. Das Kook-Label ist da DEINE unglückliche Schublade.
Du legst Dir die Arbeitsfrage vor: „würdest du das auch so schreiben/wollen und gleiche es damit ab, was ich selbst gerne im gedicht geschehen sehen wollte.“ Ich würde nicht zu Schreiben wissen,wie Hefter schreibt, selbst, wenn sich lesend der Kontakt herstellt. Also sollte ich das nicht tun. Ich müsste etwas herstellen können, was nicht nur von weitem wie Hefter aussieht (eine Hefterparodie, die andere Menschen umstandslos für Hefter nähmen) sondern ich müsste Texte schreiben, die auf dieselbe Weise rührend sind. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie sie es macht. Erst, wenn ich das könnte, könnte ich entscheiden, ob ich dann sagen würde: Aus meiner Sicht, sollte man so schreiben, oder eben nicht. Das wäre dann eine ethische Frage.
Bis dahin bieten mir Breyger und Hefter (Matthias Traxler, Saskia Warzecha?) Texterlebnisse, die ich anderswo so nicht bekomme. Manchmal mag ich mich dem aussetzen, manchmal nicht.
Ich glaube, Breyger bestreitet nicht die Lenkungsabsicht seiner Texte. Er hält das nur für eine so banale Frage, das darüber nur wenig Kluges gesagt werden kann: Wenn man schreibt „Toaster“ meint man eben „Toaster“ und nicht „Sonne“ oder „knirf“, (es sei denn, man weist das aus), „ein Bienentanz und damit meine ich: Bienentanz.“ (Sandra Trojan). Wogegen Breyger sich aus meiner Sicht wehrt ist der Umstand, dass Schmitzer wie Engelhardt zunächst ihre Gewohnheit mit der Deutung gänzlich anderer Gedichte auf ihn übertragen ohne zu sehen, was offensichtlich ist: Dass die Gedichte sich dagegen sperren. Sie sind keine Formen gedichthaften Meinens im klassischen Sinne. Breyger räumt zudem ehrlich ein, dass auch seine Sprache durch seine Lesegeschichte geprägt sein könnte. Vielleicht gibt es ja in der Zukunft ein Heftersches gedichthaftes Meinen und Menschen die das zu stereotyp empfinden?
Ich habe zwar (u.A. mit Luise Boege) einen gewissen Vorbehalt gegen bestimmte Mischungen von Spezialvokabularen aber offenbar weniger insgesamt weniger Misstrauen. Weil ich mir selbst weniger Mist zutraue? Wohl eher nicht.
Du schreibst: „ich liebe es wenn viel passiert, wenn der autor es schafft eine lebendige szenerie zu erschaffen, die große dynamische auswirkungen hat, und das "nur mit worten" und wortkolissionen, ich spüre oft eine heidenfreude wenn aus eigentlich unbegreifbarem sich ein richtiges theaterstück entwickelt. wenn  ich spüre, daß der autor im text ist und mich einlädt mit ihm im text zu sein.“ Das kommt mir wie eine, wenn auch zurückhaltend lieberale, Forderung nach etwas wie innerer Notwendigkeit vor. Ich denke, wer so fragt, geht für das Neue leicht verloren. wie jemand, der eine chemische Reaktion bezweifelt und darum vergisst, die Reagenzien in Kontakt zu bringen. Ich frage mich, warum es Dir nicht reicht, dass Dich Breyger nicht so interessiert, warum es Dich dennoch so beschäftigt.
https://www.facebook.com/kunsht/videos/271407379864562/?pnref=story
Ich glaube, dieser Film würde mindestens Martina gefallen. Ist es gute Musik (Musik, die mit mir etwas macht?)? Die Frage geht merkwürdig am Werk vorbei. Aber es könnte eine Kunst werden, die nicht außermusikalisch ist. Jetzt ist es noch unverbindlich, eine Art Spielerei. Ein guter Anfang aber doch, diese Mischung aus Verspieltheit und unwillkürlichem Horror vor Insekteninvasionen (technisch oder wirklich.) Aber wenn ein Zweiter ein Dritter sowas bastelt, beginnt man Fragen zu stellen: Macht dieser interessantere Musik als jener? Soll die Musik (un)eingängiger sein? Oder sollte sie eher mit den unbeholfenen Bewegungsmustern der Drohnen korrespondieren? Oder: Wie viel Aufwand braucht einer für ein ähnliches Ergebnis? Lässt sich das gleiche Ergebnis geschickter mit weniger Drohnen erzielen? Auch: Sind die Bewegungen der Maschinen schön? Sollen sie eleganter sein? Insektenhafter? Erst wenn wir eine Gewohnheit im Umgang mit solchen Musiken gebildet hätten, würden wir anfangen können „innere Notwendigkeit“ dieser Kunst zu- oder abzusprechen. Irgendwann könnten wir eventuell aus der reinen Tonspur den Habitus der Drohnenbewegung gedanklich extrapolieren, wie wir aus bestimmten Buchstabenreihen (Gedichtformen) ständig und unwillkürlich auf einen bestimmten Habitus der (Kunst)person eines Dichters schließen und bei anderen nicht.
Und auch der Subjektive Kern: Wie in der Sprache sind hier keine Subjekte vorhanden. Aber doch auch hier sehr stark der Eindruck der Leibhaftigkeit? Wie gehen wir damit um? Vielleicht geht es auch Hefter eher um die Art der Anwesenheit von dem, wie Menschen, wie Bedeutungen in texten anwesend sind. Wenn Du möchtest: Wie sich Mensch, Habitus, Sinn in texte hineinprojiziert. Vielleicht leidet sie daran, wie andere Gedichte dies tun, weil diese andere Arten Unsagbarkeiten einschließen, die Sagbar sein sollten? Vielleicht muss man auch nicht leiden, sondern alles ist lustvoll?

PS: Vielleicht, Turowski hat ja Recht, können wir an anderen Stellen in der Debatte die wichtige Frage nach dem Geld stellen. Wo es naheliegender ist als hier, wo mindestens zwei Tagelang über Details von Gedichten nachdenken. Da können Fragen nach Geld Status etc. leicht eine Konzentration kaputt machen, die mir hier wertvoll erscheint.