Endlich etwas Zeit, Bertram, auch für die versprochene Reaktion:
“Ein Bienentanz und damit meine ich: Bienentanz” (Sandra Trojan).
Ich liebe Sandras Debüt und bedanke mich für diesen Satz.
In ihm steckt etwas drin, was doch sehr nahe kommt dem, wie mir einige von Breygers Bildern erscheinen. Dieses “Ich meine”. Ich kassiere den Begriff und mache ihn zu dem meinen. Das sehe ich als Verb – wenn ich meine, eigne ich mir an. Das wäre exakt mein Vorwurf an YB, ein gedichthaftes Meinen, also ein begriffliches Arbeiten, das zu mir hinschafft. Ich betone das Meinige und meine damit Töne, die eher mir als dem Gedicht hilfreich sind. Mit Raffen hat das insoweit zu tun, als Einzigkeit behauptet wird, Begriffe zu einem Alleinstellungsmerkmal umgekleidet werden, je origineller umso besser, weil “gemeinter”.
Auf der anderen Seite ermöglicht Sandras Satz eine Verstehvariante, die das “meinen” auch positiv auffassen kann: alle Sprache gehört ohnehin mir. Sobald ich spreche, macht meine Sprache einen Text und der fühlt sich für mich an. Ich stehe vor einem Bienenhaus, hänge dem Großvater an der dunkelgrünen Schürze, er riecht nach Tabak und Schnaps und gibt den Honighelden. Ich sehe die roten, gelben und blauen Schübe, höre das Gebrumme, imaginiere Flash Gordon, als die hawkmen fliehen. Das Wort Bienenhaus gehört mir, es ist bereits mein Wort wenn ich es ins Gedicht einbaue, hat eigene Farben und so färbe ich den Text, und ich meine exakt das Bienenhaus, das mir gehört.
Demnach wäre jedes einzelne Wort speziell verankert, eben “gemeint” und es gäbe keine Chance einen “ungemeinten” Text zu schreiben. Wo ich dann wieder bei dem Bemühen wären, dem Sinnabsprechen entgegentreten zu wollen, weil es meiner Meinung nach ein Texten ohne “Meinen” nicht gibt. Wozu sonst bräuchte man die personanima. Sie ist die Gedichtapparatur.
Es ist wie du sagst, Bertram – auch Breyger hat eine Lenkungsabsicht, ohne sie könnten wir nicht von einem Gedicht sprechen. Und das ist keineswegs banal, sondern essentiell. Dieses Argument wird gern als Unterscheidungshilfe benutzt: man verzichtet auf echtes “Verstehen” und öffnet sich und seinen Text in die wohlfeile Betrachtung. Das bezweifle ich. Es gibt immer Gründe für ein Wort und eine Melodie, es gibt immer Subtexte und Stories behind, genau das erzeugt das Rätsel “Text”, das ich als Leser schätze. Ich halte die überkanditelte Betonung von Textoffenheit für ein Täuschungsmanöver – jeder Text hat seine narrativen Hintergründe, seine musts und nogos, seine Basisstimme und sein walk & talk - nur so wird er zum “Text von ...”
Ich fand Yevgeniys Einlassungen im express! nicht immer ganz offen, sondern von vorneherein angesiedelt, was wahrscheinlich notwendig ist, es geht ja auch ums Wappnen. Ich wüßte ehrlicherweise auch nicht, ob ich sehr viel anders hineinfinden wollte in eine Diskussion, die vom ersten Anschein her unbedingt schwierig wird. Ich würde ein Mindestmaß an Rahmen setzen wollen, Perspektiven andeuten und damit Standpunkte. Womöglich hätte ich früher sogar sehr viel heftiger viel uncooler reagiert als Yevgeniy. Was mich dennoch nervt, ist das Getue, daß nur derjenige den Zug nicht verpasst, wer dieser großen Modernitätsoffenheit folgen kann, und jeder andere jemand ist, der sich gegen das Sperren wehrt. Das schreibst du auch, Bertram. “dass Schmitzer wie Engelhardt zunächst ihre Gewohnheit mit der Deutung gänzlich anderer Gedichte auf ihn übertragen ohne zu sehen, was offensichtlich ist: Dass die Gedichte sich sperren.”
Was mir da nicht gefällt, daß da nach deiner Lesart etwas “Offensichtliches” nicht gesehen wird, also mit einem Makel hantiert wird, den man den Rezensenten zuadressiert. Also: man ist nicht fähig. Ich denke: Offensichtlich ist nur das, was nicht linsenabhängig ist.
Wenn sich etwas sperrt, dann gibt es sicher einen guten Grund dafür. Und den würde ich gerne erfahren. Gibt es einen benennbaren Grund, eine ursächliche Notwendigkeit Text sperrig anzulegen? Das möchte ich erklärt bekommen. Die Frage ist nicht sehr kompliziert. Ich möchte mir selber keine Antwort drauf geben, sondern harre deiner Erklärung. Verkneife es mir aber nicht, das Beispiel mit einer andren Art von Kontaktaufnahme und Näherung zu verquicken, nämlich mit einer Umarmung. Welche ursächliche Notwendigkeit gibt es, eine Umarmung sperrig anzulegen.
Eine Begegnung Arm in Arm ist per se ein Experiment. Eine Anfrage an alle guten Geister und darüber hinaus, eine Mitteilung über das Erzeugen von Fragen und im schönsten Fall ein meeting, ein Gespräch, eine Debatte von Wange zu Wange. Es gehört zur Eigenschaft der Umarmung eine intime Begegnung zu sein. Und aus einem ähnlichen Charakter, einem Begegnungscharakter, sollte ein Gedicht seine Existenz ziehen. Das würde ich erwarten. Wenn sich das Gedicht dem versperrt, dann würde auch ich mich aus sehr egoistischen Gründen verweigern. Ich denke, man darf nicht vergessen, was ein Text von mir fordert: er will, daß ich mit meinem Innenleben auf ihn reagiere, sonst stünde er nicht vor mir. Er besucht sehr private Bereiche und Strukturen, penetriert, durchdringt, schließt auf, klingelt.
Der Umarmungsvergleich ist literaturwissenschaftlich natürlich großer Käse und spielt aus einer körperlichen Ecke, was meinem Anliegen gar nicht gut bekommt. Es erinnert an dein Wort von der “inneren Notwendigkeit”, die zu fordern du mir unterstellst (da hast du das geschehengelenkte Schreiben, das ich meine, leider gänzlich falsch verstanden) und dem ich eine “innere Beliebigkeit” dagegenhalte. Was passiert denn, wenn man einen Text schreibt?
Man aktiviert in einem Fließbereich einen inneren Bestand an Filtern, der nützlich sein wird Text zu erzeugen. Wie das alles im Detail aussieht, ist ganz individuell. Und selbst wenn ich jede Lenkungsabsicht verneine, gibt es wenigstens die Absicht, bewußt nicht lenken zu wollen oder gewisse Filter bewußt nicht einsetzen zu wollen und damit zu Resultaten zu kommen, zu denen man so und so gelenkt nicht käme. Ich sehe da keinen großen Unterschied. Das ist ebenso absichtsvoll erzeugt, nur ist der poetologische Code verschieden. Der eine liebt die semantische Drift und das Eigenleben der Dinge, der andere begeistert sich für “Gemeintes”, also die Drift ins individuell Codierte. Ich sehe da auch kein “Neues”, demgegenüber offen zu sein man verpassen könnte. Irgendwann wird es beliebig, welches Verfahrensmodell man benutzt, es ist und bleibt ein Verfahrensmodell, das den einen oder anderen Dreh mehr oder weniger hat, ein bislang unbenutztes Instrument benutzt, oder das Instrument auf neuartige Weise mechanisiert, aber immer bleibt es ein Erzeugungskomplott, den man schmiedet und ein Schmiedekunststück. Prinzipiell neues sehe ich nicht, also etwas, das ein anderes Prinzip Gedicht verfolgen würde.
Im Gegenteil: das “gemeinte Gedicht”, das individuell Codierte stößt derzeit an seine Grenzen. Man will die ganz große Avantgarde Nummer nicht mehr, die aus anderen Zuständen stammt, du schreibst ganz richtig: Konzeptualität kann veralten. Ich würde den Satz ausweiten auf das Konzept der Konzeptualität, weil es immerhin das Versprechen abgibt, man könne von einem Konzept her leben und nicht vom Komplex, also von der Behauptung her, statt vom Dialog.
Für mich ist die Poesie ganz originär das, was zwischen den Dingen passiert und wie wir dort überrascht werden können und nicht die Verwirklichung eines Konzepts, das ich “meine”. Die Situation zwischen den Dingen hat einen besonderen Freiheitsgrad, der Modi abbildet, und damit von rein materiellen Kausalitäten zwar nicht verschont ist, aber darüber hinaus narratologische Hintergründe anbietet. Was Kontext hat und im Kontext lebt, hat automatisch mehr Poesie als ein konzeptuell Erzeugtes. Modi zu betrachten heißt, Eigenschaften in einen Kontext zu stellen und also ontologische Beiträge zu liefern, während Konzepte Eigenschaften testen oder erfinden und Situationen betreiben, die es natürlicherweise nicht gibt, sondern nur hergestellt.
Mit diesem Absatz berühre ich das, was Eugen Gomringer gemeint hat, als er das “Herstellen von Texten” der “Anwendung von Sprache” gegenüberstellte. (Wobei ich mir keine Ahnschaft erschleiche, Bertram, sondern zeige, daß es keine Parteischaft gibt, sondern brauchbare und unbrauchbare Gedanken). Das Konzeptuelle hat sich überlebt. Es war ein gutes Mittel der Dekonstruktion etwas anderes als Nichtmalen entgegenzuhalten, heute malt man wieder und läßt poetische Geschehnisse wieder zu (auf welche Weise auch immer man sie erzeugt). Zygmunt Baumann hat dargelegt, daß in der Moderne nichts Neues geboren werden kann, wenn nicht das Alte leergeräumt und weggeworfen wird, und benutzte das Bild des Bergbaus. Das ist mir ein viel zu technisches Bild, weil wir hier bestenfalls die Mittel der Leerräumung, den Verbrauchsapparat modernisieren können. Daß in der Realität ganz neuartige Gesteine vor uns auftauchen, die nach einem adäquaten Werkzeug rufen, steckt in diesem Bild nicht drin. Man hat das vorhandene Werkzeug – um dennoch im Bild zu bleiben – dekonstruiert und jetzt wäre es an der Zeit das vor uns liegende Gestein in Augenschein zu nehmen und das Nötige zu tun, das dieses Gestein von uns verlangt, also den Kontext zu begreifen und auf ihn sinnvoll zu reagieren, das ist etwas wesentlich anderes als die Arbeit am eigenen Konzept.
Da du mich in die Nachbarschaft eines Textes von 1958 stellst, möchte ich mich revanchieren, Bertram, in dem ich dich in die Nachbarschaft eines Textes von 1894 stelle: “in der dichtung – wie in aller kunst-bethätigung ist jeder der noch von der sucht ergriffen ist etwas “sagen” etwas “wirken” zu wollen nicht einmal wert in den vorhof der kunst einzutreten”. Das schrieb Stefan George im Oktober 1894 in den Blättern für die Kunst.
Dieser Satz spiegelt in unseren Zusammenhang genommen bereits die Gomringersche Unterscheidung vom Herstellen und Anwenden. Nur zu Georgens Zeiten war man noch der Meinung, der Hersteller Mensch sei der gottgleiche Mensch, der heldische Mensch strahle als Engel durch die Zeitläufte. Der Anwender dagegen arbeitet im Bergbau und sorgt für den Reichtum und die Strahlkraft der anderen. Der Hersteller hat die Macht etwas in die Welt zu setzen, etwas zu erzeugen, der Anwender nimmt das gegebene Ding und macht was damit. Insofern ist er “ferngelenkt” weil dingabhängig, Konsument, Toaster im Test (wie ein kleines Independent Label hieß, das ich sehr mochte, weil es u.a. die Dr. Babelfish 7” veröffentlichte) und wir finden uns damit wahrscheinlich bei Breygers Robotniks. Der User ist der schicksalhaft Verkettete, der noch dazu mit seinen Emotionen Kämpfende, der Hersteller aber der Erzeuger von Welt.
Im Prinzip haben wir im letzten Jahrhundert so viel hergestellt, daß wir heute vor einer komplexen Wand stehen, in der all unsere feinen Werkzeuge versagen. Modernität als das, was uns wirklich voranbringt und adäquat auf Weltenzustände antwortet, kann heute nicht mehr das benennen, was wir gestern gelernt haben (im Prinzip schlägt Yevgeniy das aber vor: “Wir müssen nicht mehr darüber reden, wer etwas in einem Gedicht nicht versteht”), sondern wir müssen alles, was wir gestern noch gelernt und für richtig befunden haben, erneut anschauen, ob nicht vielleicht gerade dieses beteiligt ist an jenem Trugschließen, das uns die gesunden Utopien vermauert hat.
Ich denke oft, man hat den Switch noch nicht verstanden, den wir brauchen um aus dem Wust der dekonstruierten Welt wieder herauszukommen. Auch Yevgeniy argumentiert so: “Wer auf der Suche nach aphoristischen Aussagen über die Realität, Vereinfachungen der komplexen Wirklichkeiten sucht, der ist verloren, schlichtweg dumm.” Ich habe gegen den Satz nichts. Er sagt, die Welt anzuschauen erfordert, sich einer komplexen Wirklichkeit zu stellen. Genau diese Wand der Komplexität, in der jedes Handeln Wurmfortsätze kreiert, die man nicht mehr abschätzen kann und die man nicht mehr im Griff hat – die sich aus Vereinfachungen erzeugt hat und auf der unser gesamten Planet ineinander verwebt ist, genau diese Wand ist selbstgemacht, Resultat des Herstellers Mensch. Dieser stolze Gockel Mensch, der noch alles mit “seiner” Mathematik und Physik geregelt bekommt.
Dekonstruktion ist also wichtig, aber genauso wichtig ist der Schritt danach: die Traute, dann auch wieder was draus zu machen. Wenn die Anwendung des Arsenals der Schiefheiten ein Arsenal von Rundheiten ergibt. Der Anwender ist ja wie der Hersteller ein Erzeuger, wobei der Anwender das Loch, der Hersteller den Strom erzeugt, mit dem der Anwender das Loch macht. Und wenn schon Dekonstruktion, dann bitte auch die Resultate der Dekonstruktion, das angebliche Fertigsein mit dem Verstehen beispielsweise, nicht aussparen. Diese Rückzugspositionen: das ham wir doch schon durch, das müssen wir nicht nochmal betrachten, wären dann stimmig, wenn die Resultate dafür sprächen, daß es nicht mehr notwendig ist, darüber zu reden. Betrachte ich mir die Wand, vor der wir stehen, dann bin ich mir ziemlich sicher, daß diese Altresultate nicht der Weisheit letzter Schluß waren und sind und adäquate Antworten immer und immer wieder gesucht werden müssen und zwar – entgegen deiner Vermutung, ich würde von hinten her Maß nehmen – den Modi des Jetzts entsprechend, den Verwachsungen hinterher und den labyrinthischen Knoten.
Neuer Text muß von seiner Grundanlage her nicht sperrig sein – er ist es sehr oft zu Recht, weil Resultat der Anwendung von Sprache, die mit der modernen Komplexität zu schaffen hat, aber er ist es sehr oft auch hergestellt und zumindest dann unbedingt bezweifelbar, weil er dann zur Wand gehört und nicht zur Dekonstruktion oder zur Neukonstruktion.
Eine Kutschfahrt kann auch heute lustig sein, hast du mir geantwortet, als ich Morgenstern aufbrachte. Damit berührst du ein anderes Thema, das mir ganz wesentlich für das Verständnis der postmodernen Welt scheint, den Modus der Bewegung, aber das greift tief in physikalische Theorien, geht fließend über in die Betrachtung von Geschwindigkeit und Dauer, das sollte ein eigener essayistischer Schauplatz sein, wobei ich dann wieder gesagt bekomme, daß das keiner auf einer Literaturseite lesen will. Nur soviel: die Tiefe einer Betrachtung ist ganz abhängig vom Modus der Bewegung, je schneller ich bin, umso weniger detailreich ist meine Sicht. Irgendwann erreicht mich nichts mehr. Wenn Gedichte also Tempi repräsentieren, wie du es vorschlägst, dann komme ich aus dem Düsenjet mit dem Wissen um das Leben in der Kabine und habe von der Welt keine Ahnung. Das Lichtschnelle hat sogar noch nicht mal ne Ahnung von Zeit und es lernt massiv und greifbar zu sein erst durch den Verzicht auf Tempo. Insofern ist mir eine Kutschfahrt sehr viel lieber als lichtschnelles Dasein, das mich zerfetzt.
Der Sonntagmorgen ist rum. Es ist gerade zwölf Uhr. Die ganze letzte Woche war wieder mal hart und ich kam nicht mal dazu an der fixzone zu arbeiten. Jetzt habe ich für heute noch so viel vor und verschiebe alles, was ich noch gern gesagt hätte, auf später.
Endlich etwas Zeit, Bertram, auch für die versprochene Reaktion:
“Ein Bienentanz und damit meine ich: Bienentanz” (Sandra Trojan).
Ich liebe Sandras Debüt und bedanke mich für diesen Satz.
In ihm steckt etwas drin, was doch sehr nahe kommt dem, wie mir einige von Breygers Bildern erscheinen. Dieses “Ich meine”. Ich kassiere den Begriff und mache ihn zu dem meinen. Das sehe ich als Verb – wenn ich meine, eigne ich mir an. Das wäre exakt mein Vorwurf an YB, ein gedichthaftes Meinen, also ein begriffliches Arbeiten, das zu mir hinschafft. Ich betone das Meinige und meine damit Töne, die eher mir als dem Gedicht hilfreich sind. Mit Raffen hat das insoweit zu tun, als Einzigkeit behauptet wird, Begriffe zu einem Alleinstellungsmerkmal umgekleidet werden, je origineller umso besser, weil “gemeinter”.
Auf der anderen Seite ermöglicht Sandras Satz eine Verstehvariante, die das “meinen” auch positiv auffassen kann: alle Sprache gehört ohnehin mir. Sobald ich spreche, macht meine Sprache einen Text und der fühlt sich für mich an. Ich stehe vor einem Bienenhaus, hänge dem Großvater an der dunkelgrünen Schürze, er riecht nach Tabak und Schnaps und gibt den Honighelden. Ich sehe die roten, gelben und blauen Schübe, höre das Gebrumme, imaginiere Flash Gordon, als die hawkmen fliehen. Das Wort Bienenhaus gehört mir, es ist bereits mein Wort wenn ich es ins Gedicht einbaue, hat eigene Farben und so färbe ich den Text, und ich meine exakt das Bienenhaus, das mir gehört.
Demnach wäre jedes einzelne Wort speziell verankert, eben “gemeint” und es gäbe keine Chance einen “ungemeinten” Text zu schreiben. Wo ich dann wieder bei dem Bemühen wären, dem Sinnabsprechen entgegentreten zu wollen, weil es meiner Meinung nach ein Texten ohne “Meinen” nicht gibt. Wozu sonst bräuchte man die personanima. Sie ist die Gedichtapparatur.
Es ist wie du sagst, Bertram – auch Breyger hat eine Lenkungsabsicht, ohne sie könnten wir nicht von einem Gedicht sprechen. Und das ist keineswegs banal, sondern essentiell. Dieses Argument wird gern als Unterscheidungshilfe benutzt: man verzichtet auf echtes “Verstehen” und öffnet sich und seinen Text in die wohlfeile Betrachtung. Das bezweifle ich. Es gibt immer Gründe für ein Wort und eine Melodie, es gibt immer Subtexte und Stories behind, genau das erzeugt das Rätsel “Text”, das ich als Leser schätze. Ich halte die überkanditelte Betonung von Textoffenheit für ein Täuschungsmanöver – jeder Text hat seine narrativen Hintergründe, seine musts und nogos, seine Basisstimme und sein walk & talk - nur so wird er zum “Text von ...”
Ich fand Yevgeniys Einlassungen im express! nicht immer ganz offen, sondern von vorneherein angesiedelt, was wahrscheinlich notwendig ist, es geht ja auch ums Wappnen. Ich wüßte ehrlicherweise auch nicht, ob ich sehr viel anders hineinfinden wollte in eine Diskussion, die vom ersten Anschein her unbedingt schwierig wird. Ich würde ein Mindestmaß an Rahmen setzen wollen, Perspektiven andeuten und damit Standpunkte. Womöglich hätte ich früher sogar sehr viel heftiger viel uncooler reagiert als Yevgeniy. Was mich dennoch nervt, ist das Getue, daß nur derjenige den Zug nicht verpasst, wer dieser großen Modernitätsoffenheit folgen kann, und jeder andere jemand ist, der sich gegen das Sperren wehrt. Das schreibst du auch, Bertram. “dass Schmitzer wie Engelhardt zunächst ihre Gewohnheit mit der Deutung gänzlich anderer Gedichte auf ihn übertragen ohne zu sehen, was offensichtlich ist: Dass die Gedichte sich sperren.”
Was mir da nicht gefällt, daß da nach deiner Lesart etwas “Offensichtliches” nicht gesehen wird, also mit einem Makel hantiert wird, den man den Rezensenten zuadressiert. Also: man ist nicht fähig. Ich denke: Offensichtlich ist nur das, was nicht linsenabhängig ist.
Wenn sich etwas sperrt, dann gibt es sicher einen guten Grund dafür. Und den würde ich gerne erfahren. Gibt es einen benennbaren Grund, eine ursächliche Notwendigkeit Text sperrig anzulegen? Das möchte ich erklärt bekommen. Die Frage ist nicht sehr kompliziert. Ich möchte mir selber keine Antwort drauf geben, sondern harre deiner Erklärung. Verkneife es mir aber nicht, das Beispiel mit einer andren Art von Kontaktaufnahme und Näherung zu verquicken, nämlich mit einer Umarmung. Welche ursächliche Notwendigkeit gibt es, eine Umarmung sperrig anzulegen.
Eine Begegnung Arm in Arm ist per se ein Experiment. Eine Anfrage an alle guten Geister und darüber hinaus, eine Mitteilung über das Erzeugen von Fragen und im schönsten Fall ein meeting, ein Gespräch, eine Debatte von Wange zu Wange. Es gehört zur Eigenschaft der Umarmung eine intime Begegnung zu sein. Und aus einem ähnlichen Charakter, einem Begegnungscharakter, sollte ein Gedicht seine Existenz ziehen. Das würde ich erwarten. Wenn sich das Gedicht dem versperrt, dann würde auch ich mich aus sehr egoistischen Gründen verweigern. Ich denke, man darf nicht vergessen, was ein Text von mir fordert: er will, daß ich mit meinem Innenleben auf ihn reagiere, sonst stünde er nicht vor mir. Er besucht sehr private Bereiche und Strukturen, penetriert, durchdringt, schließt auf, klingelt.
Der Umarmungsvergleich ist literaturwissenschaftlich natürlich großer Käse und spielt aus einer körperlichen Ecke, was meinem Anliegen gar nicht gut bekommt. Es erinnert an dein Wort von der “inneren Notwendigkeit”, die zu fordern du mir unterstellst (da hast du das geschehengelenkte Schreiben, das ich meine, leider gänzlich falsch verstanden) und dem ich eine “innere Beliebigkeit” dagegenhalte. Was passiert denn, wenn man einen Text schreibt?
Man aktiviert in einem Fließbereich einen inneren Bestand an Filtern, der nützlich sein wird Text zu erzeugen. Wie das alles im Detail aussieht, ist ganz individuell. Und selbst wenn ich jede Lenkungsabsicht verneine, gibt es wenigstens die Absicht, bewußt nicht lenken zu wollen oder gewisse Filter bewußt nicht einsetzen zu wollen und damit zu Resultaten zu kommen, zu denen man so und so gelenkt nicht käme. Ich sehe da keinen großen Unterschied. Das ist ebenso absichtsvoll erzeugt, nur ist der poetologische Code verschieden. Der eine liebt die semantische Drift und das Eigenleben der Dinge, der andere begeistert sich für “Gemeintes”, also die Drift ins individuell Codierte. Ich sehe da auch kein “Neues”, demgegenüber offen zu sein man verpassen könnte. Irgendwann wird es beliebig, welches Verfahrensmodell man benutzt, es ist und bleibt ein Verfahrensmodell, das den einen oder anderen Dreh mehr oder weniger hat, ein bislang unbenutztes Instrument benutzt, oder das Instrument auf neuartige Weise mechanisiert, aber immer bleibt es ein Erzeugungskomplott, den man schmiedet und ein Schmiedekunststück. Prinzipiell neues sehe ich nicht, also etwas, das ein anderes Prinzip Gedicht verfolgen würde.
Im Gegenteil: das “gemeinte Gedicht”, das individuell Codierte stößt derzeit an seine Grenzen. Man will die ganz große Avantgarde Nummer nicht mehr, die aus anderen Zuständen stammt, du schreibst ganz richtig: Konzeptualität kann veralten. Ich würde den Satz ausweiten auf das Konzept der Konzeptualität, weil es immerhin das Versprechen abgibt, man könne von einem Konzept her leben und nicht vom Komplex, also von der Behauptung her, statt vom Dialog.
Für mich ist die Poesie ganz originär das, was zwischen den Dingen passiert und wie wir dort überrascht werden können und nicht die Verwirklichung eines Konzepts, das ich “meine”. Die Situation zwischen den Dingen hat einen besonderen Freiheitsgrad, der Modi abbildet, und damit von rein materiellen Kausalitäten zwar nicht verschont ist, aber darüber hinaus narratologische Hintergründe anbietet. Was Kontext hat und im Kontext lebt, hat automatisch mehr Poesie als ein konzeptuell Erzeugtes. Modi zu betrachten heißt, Eigenschaften in einen Kontext zu stellen und also ontologische Beiträge zu liefern, während Konzepte Eigenschaften testen oder erfinden und Situationen betreiben, die es natürlicherweise nicht gibt, sondern nur hergestellt.
Mit diesem Absatz berühre ich das, was Eugen Gomringer gemeint hat, als er das “Herstellen von Texten” der “Anwendung von Sprache” gegenüberstellte. (Wobei ich mir keine Ahnschaft erschleiche, Bertram, sondern zeige, daß es keine Parteischaft gibt, sondern brauchbare und unbrauchbare Gedanken). Das Konzeptuelle hat sich überlebt. Es war ein gutes Mittel der Dekonstruktion etwas anderes als Nichtmalen entgegenzuhalten, heute malt man wieder und läßt poetische Geschehnisse wieder zu (auf welche Weise auch immer man sie erzeugt). Zygmunt Baumann hat dargelegt, daß in der Moderne nichts Neues geboren werden kann, wenn nicht das Alte leergeräumt und weggeworfen wird, und benutzte das Bild des Bergbaus. Das ist mir ein viel zu technisches Bild, weil wir hier bestenfalls die Mittel der Leerräumung, den Verbrauchsapparat modernisieren können. Daß in der Realität ganz neuartige Gesteine vor uns auftauchen, die nach einem adäquaten Werkzeug rufen, steckt in diesem Bild nicht drin. Man hat das vorhandene Werkzeug – um dennoch im Bild zu bleiben – dekonstruiert und jetzt wäre es an der Zeit das vor uns liegende Gestein in Augenschein zu nehmen und das Nötige zu tun, das dieses Gestein von uns verlangt, also den Kontext zu begreifen und auf ihn sinnvoll zu reagieren, das ist etwas wesentlich anderes als die Arbeit am eigenen Konzept.
Da du mich in die Nachbarschaft eines Textes von 1958 stellst, möchte ich mich revanchieren, Bertram, in dem ich dich in die Nachbarschaft eines Textes von 1894 stelle: “in der dichtung – wie in aller kunst-bethätigung ist jeder der noch von der sucht ergriffen ist etwas “sagen” etwas “wirken” zu wollen nicht einmal wert in den vorhof der kunst einzutreten”. Das schrieb Stefan George im Oktober 1894 in den Blättern für die Kunst.
Dieser Satz spiegelt in unseren Zusammenhang genommen bereits die Gomringersche Unterscheidung vom Herstellen und Anwenden. Nur zu Georgens Zeiten war man noch der Meinung, der Hersteller Mensch sei der gottgleiche Mensch, der heldische Mensch strahle als Engel durch die Zeitläufte. Der Anwender dagegen arbeitet im Bergbau und sorgt für den Reichtum und die Strahlkraft der anderen. Der Hersteller hat die Macht etwas in die Welt zu setzen, etwas zu erzeugen, der Anwender nimmt das gegebene Ding und macht was damit. Insofern ist er “ferngelenkt” weil dingabhängig, Konsument, Toaster im Test (wie ein kleines Independent Label hieß, das ich sehr mochte, weil es u.a. die Dr. Babelfish 7” veröffentlichte) und wir finden uns damit wahrscheinlich bei Breygers Robotniks. Der User ist der schicksalhaft Verkettete, der noch dazu mit seinen Emotionen Kämpfende, der Hersteller aber der Erzeuger von Welt.
Im Prinzip haben wir im letzten Jahrhundert so viel hergestellt, daß wir heute vor einer komplexen Wand stehen, in der all unsere feinen Werkzeuge versagen. Modernität als das, was uns wirklich voranbringt und adäquat auf Weltenzustände antwortet, kann heute nicht mehr das benennen, was wir gestern gelernt haben (im Prinzip schlägt Yevgeniy das aber vor: “Wir müssen nicht mehr darüber reden, wer etwas in einem Gedicht nicht versteht”), sondern wir müssen alles, was wir gestern noch gelernt und für richtig befunden haben, erneut anschauen, ob nicht vielleicht gerade dieses beteiligt ist an jenem Trugschließen, das uns die gesunden Utopien vermauert hat.
Ich denke oft, man hat den Switch noch nicht verstanden, den wir brauchen um aus dem Wust der dekonstruierten Welt wieder herauszukommen. Auch Yevgeniy argumentiert so: “Wer auf der Suche nach aphoristischen Aussagen über die Realität, Vereinfachungen der komplexen Wirklichkeiten sucht, der ist verloren, schlichtweg dumm.” Ich habe gegen den Satz nichts. Er sagt, die Welt anzuschauen erfordert, sich einer komplexen Wirklichkeit zu stellen. Genau diese Wand der Komplexität, in der jedes Handeln Wurmfortsätze kreiert, die man nicht mehr abschätzen kann und die man nicht mehr im Griff hat – die sich aus Vereinfachungen erzeugt hat und auf der unser gesamten Planet ineinander verwebt ist, genau diese Wand ist selbstgemacht, Resultat des Herstellers Mensch. Dieser stolze Gockel Mensch, der noch alles mit “seiner” Mathematik und Physik geregelt bekommt.
Dekonstruktion ist also wichtig, aber genauso wichtig ist der Schritt danach: die Traute, dann auch wieder was draus zu machen. Wenn die Anwendung des Arsenals der Schiefheiten ein Arsenal von Rundheiten ergibt. Der Anwender ist ja wie der Hersteller ein Erzeuger, wobei der Anwender das Loch, der Hersteller den Strom erzeugt, mit dem der Anwender das Loch macht. Und wenn schon Dekonstruktion, dann bitte auch die Resultate der Dekonstruktion, das angebliche Fertigsein mit dem Verstehen beispielsweise, nicht aussparen. Diese Rückzugspositionen: das ham wir doch schon durch, das müssen wir nicht nochmal betrachten, wären dann stimmig, wenn die Resultate dafür sprächen, daß es nicht mehr notwendig ist, darüber zu reden. Betrachte ich mir die Wand, vor der wir stehen, dann bin ich mir ziemlich sicher, daß diese Altresultate nicht der Weisheit letzter Schluß waren und sind und adäquate Antworten immer und immer wieder gesucht werden müssen und zwar – entgegen deiner Vermutung, ich würde von hinten her Maß nehmen – den Modi des Jetzts entsprechend, den Verwachsungen hinterher und den labyrinthischen Knoten.
Neuer Text muß von seiner Grundanlage her nicht sperrig sein – er ist es sehr oft zu Recht, weil Resultat der Anwendung von Sprache, die mit der modernen Komplexität zu schaffen hat, aber er ist es sehr oft auch hergestellt und zumindest dann unbedingt bezweifelbar, weil er dann zur Wand gehört und nicht zur Dekonstruktion oder zur Neukonstruktion.
Eine Kutschfahrt kann auch heute lustig sein, hast du mir geantwortet, als ich Morgenstern aufbrachte. Damit berührst du ein anderes Thema, das mir ganz wesentlich für das Verständnis der postmodernen Welt scheint, den Modus der Bewegung, aber das greift tief in physikalische Theorien, geht fließend über in die Betrachtung von Geschwindigkeit und Dauer, das sollte ein eigener essayistischer Schauplatz sein, wobei ich dann wieder gesagt bekomme, daß das keiner auf einer Literaturseite lesen will. Nur soviel: die Tiefe einer Betrachtung ist ganz abhängig vom Modus der Bewegung, je schneller ich bin, umso weniger detailreich ist meine Sicht. Irgendwann erreicht mich nichts mehr. Wenn Gedichte also Tempi repräsentieren, wie du es vorschlägst, dann komme ich aus dem Düsenjet mit dem Wissen um das Leben in der Kabine und habe von der Welt keine Ahnung. Das Lichtschnelle hat sogar noch nicht mal ne Ahnung von Zeit und es lernt massiv und greifbar zu sein erst durch den Verzicht auf Tempo. Insofern ist mir eine Kutschfahrt sehr viel lieber als lichtschnelles Dasein, das mich zerfetzt.
Der Sonntagmorgen ist rum. Es ist gerade zwölf Uhr. Die ganze letzte Woche war wieder mal hart und ich kam nicht mal dazu an der fixzone zu arbeiten. Jetzt habe ich für heute noch so viel vor und verschiebe alles, was ich noch gern gesagt hätte, auf später.