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Das Gedicht hat eine Geschichte
Worum es geht oder gehen könnte in Dieser Junge. Digital Toes. und in dieser sechsten Auflage von express! – Martin Hainz hat einen Anfang gemacht. Ich stimme zu und widerspreche.
Die Beobachtung, dass in Crauss' Gedichten Eindruck zum Ausdruck wird, ist natürlich absolut richtig. Das mag zunächst vielleicht etwas vereinfacht, vielleicht sogar banal klingen, ist jedoch in zweifacher Hinsicht wichtig. Der sprachlichen Engführung vom Eindruck zum Ausdruck ist es nämlich unter anderem zu verdanken, dass Crauss' Gedichte – ich habe das an anderer Stelle schon gesagt – eine bestechende Sinnlichkeit bekommen, die ihren Themen angemessen ist. Und hier muss natürlich gleich der Widerspruch kommen, denn man könnte zu leicht denken Crauss schreibt in schönen Worten auf, was er erlebt und fertig ist das Gedicht.
Doch so kurz sind die Wege zwischen Eindruck und Ausdruck, Impression und Expression wirklich nicht. Davon kündet insbesondere der Essay august acker. wie wie akazie in den orangensaft kommt, der dieser Sammlung beigegeben ist. In ihm gibt Crauss Einblick in den Entstehungsprozess mancher Gedichte dieser Sammlung und wie sie mit anderen, früheren Gedichten und fremden Texten verbunden sind; Saint-Exupérys Nachtflug etwa, und besonders W. G. Sebalds Austerlitz. So bekommen manche Gedichte eine darunterliegende Geschichte, die oft so viel mehr ist, als eine „Poetisierung“ von Eindrücken. Das Gedicht hat eine Geschichte und dadurch meistens auch die Möglichkeit narrativ zu sein, narrativ gelesen zu werden. Viele Liebesgedichte in Dieser Junge. Digital Toes. erzählen. Aber bleiben wir zunächst bei dem von Martin anzitierten ausgust und acker (für jaques austerlitz).
die nüstern blähen sich blutig, wünschen ˇ sich wind und nicht dieses geschürfte zuhause. ˇ ein junge in hohen strümpfen und goldenen fransen, ˇ und man hört einen heimlichen traktor, ˇ und man hört verschiedenes rufen.
Ich kann mich nicht wehren. Wenn ich diese Verse lese, bekomme ich über dein Eindruck hinaus etwas erzählt. Das „geschürfte zuhause“ ist in einem Wort beschrieben und mir wird erzählt, das Zuhause lädt nicht zum bleiben ein. Man wünscht sich Wind, stattdessen nur das schwerfällige Motorengeräusch eines Traktors, der einen nicht weit bringt.
Vielleicht müssen wir darüber reden. Über Dichotomien – Eindruck und Ausdruck, Narration und Verdichtung, Form und Inhalt. In jedem Fall aber über Lyrik und eBook. Über das Kompilieren und Mixen von eigenem und fremden Material. Über das Liebesgedicht heute.