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Alexander Graeff,

Ich habe keinesfalls gesagt, dass Geschwindigkeit kein Thema dieser Zeit mehr ist, ich sagte: es ist kein originelles Thema. Es immer wieder zum Thema zu machen, erzeugt natürlich auch ein bestimmtes Bewusstsein von Geschwindigkeit, selten geht die Poesie so kritisch wie Virilio mit diesem Thema um. Es wurde ja auch in dem Sinne rein affirmativ bearbeitet. Die sog. postmoderne Literatur ist voll von der Verherrlichung der Geschwindigkeit. Das erzeugte ein bestimmtes Lebensdiktum, das einer enorm erhöhten Geschwindigkeit (bzw. Beschleunigung). Was in der Moderne noch sehr kritisch betrachtet wurde, war in der Postmoderne zum Kult geworden. Eine Rezension in der Süddeutschen von Don DeLillos »Falling Man« zum Beispiel ist mit »Aus Analyse wird Andacht« überschrieben. Wir übernehmen das für unser Leben. 

Unterschreiben kann ich auf jeden Fall, sich als Autorin »ein Stück weit vom Zeitstrahl literarischer Entwicklungen« zu lösen; daran dachte ich beim Schreiben gegen die Norm(en). Und freilich bedeutet Entwicklung auch Orientierung am Vergangenen neben dem Vorpreschen in die Zukunft – jede Avantgarde hat das getan (was allerdings trivial ist, da Menschen Wesen mit und in Geschichte sind und nichts ohne Vergangenheitsbezug tun können). These III zielt auf Offenheit in Bezug auf die Vergangenheit (das würde Jan Kuhlbrodt »lesen« nennen), These IV zielt auf Lebendigkeit des Gegenwärtigen (das wäre das Kuhlbrodt'sche »gärtnern« mit Zen-Bezug, im Hier und Jetzt); These II zielt auf den Mut zu Alternativen (das wäre das »gärtnern« mit Bezug auf die Zukunft, in dem Sinne – und nur in diesem! – politisch). Sowohl These III als auch II kommen wiederum ohne Bezug zum Leben (Wirklichkeit und Wirklichzeit) nicht aus.