Cross Over
Herausgeber: Johannes Beilharz

Diptychon

Fathieh Saudi  

Fathieh Saudi 1949 - 2016

I. Gesichter des Todes

Sei eine Sängerin, sei
Venus die Zärtliche,

sei ein Kuss auf meine Wunden,
kein Schwert in meinem Fleische,

sei trostreich wie ein Schoß,
nicht gnadenlos wie ein Barbar,
sei mein Geliebter heute Nacht,
doch bleibe dem Leben treu,

werde nicht ich, lass
mich nur ich selbst sein,

komm zu mir als Regenbogen im Traum,
werde nicht zu real,

lass mich auf dem nassen Grase liegen,
den Worten der Erde lauschen,

sei mein Anfang,
nicht mein Ende,

sei meine Erleuchtung,
nicht die Dunkelheit.

 

2. Tausend und ein Mal

Ich war nicht Scheherezade,
da war kein König, der meinen Geschichten zuhörte,
kein Prinz, der mir einen weiteren Tag meines Lebens gewährte,
ich erzählte mir selbst Geschichten. Ich erfand
sogar Gedichte.

Ich reiste in meine Kindheit,
schrieb Geschichten, brachte ein paar davon zu Ende,
andere blieben halb Fantasie.
Mich an sie in der Stille zu erinnern
hielt mich am Leben.

Oh, ich bin Scheherezade
und auch der König.

Ich muss den Landschaften
meiner selbst zuhören, um mich am Leben zu halten,

wieder und wieder,
ein tausend und ein Mal.

(Diptych)

 

Aus dem Englischen übersetzt von Johannes Beilharz. Die Vorlage stammt aus der Anthologie In Praise of Beauty, Vol. 1, 2014 (Herausgeber: Dumitru M. Ion).

Die Dichterin, Übersetzerin und Ärztin Fathieh Saudi wurde 1949 in Amman geboren und verstarb am 21.1.2016 in London. Sie studierte in Frankreich Medizin und war lange Zeit in Jordanien und im Libanon als Kinderärztin tätig, darunter auch in Flüchtlingslagern. Sie war jahrzehntelang in Organisationen zum Schutz der Menschenrechte und zur Förderung von Frieden und Gerechtigkeit im Nahen Osten aktiv. U.a. veröffentlichte sie die Gedichtbände River Daughter (2009), Bint Al-Naher (arabisch, 2011), Prophetic Children (2012) und Daughter of the Thames (2012).

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