Essay

Divide et impera

Hamburg

Divide et impera, „teile und herrsche”, dies war die römische Idee, Beherrschte im Zwist mit ihresgleichen zu verstricken. Das lernt man heute in der Schule meist nicht mehr, sei denn: in einer Privatschule, wo sich Unterjochte von heute ja eher unterrepräsentiert finden. Diese lernen statt alter Sprachen, die man als „verstaubt” denunziert, und allgemein Herrschaftspraktiken eher Glück, Kompetenzen, wie man also zukünftig ganz darin aufgehen werde, effektiv zu dienen, und, ja, Glückskompetenz, als alles verbindenden Abschluß.

Heute wird indes geherrscht und geteilt: Die Rechten negieren das Recht der Zuwandernden, Islamisten negieren Andersgläubige, … man könnte es fortsetzen, sie alle negieren jedenfalls aber das Gespräch und darüber hinaus das Minimum einer Solidargemeinschaft. Derweil ist auffällig, daß diese Partiallogiken, die geeignet sind, die Demokratie zu beschädigen, allesamt auf Lügen aufgebaut sind, zutiefst inkohärent. Man kann zum Beispiel nicht anständig und klug sein, und dazu Nazi – oder identitär, womit denn „ident”, wenn nicht mit dem braunen Mob, übrigens? Man kann nicht anständig und klug sein, und dazu Islamist – denn das abrahimitische Erbe muß schon sehr verludert oder gar nicht gelesen werden, damit ISIS und dergleichen das Resultat wäre.

Im Falle einer „sozialen Heimatpartei” ist es offensichtlich, da wird gegen Zuwanderer mobilisiert, die Geld kosten, zugleich aber alles, was sozial ist, neoliberal abgeschafft, wird dank flat tax & Co. also der mobilisierte vulgus angeheizt und beklaut zugleich. Und sollte der soziale Friede darunter leiden, können die Zyniker, die derlei Destabilisierung der Gesellschaft zulassen und sogar wollen, sich mittelfristig reich privatisierend, noch immer woanders weitermachen. Sie selbst sind ja international, in Wahrheit: National(istisch) sind nur die durch ihren Nationalismus Gegängelten, der autochthone Plebs, der auf seine Wurzeln/Fesseln stolz ist.

Nun mag man einwenden, daß, wer den Staat so erodiert, die Mittelschicht absinken und die Unterschicht verpöbeln läßt, sich ja auch selbst schade – es sind ja nicht nur Arbeiter und Angestellte, deren Posten man in billigere Länder transferieren und deren Arbeit man outsourcen kann, sondern auch Konsumenten, sie generieren ja wesentlich das wahre Wachstum, während rund 90% des Werts, der weltweit Jahr für Jahr geschaffen wird, virtuell sind, 700 Billionen Dollar, doch eben Derivate, also allerlei Wetten, zum Beispiel mit einer Bank: darauf, daß die Bank untergehen werde, Robert Menasses Faust beschreibt es, auch Claus von Wagner in seiner Theorie der feinen Menschen

 

 

Zudem ist dieses Spiel nicht langfristig möglich, Expertise ist lokal gebunden, Infrastrukturen neu aufzubauen ist kostspielig, … – In der Tat mag es sein, daß die, die sich „Kapitalisten” nennen, also im Grunde gegen ihre Interessen handeln, genauer: gegen das, was Kapitalismus ist. Reinvestieren ist keine Finanzflatulenz.

Sollten sie nicht wissen, was sie tun? – Die Hypothese, die im Kapitalismus maßgeblichen Akteure wüßten, was Kapitalismus sei, war immer wackelig, wie sollte einer, der zufällig Millionen oder Milliarden erbt, darum finanzwirtschaftlich kompetent sein, oder, noch optimistischer, gebildet: nicht zwingend Opfer des Erbes, das ihn fortan treibt und prägt, ihn zum beneideten Diener seines Geldes macht? Wer Millionen oder Milliarden hortet, vergißt ob der Magie der Zahl, daß sie Virtuelles beschreibt; daß sie, werden diese Millionen oder Milliarden nicht eingesetzt, sich vaporisieren, weil sonst die Zinseszinslast das System erdrückte – oder in Teilen kollabieren läßt, Stichwort Kreditblase… Geld muß verwendet und verschwendet werden, es kann temporär als Investition ein Versprechen sein, auch besagte Wette, dieses Nichts zeigt die „spontane Entwicklung von relativ tragfähigen Konstruktionen”, wie Peter Sloterdijk formulierte, aber es ist, wo nichts unternommen wird, darum zurecht der Inflation ausgesetzt.

Wer, der Geld hat, also womöglich ein zukünftiges Nichts, hörte das gerne? Wer wäre nicht für Deflation, wollte sich nicht unter die Habenden rechnen, die Feudalisten, die sich als Kapitalisten verkennen und darum, noch ehe die Rede davon ist, ob sie den Nichthabenden gnädig seien, sich und noch mehr diese ruinieren? – Dies aber nur als Exkurs.

Wir haben jedenfalls eine Gesellschaft, die sich zerstückelt: Reiche, die frei von Demut oder Solidarität investieren – oder nicht investieren, sondern Wetten auf Wetten abschließen, die sie freilich nicht begleichen, wenn der Crash kommen sollte –; Rechte, die von jenen unterstützt werden, denen kurzsichtig zu gefallen scheint, wenn die eigentlichen Interessenkonflikte unbesprochen bleiben; dazu Linke, die dies zu einem nicht zu kleinen Teil nur dem Namen sind und öffentliche Gelder ihresgleichen zuschanzen, Umberto Eco verwies darauf, daß einst diese Gelder wenigstens – illegal – in das investiert wurden, woran diese Volksvertreter glaubten; und Glaubenskrieger ohne Glauben, die gemäß der Theorie des zu rechtfertigenden Aufwandes womöglich darum töten und leiden, weil sie schon so viel getötet und gelitten haben. Die Mitte schließlich droht nach rechts abzurutschen, Christlichsoziale zeigen vorauseilenden Gehorsam und betonen allzu das Verständnis für jene, die dem Verständnis wie dem Verstand doch längst abschworen.

Die Gesellschaft wäre zu stärken, im Moment ist das vor allem die Linke, jedenfalls, insofern sie nicht genuine Lüge ist, sondern der unbequeme Diskurs:

(1) Daß nicht nur das Kapital, sondern auch jene, die es zu generieren unerläßlich sind, international sind. Dies als Antwort auf jene, die das Divide et impera praktizieren. Ihnen auch, daß Kapitalismus, wenigstens auf Marx’ Niveau gedacht, nicht das Anhäufen virtueller Werte ist und um seiner selbst willen nicht sein sollte.

(2) Daß es überhaupt wieder des Diskurses bedarf, des Rechts, den anderen beim Wort zu nehmen und seine Lügen zu zitieren und aufzuzeigen, während heute die Rechten ungeniert und ungestraft eine inkohärente Ideologie mit Erfundenem untermauern und radikale Forderungen stellen, die man aber bitte nicht mit ihnen in eben jener Öffentlichkeit in Verbindung bringen möge – ein Zeichen der Infantilisierung: das, was öffentlich formuliert wird, dürfe nicht öffentlich zitiert werden? 1 – Wer nicht zitiert werden will, der muß schweigen, also in seiner Unmündigkeit bitte verbleiben. Zugleich: Wer nicht widerspricht, bleibt ungehört, während das zu Beeinspruchende unerhört ist.

(3) Daß es die Pflicht des Bürgers ist, sich zu informieren, solche Lügen als das, was sie sind, wahrzunehmen, jene, die nichts wissen, aufzuklären, aber die, die resistent sind, auch als dies zu benennen: dumm, zynisch oder dumm und zynisch. Manches ist nicht Politik, sondern der Wille, sie zu zerstören, kein Fall für den Dialog, sondern für das Strafgesetzbuch.

(4) Daß wir vor allem aber einander verpflichtet sind, auch wenn das nicht immer einfach ist. Dies als Antwort auf die „Flüchtlingsproblematik”, die eine Chance ist, auch wirtschaftlich, aber vor allem: sich zu bewähren, die Identität zu stiften, die Europa verdient, und sie hat mit der „Leitkultur” Galgen umhertragender Pegida-Leitunkultur nichts zu tun. Es geht ums Menschsein, was aber – mit Jacques Derrida – heißen mag: ein Gastgeber zu sein, „der das Unendliche jenseits seiner Aufnahmefähigkeit zu empfangen” hat. Das ist kein Kniefall vor importierten Untugenden; was Europa auszeichnen kann und soll, das möge auch verteidigt werden, wo der islamische Sexismus, um ein gerne beschworenes Beispiel zu nehmen, das, was eine Solidargemeinschaft auszeichnet, negiert. Bloß im Bewußtsein, daß jene, die hierüber gegenwärtig am lautesten klagen, zugleich selbst die womöglich größere Integrations-Herausforderung sind.

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