Lesarten

Der schnoddrige Ton des alten Berlins - Mascha Kaléko und ihre Lieder

Autor: Ursula Homann

"Ich bleibe der Fremde im Dorf", so lautet die letzte Zeile in einem Gedicht der jüdischen Lyrikerin Mascha Kaléko, in dem sie ihr Dasein als ungelittene Fremde in einer misstrauischen, bösartigen Umwelt beklagt. Ihr "Bündel" hat Mascha Kaléko oft schnüren müssen, schon als Kind. War sie doch, wie es in einem anderen ihrer Gedichte, im "Interview mit mir selbst", heißt, "als Emigrantenkind geboren/In einer kleinen, klatschbeflißnen Stadt,/ Die eine Kirche, zwei bis drei Doktoren/ Und eine große Irrenanstalt hat."

Wie ihre jüdischen Zeitgenossen Rose Ausländer, Elisabeth Bergner, Alexander Granach und Manès Sperber, die alle von Osteuropa nach Deutschland oder Österreich kamen und dann durch den Nationalsozialismus ins Exil getrieben wurden, wurde auch Mascha Kaléko mehrfach entwurzelt. 1914 kam sie als Golda Malka Aufen mit ihren Eltern und ihrer Schwester aus dem westgalizischen Stetl von Chrzanów, wo sie als Tochter eines russischen Vaters und einer österreichischen Mutter am 7.Juni 1907 das Licht der Welt erblickt hatte, nach Frankfurt am Main, bald darauf nach Marburg und schließlich 1918 nach Berlin, wo sich die Familie im Scheunenviertel, dem Zentrum der Ostjuden, niederließ.

Nach einer Sekretärinnenausbildung und Büroarbeit für das "Arbeiterfürsorgeamt der jüdischen Organisationen Deutschlands" veröffentlichte Mascha Kaléko ab 1930 in verschiedenen Berliner Tageszeitungen, vor allem in der "Vossischen Zeitung" und im "Berliner Tageblatt", kleine Gedichte und Verse, die auch als Chansons Erfolg hatten und von Thomas Mann bis Alfred Polgar gelobt wurden. Entdeckt und gefördert worden war sie von dem Kritiker Monty Jacobs, einem der Pioniere des deutschen Feuilletons. Fortan gehörte sie zum Kreis der schöpferischen Bohème. Im Romanischen Café, dem Treffpunkt der Literaten und Künstler, traf sie Tucholsky, Ringelnatz, Klabund, Else Lasker-Schüler, Walter Mehring und Erich Kästner, mit dem sie oft verglichen wurde, da sie in ihren Alltags- und Beziehungsgedichten ähnlich wie Kästner einen heiter-melancholischen Ton anschlug oder, wie Thomas Mann sagte, eine "aufgeräumte Melancholie"bevorzugte. Man nannte sie auch die "weibliche Kästner" und die Philosophin der kleinen Leute.

Anfang der dreißiger Jahre erschien ihr Gedichtband "Das lyrische Stenogrammheft" und bald darauf ihr "Kleines Lesebuch für Große" mit scharf umrissenen Miniaturen von möblierten Herren, unglücklichen Mannequins und selbstzufriedenen Berliner Piefkes, deren Alltagsmentalität die Kaleko ihren Traum vom "kleinen Glück" entgegensetzte. Bewusst stilisierte sie sich in den ersten Gedichten, um ihre ostjüdische Herkunft zu verschleiern, zur Berliner Großstadtpflanze und bediente sich gerne des Berlinerischen Jargons wie etwa in "Piefkes Frühlingserwachen".

zur Autorin

Gedicht: Der Fremde

Autor: Mascha Kaléko

Sie sprechen von mir nur leise
Und weisen auf meinen Schorf.
Sie mischen nur Gift in die Speise.
Ich schnüre mein Bündel zur Reise
Nach uralter Vorväter Weise.
Sie sprechen von mir nur leise.
Ich bleibe der Fremde im Dorf.