Lesarten

Der schnoddrige Ton des alten Berlins - Mascha Kaléko und ihre Lieder

Autor: Ursula Homann

Die Verse der Kaléko sind spritzig im Ton und scharfsinnig im Gedankengang und kamen mit ihrer Mischung aus Sentiment, Schnoddrigkeit, melancholischer Weltsicht, raschem Witz und Volksliedhaftigkeit bei Presse und Publikum gut an. Hier einige Kostproben: "Ich sitz in meinem Stammcafé/ Es ist schon spät. Ich gähne.../Ich habe Sehnsucht nach René/Und außerdem Migräne." Oder: "Osterspaziergang./Ganz unter uns: Noch ist es nicht so weit./ Noch blüht kein Flieder hinterm Heckenzaune./ Doch immerhin: Ich hab ein neues Kleid,/Bürofrei und ein bißchen Frühlingslaune.". In "Frühling über Berlin" persifliert sie Mörikes altbekannten Vers durch Stilbruch: "Süße wohlbekannte Düfte../Stammen höchstens von Benzin."

Mit einundzwanzig Jahren heiratete die Lyrikerin den Philologen Saul Kaléko. Später verliebte sie sich in den Dirigenten und Komponisten Chemjo Vinaver - er komponierte jüdische Sakral- und Volksmusik -, ließ sich scheiden und heiratete ihn.
Nachdem die Nazis ans Ruder gekommen waren, wurde Mascha Kaléko aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen und erhielt Arbeitsverbot. Mit ihren zweiten Mann Chemjo Vinaver und ihrem gemeinsamen Sohn Evjatar - in Amerika wurde dann aus Evjatar ein Steven - blieb die Dichterin bis 1938 in Deutschland, weil sie den Verlust ihrer Heimat und Sprache zu sehr fürchtete. Doch als die Angriffe in der Nazipresse immer heftiger wurden, emigrierte die Familie 1938, buchstäblich in letzter Minute, in die USA und fand eine Bleibe in New York. Hier verdiente Mascha Kaléko das tägliche Brot durch Anfertigen von Reklamesprüchen und dichtete nur noch nebenbei.
"Darf man klagen? Nein! wir sind alle beieinander. Und überall ist Krieg", schreibt sie 1940 in ihr Tagebuch.

Vor ihrem Exil hatte sie sich bewusst assimiliert und vom Judentum abgewandt. Erst seit 1933, besonders nach der Pogromnacht 1938 und verstärkt im Exil, setzte sie sich mit ihrer jüdischen Identität auseinander. Zeugnis dieser Auseinandersetzung ist das 1940 in der jüdischen Emigrantenzeitschrift "Aufbau" abgedruckte gebetartige Hiob-Gedicht, in dem ein klagendes Wir zu Gott spricht. Die jüdische Geschichte wird dabei zur zyklischen Wiederholung biblischer Ereignisse, der alttestamentliche Hiob zur gleichnishaften Vorwegnahme der späteren Einbrüche im Geschick Israels, zu einem, der das Schicksal seiner Enkel immer wieder aufs neue teilt.
Mascha Kalékos Gedicht "Enkel Hiobs" beginnt mit den Worten: "Wie tief entbrannte über uns dein Zorn!" und endet mit den Versen: "Mit Tränen säten wir das erste Korn,/Und sieh, der Halm ist leer, den wir geschnitten./Was willst du, Herr, noch über Hiob schütten? - Gar tief entbrannte über uns dein Zorn.."

Das Gedicht verdeutlicht die kollektive und religiöse Rückbesinnung der vormals assimilierten Kaléko in ihrem amerikanischen Exil. Mit ihm reiht sie sich in die Gemeinschaft des jüdischen Volkes ein, in die Gemeinschaft der, wie sie glaubt, vom göttlichen Zorn getroffenen "Enkel Hiobs".

1942 schreibt sie zum Jom-Kippur-Fest, dem Versöhnungstag, das Gedicht, das später den Titel "Kaddisch" (Gebet des Totengedenkens) trägt.
Viele ihrer Gedichte sind voller Heimweh, wie etwa der Zyklus "Die Tausend Jahre", in dem sie ihre Exilerfahrungen kritisch-satirisch einschätzt. Ihr "Emigrantenmonolog" (in einigen Bänden trägt dieser den Titel "Im Exil") ist ein trauriges Lied, in dem sie, im Ton Heinrich Heines, ein Stück der eigenen Lebens- und Leidensgeschichte zur Sprache bringt. "Ich hatte einst ein schönes Vaterland/So sang schon der Flüchtling Heine./ Das seine stand am Rheine,/Das meine auf märkischem Sand", dichtet sie und schließt: "Mir ist zuweilen so, als ob das Herz in mir zerbrach./Ich habe manchmal Heimweh/Ich weiß nur nicht, wonach..."
In "Souvenir à Kladow, geschrieben im heftigen Vorfrühling Manhattans", bekennt sie: "Ich denke oft an Kladow im April" und in "Kein Kinderlied": "So heimatlos wie Sand,/Wohin ich immer reise, /Ich komm nach Nirgendland."
Viele ihrer Leser, die wie sie im Exil lebten, fanden sich in ihren Versen und Gedichten wieder. Waren diese doch das lyrische und satirische Echo der Nöte und Sorgen, die ihnen allen durch das aufgezwungene Schicksal gemeinsam waren. Mascha Kaléko entrinnt dem Heimweh nach der verlorenen Heimat und dem Gefühl der Heimatlosigkeit durch ihre Poesie, aber auch durch ihre Fürsorge für die Nächsten, für die Familie und die wenigen Freunde, die noch geblieben sind. "Zur Heimat erkor ich mir die Liebe" heißt es nicht nur in einer Verszeile, sondern ist auch Mascha Kalékos gelebte Maxime.
Obgleich nun Kummer und Verzweiflung ihre Sprache härter werden lassen und zunehmend Verzweiflung, Angst und Unsicherheit ihre Gedichte prägen, so verliert sie doch selbst in der Emigration weder ihre Leichtigkeit noch ihre spöttische Eleganz.
Mitte der fünfziger Jahre kommt sie nach Europa zurück und bekennt: "Als ich Europa wiedersah/ - Nach jahrelangem Sehnen,/ Als ich Europa wiedersah,/ Da kamen mir die Tränen." Und: "Wenn ich 'Heimweh' sage, sag ich 'Traum'./ Denn die alte Heimat gibt es kaum./ Wenn ich Heimat sage, mein ich viel:/ Was uns lange drückte im Exil./ Fremde sind nun im Heimatort./ Nur das 'Weh', es blieb./ Das 'Heim' ist fort." Im Heinejahr 1956 erwies sie ihrem geistigen Ziehvater, dem Ironiker und Emigranten Heinrich Heine, mit ihrem Gedicht "Deutschland, ein Kindermärchen" ihre Reverenz und blickte zurück auf ihr eigenes beschädigtes Dichterleben.

zur Autorin

Gedicht: Der Fremde

Autor: Mascha Kaléko

Sie sprechen von mir nur leise
Und weisen auf meinen Schorf.
Sie mischen nur Gift in die Speise.
Ich schnüre mein Bündel zur Reise
Nach uralter Vorväter Weise.
Sie sprechen von mir nur leise.
Ich bleibe der Fremde im Dorf.