Lesarten
Die Welt als ein Reservoir der Zeichen
Autor: Frank Milautzcki
Man hatte Baudelaire in Deutschland zu seinen Lebzeiten zunächst bestenfalls als Vermittler Poes wahrgenommen, in den 1870er Jahren ihm dann Seelenkrankheit und Dekadenz bescheinigt, bevor er um 1890 in den Feuilletons seinen Auftritt als Zauberer und Sprachkünstler haben durfte. Knapp zwanzig Jahre dauerte der Rufwandel. Bis dann 1891 in Deutschland auch erstmals literarisch anspruchsvolle Übersetzungen seiner Gedichte erschienen. Der junge Stefan George hatte vierzig Texte aus den “Fleurs du Mal” umgedichtet, wie er es selbst charakterisiert wissen wollte. Sie erschienen als Privatdruck in faksimilierter Handschrift für eine Handvoll Freunde – in 25 Exemplaren Auflage.
Zehn Jahre – von 1891 bis 1900 hat George aus den Fleurs du Mal übersetzt. 1901 erschien bei Georges Hausverlag Bondi dann eine öffentlich erreichbare Auflage von schließlich 118 nachgedichteten Texten und sie wurden sehr breit als wertvoll begrüßt. Aber wie vieles von George hat es nur eine selbst erdachte Wahrheit zu bieten und der Rest ist Attitüde und Schauspiel. Provokation. Überall wo Verblendungen das Handeln steuern, können nur Parteien entstehen, Pros oder Contras, Glaubenskriege, und sind Diskussionen nicht wirklich möglich. Überall, wo man behauptet, drückt man den Kopf eines anderen unter Wasser. George hat Baudelaire übersetzt, um mit ihm Argumente zu haben für eine Kunst jenseits der Welt, für eine l’art pour l’art. Einen Apfel, den man essen will, der keine Sünde ist, weil er Kunst ist. Oh heilige heilige Kunst!
Er hat Baudelaire nicht übersetzt, weil er ihn verstanden hatte, sondern weil er gerade zu pass kam als Kronzeuge für eine deutlich andere Kunst. Eine, die nicht mehr am diesseitigen Menschen klebt, sondern abhebt in völlig eigene Bereiche. So schreibt George: „Jeden wahren Künstler hat einmal die Sehnsucht befallen, in einer Sprache sich auszudrücken, deren die unheilige Menge sich nie bedienen würde, oder die Worte so zu stellen, dass nur der Eingeweihte ihre hehre Bestimmung erkenne.“ Ach der Eingeweihte! Ach der schlaue Hans! Unheilig ist die Menge, nur der Dichter kanns!
Georges Übersetzungen sind mehr George als Baudelaire. Sie zeigen deutlich: der Mann hat von Baudelaire wenig Ahnung – und um den geht es aber. Der hat auch Angst, will von der Wirklichkeit nichts wissen, von ihr ist er enttäuscht und täuscht sich darüber hinweg, indem er den Rausch pflegt und sich in die eigenen Hirnwindungen dunkle Flächen legt, aus denen seine Gedichte leuchten können.
Thomas Köster schreibt:
“Die Welt wird zum Reservoir von Zeichen, zum „Wald von Symbolen" („une fôret de symboles"). Es gilt, diese zu zerlegen und überraschend wieder zu verknüpfen. So entstehen ungewöhnliche Bezüge und Entsprechungen („correspondances"), die Erkenntniswert besitzen. Eros und Tod werden zentrale Themen: Allein das Rätselhafte, Geheimnisvolle, Künstliche, Amoralische besitzt noch Schönheit – und Bedeutung. Mit diesem Schreibprogramm avancierte der Autor zur zentralen Gestalt des Ästhetizismus und der l’art pour l’art.”

Gedicht: LXXXI - Obsession
Grands bois, vous m'effrayez comme des cathédrales;
Vous hurlez comme l'orgue; et dans nos coeurs maudits,
Chambres d'éternel deuil où vibrent de vieux râles,
Répondent les échos de vos De profundis.
Je te hais, Océan! tes bonds et tes tumultes,
Mon esprit les retrouve en lui; ce rire amer
De l'homme vaincu, plein de sanglots et d'insultes,
Je l'entends dans le rire énorme de la mer
Comme tu me plairais, ô nuit! sans ces étoiles
Dont la lumière parle un langage connu!
Car je cherche le vide, et le noir, et le nu!
Mais les ténèbres sont elles-mêmes des toiles
Où vivent, jaillissant de mon oeil par milliers,
Des êtres disparus aux regards familiers.
*
LXXXI - Bedrängnis
Ihr großen Wälder ängstigt mich, wie Kathedralen,
und dröhnt wie Orgeln. Dem Herz, verfluchte Kammer
einer ewigen Trauer, klirren röchelnde Qualen
als Echo von eurem De profundis Gejammer.
Ach Meer, ich hasse dich! Aufbäumen, Zerspellen -
so spiegelst du mich. Ich höre das bittere Lachen
von gescheiterten Menschen, wie einen Nachen
trägt es das Meer in seinem zeitlosen Wellen.
Schön wär die Nacht ohne Sterne, ihr Stand
schreibt die immer gleichen Worte ans Licht!
Fürwahr - ich suche das Leere, Schwarze und Nackte!
Nun ist die Finsternis selbst eine Leinwand,
auf der tausendfach aus dunklen Schatten gezackte
Wesen dem Vertrauten entschwinden, damit es zerbricht.
Nachdichtung Frank Milautzcki 2010