Lesarten

Die Welt als ein Reservoir der Zeichen

Autor: Frank Milautzcki

Einmal färbte Baudelaire sich die Haare grün, da er gern Absinth trank. Er war ganz stolz darauf und als er eines Tages Maxime Du Camp in Paris besuchte, wunderte er sich, daß der nichts zu seiner Haarfarbe sagte: "Sie finden nichts Ungewöhnliches an mir?" . "Nein", lautete die Antwort.  "Aber mein Haar? Es ist grün!" - "Das ist nicht einzigartig, mein lieber Baudelaire; jeder hier in Paris hat mehr oder weniger grüne Haare." Enttäuscht ging Baudelaire in ein Café und betrank sich mit zwei große Flaschen Burgunder.
Baudelaire soff nicht nur, er gehörte auch zu den Hachichins und war süchtig nach Opium. Haschisch hatte er bereits 1842 kennengelernt, als sein Freund Ménard von einer Seereise zurückkam. Baudelaire feierte die eine oder andere fantasia des Malers Boissard de Boisdenier, der im Hotel Pimodan in Paris auf der Ile Saint-Louis residierte, wo man sich monatlich im Club der Hachichins bei Damawesc (eine ungewöhnlich hoch konzentrierte Haschisch-Konfitüre) und Opium traf. Zwar hielt sich Baudelaires Haschisch-Konsum stets in Grenzen, aber der Rausch an sich blieb sein ständiger Begleiter. Noch 1862 bedichtet er den Stein der Unsterblichkeit, wie Paracelsus das von ihm gefundene Allheilmittel Laudanum nannte, das zu 90 % aus Wein und 10 % aus Opium bestand, als “eine alte, schreckliche Geliebte”, nach der er süchtig war. Man konnte Laudanum allerorten beziehen, es war das Aspirin jener Zeit.

Eigentlich sah Baudelaire nie ganz klar und zog sich immer auf sich selbst zurück. Sein leiblicher Vater war früh gestorben und sein Stiefvater - ein autoritärer Offizier – nahm ihm die Liebe der Mutter und den Glauben an die Liebe. Er zerhaute dem Jungen jede Hand, die nach der Welt griff, mit dem Reitstock der Disziplin und dem Nein zur inneren Regung. Letztlich ist Baudelaires Kunst aus diesen Lebenszusammenhängen zu verstehen. Die Radikalität mit der er sich vom allseits üblichen Bedichten der Außenwelt distanziert und in die Rätsel der Innenwelt hineinkrallt, läßt uns ahnen, wie intensiv die Verletzungen waren, die er draußen erlitt und die schließlich dazu führten, daß ihm die Welt an sich nur noch symbolisches Material war, das ansonsten mit der inneren Schwärze kaum mehr chemisch reagierte.

Die Welt bedrängte Baudelaire und ihn bedrängte, dass er ihr nur im Dunkeln antworten konnte. Alles Leben war ihm zu viel, weil es ihm immer das Nein wiederspiegelte, das er sich einst als seine ihm zugemessene Antwort hatte abholen müssen. Verdammt zur Untätigkeit frißt sich in ihm die Zeit ein Loch und nennt es Ennui.
„Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung. Er wird dann sein Nichts fühlen, seine Preisgegebenheit, seine Unzulänglichkeit, seine Abhängigkeit, seine Ohnmacht, seine Leere. Unaufhörlich wird aus dem Grund seiner Seele der Ennui aufsteigen, die Schwärze, die Traurigkeit, der Kummer, der Verzicht, die Verzweiflung.“ Blaise Pascal

Hier fühlt George seine Verwandtschaft. Aber George leidet an anderen Dingen und kann Baudelaires Bedrängnis im Herzen nicht verstehen. So versteht er den Titel des Gedichtes auch wörtlich als „Besessenheit“.  Aber es ist eine Chiffre, die Baudelaire aus seinem reichhaltigen kirchlichen Vokabular entnimmt. Es gibt – nach katholischer Lesart - zunächst die Versuchung, dann die Bedrängnis und schließlich, nach mehr und mehr erfolgreichen Übernahmeattacken die totale Besessenheit. So tastet sich die katholische Kirche in ihrer Terminologie über die obsession zur possesion. Eine Besessenheit ist es also nicht, die der theologisch und dämonologisch sehr klar geschulte Baudelaire im Titel meint, sondern eine = seine Bedrängnis. Selbst Wälder kommen ihm übermächtig entgegen, das Meer und schließlich die Sterne – die ganze Welt bedrückt ihn und er will sie nicht mehr. Alles soll leer und dunkel sein, nackt und schmucklos. Die Finsternis ist die Bühne auf der das Leben noch einmal neu und unbelastet entstehen kann. Das Schattenreich ist der eigentliche Ursud, das Reich jenseits von Gott die wirklich freie und befreite Welt.

George sieht diese Bühne nicht. In seiner Übersetzung des Gedichtes heißt es am Ende: „Sogar die finsternisse sind mir wände / Die mir zu tausenden entgegenschicken / Entschwundene wesen mit vertrauten blicken.“ Er macht aus dem Entschwinden der Wesen aus den vertrauten Blicken, ein Entschwinden von Wesen mit vertrauten Blicken. Man kann es so sehen, wenn man die Bedrängnis weiterdenkt, dass selbst im Dunkel, das Vertraute nicht aufhört zu sein –  ich denke Baudelaire wollte genau das nicht. Sein oft zitierter Satanismus war eine Maske, um jedem vertrauten Denken, jedem Gewöhnlichen und jeder Norm die Hoheit abzusprechen. Er wollte das Andere, es blieb ihm nichts übrig – er wollte das Unerhörte entstehen sehen und die Blumen des Bösen als einen Strauß überreichen, der von anderer Liebe spricht.
 

Originalbeitrag

zum Autorenbuch

Gedicht: LXXXI - Obsession

Autor: Charles Baudelaire

Grands bois, vous m'effrayez comme des cathédrales;
Vous hurlez comme l'orgue; et dans nos coeurs maudits,
Chambres d'éternel deuil où vibrent de vieux râles,
Répondent les échos de vos De profundis.

Je te hais, Océan! tes bonds et tes tumultes,
Mon esprit les retrouve en lui; ce rire amer
De l'homme vaincu, plein de sanglots et d'insultes,
Je l'entends dans le rire énorme de la mer

Comme tu me plairais, ô nuit! sans ces étoiles
Dont la lumière parle un langage connu!
Car je cherche le vide, et le noir, et le nu!

Mais les ténèbres sont elles-mêmes des toiles
Où vivent, jaillissant de mon oeil par milliers,
Des êtres disparus aux regards familiers.



*


LXXXI  - Bedrängnis

Ihr großen Wälder ängstigt mich, wie Kathedralen,
und dröhnt wie Orgeln. Dem Herz, verfluchte Kammer
einer ewigen Trauer, klirren röchelnde Qualen
als Echo von eurem De profundis Gejammer.

Ach Meer, ich hasse dich! Aufbäumen, Zerspellen -
so spiegelst du mich. Ich höre das bittere Lachen
von gescheiterten Menschen, wie einen Nachen
trägt es das Meer in seinem zeitlosen Wellen.

Schön wär die Nacht ohne Sterne, ihr Stand
schreibt die immer gleichen Worte ans Licht!
Fürwahr - ich suche das Leere, Schwarze und Nackte!

Nun ist die Finsternis selbst eine Leinwand,
auf der tausendfach aus dunklen Schatten gezackte
Wesen dem Vertrauten entschwinden, damit es zerbricht.



Nachdichtung Frank Milautzcki 2010