Im Gespräch mit Alexander Graeff über die Benefizveranstaltung „So geht Prosa!“
Am Samstag, den 28. Oktober 2017 lädt die Brotfabrik Berlin zu einer Langen Nacht der poetischen Prosa. Eine Nacht, die zeigt, dass Prosa nicht nur aus marktkonformen Unterhaltungsromanen besteht, sondern durch eine inhaltliche wie formale Vielfalt besticht. Eine Nacht, die zeigt, dass Poesie nicht nur von Lyriker*innen gepachtet wird, sondern auch in der Prosa entwickelt werden kann. 17 Autor*innen lesen auf der BrotfabrikBühne experimentelle, unkonventionelle, lebendige, mutige und vor allem poetische Prosa. Die Brotfabrik spendet 100% der Abendkasseneinnahmen für die Einrichtung einer Bibliothek in der Gemeinschaftsunterkunft Treskowstraße.
Es lesen: Anja Kümmel, Bernd Lüttgerding, Daniel Breuer, Daniel Ketteler, Isabelle Lehn, Jan Kuhlbrodt, Joshua Groß, Kai Gutacker, Lilian Peter, Luise Boege, Magdalena Jagelke, Nancy Hünger, Odile Kennel, Sandra Gugic, Sofie Lichtenstein, Thomas Podhostnik und Valentin Moritz.
Kathrin Schadt sprach mit dem Schriftsteller Alexander Graeff in seiner Rolle als Kurator der Veranstaltung und Programmverantwortlicher für Literatur in der Brotfabrik Berlin.
Was dürfen sich Leser*innen unter dieser Langen Nacht der poetischen Prosa vorstellen? Was erwartet die Besucher*innen?
Wir wollen einmal die unkonventionelle Seite der Prosa zeigen, die mit den kurzen, experimentellen, poetischen und all den Formen, die es auf dem Markt der Fließtexte schwerer haben als ‚klassische‘ Romane. Gelesen wird bis Mitternacht, daher nennen wir das eine Lange Nacht der poetischen Prosa. Mit den Autor*innen und den Texten, die sie lesen werden, soll eine breite inhaltliche und formale Vielfalt präsentiert werden. Gemeinsamer Nenner sind vielleicht die Themen. Es sind allesamt Themen, die am Status Quo kratzen, weil sie – ganz gleich ob sie als Erzählung, Essay oder Roman daherkommen – bestimmte Muster des Denkens sichtbar machen, manchmal kritisieren, aber eben auch konkrete Gegenentwürfe aufzeigen.
Und was genau hat es mit dieser Benefizveranstaltung auf sich? Wie kam es dazu?
Die Kasseneinnahmen werden zur Einrichtung einer Bibliothek in der Gemeinschaftsunterkunft Treskowstraße in Heinersdorf verwendet. Dort sollen dann Bücher in den Sprachen der Geflüchteten angeschafft werden. Der Unterstützungskreis der Gemeinschaftsunterkunft trifft sich seit geraumer Zeit regelmäßig in der BrotfabrikKneipe, da lag es irgendwann auf der Hand, einmal zu kooperieren. Mit der Prosa, die vielleicht nicht unbedingt zu den politisch-engagiertesten Kunstformen dieser Tage gehört, wollen wir einen wichtigen sozialen und solidarischen Beitrag leisten.
Nach welchen Kriterien wurden die Lesenden ausgewählt? Und warum lesen auf einer Benefizveranstaltung für Flüchtlinge keine Flüchtlinge?
Ich möchte nicht marktkonformer Prosa eine Plattform bieten. Das kuratorische Konzept ist daher geprägt von meiner Vorstellung von mutiger und lebendiger Gegenwartslyrik und -prosa. So bin ich an die Autor*innen und ihre Texte herangegangen. Als klar wurde, dass es eine Benefizveranstaltung wird, fand ich den Gedanken schön, mit deutschsprachiger Literatur Geld für die Anschaffung nicht-deutschsprachiger Literatur zu sammeln.
Ich habe versucht, geflüchtete Autor*innen zu finden, einige wurden mir empfohlen. Leider haben die aber abgesagt, wobei ich mir natürlich auch eingestehen muss, dass der Pool an mir bekannten, geflüchteten Autor*innen sehr klein war. Der Grund der Absage war in einigen Fällen aber gerade das Konzept. Ich habe den Eindruck, dass die geflüchteten Autor*innen, mit denen ich im Gespräch war, gerade eher marktkonforme Prosa machen wollten. Das ist aber natürlich nur ein sehr subjektiver Eindruck.
Ich habe mich gefragt, ob eine solche Veranstaltung nicht noch mehr Potential böte, sich innerhalb des Literaturbetriebs mit der Flüchtlingsfrage zu beschäftigen, Raum zu schaffen für politisches Engagement in, durch Texte, und auch für einen kulturellen Austausch zwischen den Kunstschaffenden hier und denen, die ihr Land verlassen mussten, also einen tatsächlichen Dialog zu fördern, Brücken zu schlagen. Wie könnte so etwas aussehen, wenn Sie dabei an „So geht Prosa!“ denken? Hier lesen ja die Autor*innen nur deutschsprachige Texte als „Alternativen zum Romanstandard“, das Engagement äußert sich dann im Spenden des Eintrittsgeldes.
Vor allem lesen die Autor*innen am 28. Oktober alle ohne Honorar! Damit setzen sie ein Zeichen für ein Engagement für Geflüchtete. Es geht also nicht nur ums Spendengelder sammeln. Dennoch ist das aber sicher nur ein Anfang. Man könnte Autor*innen und Texte inhaltlich noch viel mehr mit einer engagierten Thematik, mit unterschiedlichen Kulturen und Sprachen usw. verschränken. Dass der Literaturbetrieb Interesse hat an dem Thema, zeigt sich aber jetzt schon an den vielen Kooperations- und Medienpartnern. Das Monetäre ist das eine, die Zusammenführung der Menschen das andere. Zu letzterem sagen viele Ja, ersteres ist oft aber nicht Ausdruck des letzteren. Ich rechne im Übrigen auch damit, dass am 28. Oktober zahlreiche Bewohner*innen aus der Gemeinschaftsunterkunft zu Gast sind. Mal sehen, was „So geht Prosa!“ noch so auslöst.
Zum Thema der Veranstaltung: Was bedeutet „mutige, unkonventionelle Prosa“? Und wäre nur das dann ernstzunehmende Prosa, wie der Titel „So geht Prosa!“ suggerieren könnte?
Ich denke, der Titel suggeriert das nicht. Ich rufe mit diesem Attributen-Spiel sicher keine E- und U-Differenzierung auf. Vielmehr geht es darum, etwas positiv zu bestimmen und nicht nur um Abgrenzung und Kritik. Mir geht es um eine engagierte Befürwortung einer Sache, einer Poesie, einer Prosa, einer Richtung, die ich dem Schreiben gebe und so den, sicher nicht unkritischen Zugriff auf Welt nicht verliere. Das kann nur mit Mut geschehen, mit Mut, auszubrechen aus den konventionellen Vorgaben eines literarischen Betriebes, einer bürgerlichen Mentalität, einer singularistischen Identitätsvorstellung usw. Ich erachte es als sehr wichtig, Begriffe zu finden für Orientierungen in einer komplexen Welt. Die Poesie ist prädestiniert für diese Begriffsfindungen. Die Texte der Autor*innen, die am 28. Oktober lesen, zeigen diesen Mut mit ihrer poetischen Prosa. Es ist kein Gegenprogramm, was wir hier aufzeigen wollen, mehr ein Gegenwind. Aber wenn der nur stark genug ist, kann er Bäume entwurzeln.
Die Moderation übernehmen diesmal nicht Sie, welchen Grund gab es dafür?
Ich habe in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass es sehr belastend ist, sich um alles zu kümmern, hinter den Kulissen zu koordinieren, alle Akteur*innen einer Veranstaltung zu betreuen, zu kuratieren, Pressearbeit zu machen und dann am Abend auch noch auf der Bühne zu stehen – das ist mir mittlerweile zu viel. Mit Zoe Beck und Alexander Lehnert habe ich auch kompetente Moderator*innen gewinnen können. Die machen das viel besser als ich! Ich freue mich schon darauf, wie sie durch den Abend und durch die beiden Leseblöcke führen werden.
Warum kann Prosa auch Poesie sein, bzw. sollte Poesie nicht nur der Lyrik zugeschrieben werden?
Poesie ist für mich eine Bewusstseinsform, die durch eine bestimmte Sprache generiert wird. Also im Grunde gibt es nichts anderes, was Bewusstsein in der uns bekannten Komplexität hervorgebracht hat als Sprache. Die Frage ist nur, welche Sprache das ist. Ist es z. B. eine gewaltvolle Sprache, eine verkürzende Sprache usw., resultiert hieraus auch ein entsprechendes Bewusstsein. Poesie ist die denkbar breiteste und für multidimensionale Interpretationsmöglichkeiten offenste Form des Bewusstseins, das man ausbilden kann. Warum sollte es also nur eine formale Gattung des literarischen Schaffens geben, der diese Bewusstseinsform zugesprochen wird? Mit dieser Form des Bewusstseins lassen sich alle möglichen Texte produzieren. Das zeigen die Autor*innen bei „So geht Prosa!“.
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