Interview

Mongolei Stadt - Interview mit Mareike Günsche

Geführt am 5.9.2013 in Ulaanbaatar.

Mareike Günsche ist Fotografin. Sie lebt und arbeitet seit 2009 in Ulaanbaatar. Publikationen u.a. in Cicero, The Financial Times Deutschland, Brand Eins, Neon und Der Spiegel. Ein Gespräch über Geschlechterrollen, die großen Minen, den Winter und die junge LGBT-Community in Ulaanbaatar.

I. Jungfräulichkeit

S* Du hast in Hamburg Fotografie studiert. In deiner Abschlussarbeit  [Auszüge] geht es um „Frauen in der Mongolei“. Warum dieses Thema?

G* Ich wollte schon immer in die Mongolei gehen. Ich weiß nicht warum, aber das Land hat mich schon immer interessiert. Als es dann um die Diplomarbeit ging, hab ich gedacht: jetzt ist der perfekte Zeitpunkt... Warum „Frauen“? Ich hatte vorher schon ein bisschen was über die Mongolei gelesen. Mein Eindruck war, dass Frauen hier eine viel selbstbestimmtere Rolle haben als in anderen asiatischen Ländern, auch historisch. Und weil Feminismus schon immer ein Teil meiner Arbeit ist, dachte ich, ich gehe einfach mal hin und guck was es da gibt.

S* Und was gab es hier?

G* Einerseits ist es wirklich so, dass Frauen hier mehr wertgeschätzt werden als in anderen Ländern, in anderen asiatischen Gesellschaften. Es gibt hier zum Beispiel kein Konzept von Jungfräulichkeit. Frauen müssen keine Jungfrauen sein, wenn sie in die Ehe gehen. Wenn sie schon ein Kind haben ist das eher etwas positives, und das schon seit dem Mittelalter, wo das in Europa Teufel und Schande bedeutet hat. Hier wurde das als Zeichen von Fruchtbarkeit gesehen und wertgeschätzt. Und zur Hochzeit, auch schon damals, hat die Frau ein gesatteltes Pferd geschenkt bekommen, damit sie ihren Mann verlassen kann, wenn sie will.

Das war so, weil die Frauen in einer nomadischen Kultur alles selber können müssen. Wenn die Männer lange mit dem Vieh weg sind oder, was weiß ich, mit Dschingis Khan in den Krieg ziehen, müssen sie autark leben können. Und deshalb konnten sie auch einfach alles. Holz hacken, das Vieh versorgen usw. Aber nicht nur auf dieser Ebene. Es gibt auch ein Sprichwort: „wenn du einen weisen Rat haben willst, musst du eine Frau konsultieren“. Also wenn man aus Europa kommt, mit diesem ganzen christlichen Gedöns – Frauen werden hier mehr wertgeschätzt. Aber auch im Vergleich zu anderen asiatischen Ländern hat die Mongolei da eine Sonderstellung.

S* Und andererseits?

G* Heißt das nicht, dass Frauen hier gleichberechtigt sind. Heißt das nicht, dass die Mongolei nicht trotzdem ein Patriachat ist. Frauen sind hier nicht gleichberechtigt. Aber es gibt eine andere Wertschätzung.

S* Inwiefern nicht? Wie zeigt sich das?

G* Naja – wie überall auf der Welt: in den Führungspositionen sitzen Männer. Es gehen fast nur Frauen zur Uni und durchschnittlich haben Frauen einen viel höheren Bildungsabschluss. Trotzdem sitzen im Parlament neun Frauen von 76. Und das auch erst seit der allerletzten Wahl letztes Jahr.

S* Molor-Erdene, mein erster Gesprächspartner, hat die Ansicht vertreten, dass in der Mongolei die Männer strukturell unterdrückt werden.

G* Es ist schon so, dass Männer es nicht leicht haben in dieser Gesellschaft hier. Ich glaube, die Rollenerwartungen an Männer sind verdammt hart. Ich möchte hier kein Mann sein. Ich möchte hier aber auch keine Frau sein [lacht]. Diese starren Rollenerwartungen allgemein...

Also – ich kann da natürlich nur von meiner eigenen Wahrnehmung reden, davon, wie ich die Mongolei erlebe: Die Männer müssen das starke Geschlecht sein und nach außen hin die Familie anleiten, wobei ganz oft die Frauen diejenigen sind, die die Familien und Strukturen zusammenhalten – sozial und auch finanziell. Das kann eine ganzschöne Doppelbelastung sein. Als nach Zusammenbruch der Sowjetunion die Wirtschaft am Boden lag, sind ja nicht nur Arbeitsplätze verloren gegangen. Es sind auch Kindergartenplätze verloren gegangen und die ganze soziale Infrastruktur. Ich kenne viele Frauen, die nicht nur einen Job haben, sondern nebenbei auch noch irgendein Mikrobusiness starten: nach China fahren, irgendwas herstellen oder verkaufen. Und die sich außerdem um die Kinder kümmern und den ganzen Haushalt machen.

S* Weche Rolle spielt da die Öffnung der Mongolei zum Westen hin, jetzt in Bezug auf Rollenerwartungen? „Weiße“ Werbung ist heute ein unübersehbarer Teil des Stadtbildes von Ulaanbaatar. Europäische Spitzenmarken von Barbour bis Louis Vuitton werben mit sechs mal sechs Meter Plakaten – und darauf sind keine asiatischen Modelle zu sehen. Geschweigedenn autarke Nomadinnen.

G* Schönsein, dem europäischen Schönheitsideal entsprechen – das wird natürlich immer wichtiger. Das tritt an die Stelle von Produktivität und selbst-etwas-erreichen-wollen. Relativ viele Frauen, die ich kenne, lassen sich die Augen operieren, also die Lidspalte operativ verbreitern. Das hat in den letzten Jahren ganzschön zugenommen. Klar hat das mit der Werbung zu tun, mit der man hier zugeballert wird. Da wird mit Bildern gearbeitet, die nicht verstanden werden. Die erotisierte Frau, die verfügbar ist: das wird dann abgefeiert und kopiert, aber was das für das Verständnis der eigenen Körperlichkeit bedeutet, wird hier überhaupt nicht thematisiert...

Naja, aber als Schlussatz vielleicht nochmal dazu: die haben einen ganzschöne Stärke, die mongolischen Frauen, und ein anderes Selbstbewusstsein – auch heute. Das imponiert mir. Und das hat auch historische Gründe, wie gesagt. Außerdem sind sie schön. Mir hat es jedenfalls riesig Spass gemacht, diese Frauen zu fotografieren und diese ganzen tollen Frauen zu treffen.

II. Toll kalt / 60 Zigaretten

S* Ingesamt hast du 80 sehr unterschiedliche Frauen porträtiert. Einige der Porträts sind auf deiner Website veröffentlicht. Aber nach „Frauen in der Mongolei“: warum bist du hier geblieben?

G* Ursprünglich war ein Monat geplant für das Projekt. Das war im Mai 2009. Aber nach einem Monat hab ich schon gemerkt, das geht nicht. Letztendlich bin ich dann vier Monate geblieben, bis sie mich rausgekickt haben wegen des Visums. Ich hab dann in Hamburg mein Diplom gemacht und irgendwie dachte ich die ganze Zeit: ich muss da wieder hin zurück, ich muss mindestens nochmal ein Jahr in die Mongolei gehen und weiter arbeiten. An den „Frauen“, aber auch an anderen Themen, die ich machen wollte. Dann hab ich plötzlich Schiss gekriegt und gedacht, vielleicht idealisiere ich das Ganze auch ein bisschen. 2010 war ich wieder drei Monate hier und es hat sich angefühlt wie eine Woche.

Während meiner ersten Zeit in der Mongolei hab ich auch bereits die Gamma Agentur kennengelernt. Und Gamma ist sicher ein Grund, warum ich jetzt immernoch hier bin. Weil meine Kollegen geniale Fotografen sind, und es gibt so selten Leute, mit denen man grandios zusammenarbeiten kann im Sinne gegenseitiger Unterstützung und ehrlichen Feedbacks. Die haben andere Perspektiven als ich, das bringt mich total weiter... Seit 2011 bin ich in Deutschland komplett angemeldet.

S* Alles Mongolen in der Agentur?

G* Genau. Alles Mongolen und alles Männer.

S* Auf einer deiner Mongolei-Reise-Fotos ist ein Fenster zu sehen, das zugemauert ist. Man denkt sofort: wegen der Kälte. Ulaanbaatar ist, was die Durchschnittstemperaturen angeht (minus 20 im Januar, im Jahresdurchschnitt plus 6), die kälteste Hauptstadt der Welt zusammen mit Ottawa. Manchmal gehen die Temperaturen runter bis minus 40 Grad.

G* Es ist echt ganzschön kalt aber es ist toll kalt, weil es so trocken kalt ist. Selbst wenn es minus 30 Grad ist, hast du blauen Himmel und Sonnenschein. Und das Licht ist genial zum Fotografieren. Man muss sich halt warm anziehen. Und die Kamera friert ein. Und das Problem ist, ich kann nicht wirklich dicke Handschuhe anziehen, weil ich dann kein Gefühl mehr für meine Kamera hab. Ich hab extra so Handschuh mit Noppen an den Fingern, aber trotzdem. Letztes Jahr hab ich mal drei Stunden draußen fotografiert. Als erstes friert der Display ein und einmal ist mir der Auslöser eingefroren von der Atemluft. Nach drei Stunden spätestens ist Ende Gelände.

S* Von der Kälte mal abgesehen ist Ulaanbaatar eine der Städte mit der weltweit höchsten Luftverschmutzung. Ein Tag in Ulaanbaatar entspricht laut UB Post (Sept. 2013) vier bis fünf Schachteln Zigaretten. Ein Ingenieur sprach mir gegenüber neulich von immerhin 60 Zigaretten als toxisches Äquivalent zu einem Tag UB. Im Winter ist es, aufgrund der vielen schlechten Kohle und des Mülls, der bei diesen Temperaturen in den Ger-Vierteln verheizt wird, besonders schlimm.

G* Das stimmt. Das ist echt eklig. Wenn ich im Winter morgens rausgehe, ziehen sich meine Lungen zusammen und schreien „Nein!“ Ich fotografiere auch schon seit längerem an einer Serie zum Thema Luftverschmutzung. Einmal sind wir auf einen Berg gestiegen, in einem Ger-Distrikt im Norden. Und du siehst halt echt: über der Stadt liegt eine braune Schicht. Oder wenn man am Wochenende raus aufs Land fährt und kommt dann zurück: die Stadt liegt in einer Senke, man sieht richtig die braune Pampe, die man gleich wieder einatmet.

Wenn Du mich nach meiner Arbeit als Fotografin fragst: als Freischaffende muss ich mir natürlich meine Jobs suchen wie überall, wie in Deutschland auch. Hier zu arbeiten ist aber insofern total genial, als es soviel Bewegung gibt. Man kann die Energie spüren, dass Sachen im Wandel sind. Manchmal hab ich so ein Bild vor mir: die ganze Gesellschaft ist in Bewegung: niemand weiß wohin, aber alle sind auf dem Weg. Und noch hoffe ich, dass erwas total gutes daraus wird. Auch wenn ich mir manchmal denke: warum müssen hier die gleichen Fehler passieren wie schon in so vielen anderen Ländern.

S* Welche?

G* Diese ganze Korruptionsscheiße und wo hier Geld rein investiert wird. Ich meine, wenn man es mal ganz naiv sieht: mit dem Geld, was hier im Boden liegt, sollte man es doch eigentlich schaffen, dass alle eine gescheite Gesundheitsvorsorge und Zugang zu sauberem Trinkwasser haben; Heizung, ein gutes Ausbildungssystem und Infrastruktur. Es sind so wenig Mongolen. Und denen sollte der Ressourcen-Reichtum des Landes eigentlich bessere Lebensbedingungen ermöglichen.

III. Die großen Minen

S* Dazu fallen mir die Fotos ein, die du im letzten Jahr für Cicero gemacht hast. Der Artikel hieß „Reich, reicher, Mongolei“ [inzwischen online]. Wo warst du in Sachen Bergbau schon überall unterwegs?

G* Ich war in beiden großen Minen: Oyu Tolgoi und Tavan Tolgoi. Für Cicero war ich in Tavan Tolgoi, in Oyu Tolgoi für das Wirtschaftsmagazin Brand Eins.

S* War es einfach dort hinein zu kommen?

G* Ja. Die sind beide sehr offen für Presse. Von Oyu Tolgoi war ich echt beeindruckt, weil ich einen All-Area-Ausweis gekriegt hab und die mich da tatsächlich alleine haben rumlaufen lassen. Am Anfang haben wir eine Sightseeing-Tour durch die Mine bekommen mit jemandem an unserer Seite und ich hab schon gedacht: bleibt jetzt die ganze Zeit diese Person an meiner Seite? Aber danach konnte ich mich frei bewegen. Das fand ich spannend, weil vorher hatte ich schon soviel über die Mine gehört, von meinen mongolischen Freunden, und nur schlechtes: dass die Mine so furchtbar ist, dass wieder jemand gestorben ist, dass Frauen vergewaltigt werden – diese ganzen Gerüchte, die sich in der Mongolei sehr schnell verbreiten.

Dann bin ich hingefahren und war echt beeindruckt. Mitten im Nichts. Die Gemeinde daneben hat nicht mal 24 Stunden Strom am Tag. Aber dort: schon allein die Kantine, wo sie mongolisches Essen, chinesisches Essen, europäisches Essen anbieten! Ich hab dort in der normalen Arbeiterkantine so gut gegessen wie schon lange nicht mehr. Und auf den Toiletten liegen Kondome aus. Da sind so viele Männer und Frauen im Nichts – natürlich haben die Sex. Aber wie gut, dass es dann Kondome umsonst gibt! Also was die Lebensqualität dort angeht, geben die sich schon Mühe. Es gibt diese Bar. Die macht um neun zu, weil länger darf man nicht trinken wegen der Arbeit [wer am nächsten Morgen nicht wieder bei 0,0 Promille ist, verliert seine Anstellung]. Es gibt eine Ping-Pong-Halle. Es gibt einen Fitness-Club. Alle die in Oyu Tolgoi arbeiten, können kostenlose Englischkurse besuchen. Das ist von den Arbeitsbedingungen her schon gut.

Andererseits müssen sie die Leute natürlich auch gut behandeln, damit die nicht wegrennen. In der Wüste kannst du ja nichts machen. Die müssen in ihrer Freizeit schon gut beschäftigt werden. Ich meine: die Mine ist ein kapitalistisches Monster. Das ist keine NGO, die versucht, den Leuten ihr Leben schön zu machen. Sondern die sind einzig und allein daran interessiert, möglichst viel Geld aus dem Land rauszuholen. Aber da denk ich mir: hallo! – das weiß doch jeder!Und das weiß die mongolische Regierung doch genauso, dass, wenn sie sich ausländische Investoren ins Land holen, die nicht hierhin kommen, um Kindergärten zu bauen...

S* Und Tavan Tolgoi?

G* Oyu Tolgoi ist echt sauber und gut organisiert. Es gibt heißes Wasser und Duschen und Strom und jedes Zimmer hat Internet. Bei allen volkswirtschaftlichen Vorbehalten – die Infrastruktur ist beeindruckend. Bei Tavan Tolgoi hingegen war ich echt geschockt. Weil es aussieht wie eine große offene Wunde im Land und es ist einfach alles mit Kohlestaub bedeckt. Ich liebe die Gobi und die machen sie einfach total kaputt. Vielleicht nicht total, aber Umweltschutz oder die Natur langfristig zu erhalten, das ist dort nicht so der Gedanke.

IV. Beyond the Blue Sky

S* Dann würde ich gerne noch auf das Projekt „Beyond the Blue Sky“ eingehen, das du zusammen mit Brandt Miller realisiert hast. Es geht um eine Serie von LGBT-Porträts [in Teilen online], hier in Ulaanbaater aufgenommen.

G* Genau. Als ich 2009 zum ersten Mal hier war, hab ich versucht, Leute aus der Szene zu treffen und es hieß immer: „Nee, hier gibt’s keine Schwulen!“ Dann habe ich sie gefunden. Das ist echt lustig gewesen. Ich hab beim Yoga einer Frau erzählt, dass ich auf der Suche bin nach schwulen und lesbischen Menschen. Und sie hat gesagt: „Ach! Eine Freundin von mir ist Lesbe, die kannst du ja mal treffen!“ Dann hab ich die getroffen und diese Frau hatte tatsächlich gerade das LGBT-Center hier gegründet und war dabei diese NGO hier zu etablieren.

S* Was bestimmt nicht leicht war –

G* Bis sie ihre Registrierung hatten, hat es vier oder fünf Jahre gedauert. Und letztendlich haben sie sie nur bekommen, weil diese Registrierungsstelle ihnen ein Schreiben geschickt hat, wo drin stand, dass sie das Center nicht wollen, weil das ein schlechtes Zeichen für die mongolische Jugend wäre. Das könnte ja ansteckend wirken, so nach dem Motto. Und mit diesem Schreiben konnten sie dann international soviel Unterstützung mobilisieren, dass sie die Registrierung bekommen haben...

So hab ich dann jedenfalls ziemlich viele Menschen aus der Szene kennengelernt. Unter anderem auch Brandt, der als Fulbright-Stipendiat hier war und die erste Multimedia-Ausstellung zum Thema LGBT in der Mongolei gemacht hat.

S* Damit zu deinen Bildern. Und zu dem Khadak, der die Gesichter der Porträtierten verhüllt. Warum der Khadak?

G* Bei Porträts geht es darum, einen Menschen abzubilden. Jetzt können die Leute hier aber massiv Probleme bekommen, wenn sie sich outen. Ich habe Freunde, die nach einem Outing von ihren Familien verstoßen wurden oder von Familienangehörigen zusammengeschlagen wurden; oder deren Partner wurden zusammengeschlagen; oder Frauen, die sich als lesbisch outen, und die dann vergewaltigt werden, um ihnen zu zeigen, wie richtiger Sex geht... Diese ganzen fiesen Sachen, die es überall auf der Welt gibt, wenn man nicht der heterosexuellen Norm entspricht. Deshalb der Khadak. Wir haben uns gefragt: wie kann man Porträts machen, ohne die Gesichter zu zeigen. Und ohne die Leute als Opfer darzustellen, denn wenn man das Gesicht nicht zeigt, bekommt das schnell sowas mitleiderregendes.

S* In deinem kurzen Text zu „Beyond the Blue Sky“ beschreibst du den Khadak als „mongolisches Symbol... das unter anderem dazu verwendet wird, die Gesichter von Toten zu verhüllen“.

G* Der Khadak ist in der mongolischen Kultur ein sehr vielseitiges Symbol. Er wird zu feierlichen Anlässen verschenkt. Zum Beispiel zu Hochzeiten, wo das Brautpaar traditionell aus einer Silberschale Milch trinken muss, und diese Silberschale ist immer in einen blauen Khadak gewickelt. Ich selber habe einmal einen blauen Khadak zu einer Ausstellungseröffnung geschenkt bekommen. Und viele Mongolen haben einen blauen Khadak in ihren Autos, unter den Sonnen-Blenden, um eine sichere Fahrt zu haben. Er wird aber eben auch zur Verhüllung der Gesichter von Toten verwendet. Und wenn auf dem Land jemand stirbt, wird oft ein Khadak an einen Baum oder an eine Brücke gebunden... Unser Gedanke war: LGBT-Menschen sind ein Teil der Gesellschaft, der totgeschwiegen wird. Es gab aber auch ein oder zwei Leute, die gesagt haben, sie machen das nicht, eben aufgrund dieser starken Symbolik.

S* Die Ausstellung wurde in Hamburg und New York gezeigt und 2009 im Nationalmuseum Ulaanbaatar. Wie war das öffentliche Interesse?

G* Die Ausstellung war im Ganzen ziemlich groß. Und es gab viel Unterstützung von den Botschaften – deswegen war auch das Nationalmuseum bereit die Ausstellung zu zeigen. Die Eröffnung war sehr gut besucht, aber eben auch viel von Ausländern und Vertretern der Botschaften. Auch in den Medien wurde über die Ausstellung berichtet, auch in den großen. Und was mir besonders in Erinnerung geblieben ist: einer der schwulen Jungs, die ich fotografiert habe, hat sich während der Ausstellung neben sein Foto gestellt und gesagt: „das bin ich.“ Er hat sich geoutet. Ich bin bei sowas sehr sentimental und hätte fast angefangen zu heulen, weil ich so stolz auf ihn war.

S* 2009 ist jetzt schon wieder vier Jahre her...

G* Ja, und seitdem hat sich schon ganzschön was geändert. Trotzdem fordert es immernoch richtig Mut, sich zu outen. Ich kenne nicht viele, die sich öffentlich bekennen. Aber es ist offener geworden und gibt mehr Bewegung. Diesen Monat gibt es die erste Pride Week – in deren Rahmen auch die Ausstellung nochmal gezeigt wird – und es gibt das erste Schwul-Lesbische-Filmfest. Es gibt den ersten mongolischen Kurzfilm, in dem eine schwule Liebesgeschichte erzählt wird. Es gibt die erste offizielle Schwulenkneipe und den ersten schwulenfreundlichen Club.

Das alles aber erst die letzten Jahre. Als ich 2009 kam, gab es einmal im Monat eine Schwulenparty: man wurde per SMS eingeladen und per SMS wurde gesagt, wo man hinkommen soll. Immer an wechselnden Orten. Und man hat sich nie hundert Prozent sicher gefühlt auf dem Weg dorthin. Das ist jetzt viel entspannter, und jede Woche findet eine Schwulenparty statt.

V. Nachtrag zur Frage der Gleichberechtigung

G.: Häusliche Gewalt ist auch ein großes Problem. Bis heute ist häusliche Gewalt in der Mongolei keine Straftat. Viele Frauen sitzen im Gefängnis, weil sie sich gewehrt haben. Aber da häusliche Gewalt keine Straftat ist, wird auch das Sich-Wehren nicht als solches anerkannt und die Umstände nicht strafmildernd gewertet. Wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, sind in den letzten zehn Jahren 61 Frauen zu lebenslanger Haft verurteilt worden, weil sie ihre Männer getötet haben in Folge häuslicher Gewalt. Bald wird im Parlament ein Gesetzentwurf diskutiert, der zum Ziel hat, häusliche Gewalt als Straftat anzuerkennen und die Opfer besser zu schützen. Nicht nur bezogen auf Frauen, sondern verstärkt auch auf Kinder.

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