Interview

Umziehen mit Amir Shaheen

Noch zweimal einpacken bis Südterrasse

Neulich im Baumarkt:

Ja, wie gesagt, für die Spüle. Eine Blende. Oder Klappe.“
„Aha?“
„Oder einen Verschluss.“
„Verschluss?“
„Für das Loch, wo der Wasserhahn reinkommt.“
„Was Sie meinen, ist eine Dichtung.“
„Dichtung? Nein, ich meine, um das Loch zu schließen.“
„Weil da was undicht ist und leckt?“
„Nein, nein! Wir sind umgezogen. In der neuen Küche ist der Wasserhahn in der Wand.“
„Eine Wandarmatur.“
„Wandarmatur… Aber in der Spüle ist jetzt ein Loch, da steckte in der alten Wohnung der Wasserhahn. Verstehen Sie?“
„Alles klar: Hahnlochstopfen.“
„Hahnloch- ?“
„Stopfen! Zweiter Gang links. Bei den Armaturen.“

Kommt Ihnen bekannt vor? Nicht? Dann gehören Sie nicht zu jenen, die regelmäßig die Wohnung wechseln. Umzüge gehören, so sagte mal eine Untersuchung irgendeiner Uni, zu den größten Stressauslösern überhaupt – neben schweren Krankheiten oder dem Verlust geliebter Menschen. Kann hinkommen. In seinem Buch „Noch zweimal einpacken bis Südterrasse“ (Sujet Verlag, Bremen 2013) widmet sich Amir Shaheen dem leidigen Thema in aller Ausführlichkeit. Von unzuverlässigen Maklern und Umzugsunternehmen über die Tücken elektrischer Leitungen und nicht funktionierender Thermen bis zur ewigen Frage, wann denn das Telekommunikationsunternehmen es endlich auf die Reihe bekommt, den neuen Anschluss freizuschalten, deckt er alle Untiefen ab, durch die man als Umziehender im 21. Jahrhundert zu waten hat – und liefert gleich noch das Fachvokabular mit, ohne das man im Baumarkt hoffnungslos verloren ist...

Wann bist du zum letzten Mal umgezogen?

Shaheen: Wider besseres Wissen: letztes Jahr, im Juli! Ein leichter Rückfall sozusagen. Nach sechs Jahren.

Und? Alles gut gegangen?

Shaheen: Nein. Natürlich nicht. Scheint so, als sei ich für Umzüge nicht prädestiniert. Von der mitunter abenteuerlichen Wohnungssuche in einer Großstadt wie Köln mal ganz abgesehen, habe ich diesmal zwei Umzugsunternehmer gebraucht. Nur zwei! Der erste hat es völlig verpeilt, sodass ich den Umzug verschieben musste. Der zweite war auch nicht gerade das, was ich professionell nennen würde. Nachdem der Chef meinen Hausrat  begutachtet und taxiert hatte, bekam ich ein Angebot, das ich akzeptabel fand. Vereinbart war: drei Leute am Tag X um 8 Uhr. Um halb neun kam dann schon mal einer. Und zwar gebracht von einem Fahrschulfahrzeug! Weil er nämlich gerade seinen Führerschein macht. Wo denn die anderen seien, wollte ich wissen. Der Kollege stecke im Stau, meinte er. Der Kollege? Einer? Natürlich habe ich sofort den Chef angerufen. Der bestätigte: „Ja, ja, der dritte konnte leider nicht.“ Da ist man erstmal sprachlos. Und muss natürlich pragmatisch handeln. Ein weiteres Mal verschieben ist unmöglich, was also willst du machen? Gute Mine und selbst mit anpacken.

Das klingt, als käme bald eine Fortsetzung... die Anekdoten, die du im Buch erzählst, erwecken den Anschein, als hättest du schon so einige Umzüge hinter dir...

Shaheen: So viele sind das gar nicht. In Köln, wo ich seit über 25 Jahren lebe, bin ich lediglich fünf oder sechs Mal umgezogen. Meist war das völlig unproblematisch. Allerdings habe ich das früher immer mit Freunden selbst bewerkstelligt. Schwierig wird es ja erst dann, wenn man das studentische Wohnen hinter sich lässt, Möbel besitzt und über umfangreichen Hausrat verfügt, in meinem Fall eben auch eine stattliche Anzahl Bücher. Offen gesagt: Das Hinzuziehen professioneller Unternehmen sehe ich als zweischneidige Angelegenheit. Natürlich kommt man um das Schleppen schwerer Kartons und sperriger Möbel weitgehend herum, das können die einfach besser. Aber so manches andere lässt einen doch staunen.

Was war denn das irrste Erlebnis deines jüngsten Wohnungswechsels?

Shaheen: Schwer zu sagen. Dass sich die Umzugsprofis trotz Navi und ausführlicher Wegbeschreibung innerhalb eines Kölner Stadtteils, in der sich die alte und die neue Wohnung befinden, so dermaßen verfahren, dass ich dachte, sie seien mit meinem Krempel längst außer Landes, ist schon bemerkenswert. Die waren zweifellos sehr gut im Schleppen und Packen, aber Lesen und Schreiben, was für die Bedienung eines Navis ja hilfreich ist, darf man dann vielleicht nicht auch noch erwarten. Die Experten, die meine Spüle angeschlossen haben, haben das genau so gemacht, wie ich es als Laie auch hinbekommen hätte. Nämlich unsachgemäß mit einem zu großen Rohr. Also so, dass ein Teil meines Abwassers leider nicht den regulären Weg genommen hat, sondern sich durchs Mauerwerk ins Badezimmer der Nachbarin unter mir begab. Sehr schön. Immerhin war das schon nach etwa acht Wochen durchgesickert und nicht erst in einem Jahr…

Normalerweise fragt man sowas ja nicht, aber hier muss es einfach sein: Wieviel von dem, worüber du schreibst, hast du tatsächlich erlebt?

Shaheen: Die Darstellungen im Buch basieren auf dem vorletzten Umzug. Und es geht ja nicht nur um den Möbeltransport von A nach B, sondern auch um den Umstand, dass die gemietete Wohnung plötzlich unbewohnbar ist und eine Großbaustelle wird. Fensterbauer, Elektriker, Schreiner, Verputzer, Installateure, Maler geben sich die Klinke in die Hand, weil nach der Wohnungsübergabe erhebliche Mängel zutage treten, die zuvor nicht ersichtlich waren. Leitungen haben keinen Strom, Wände müssen aufgestemmt, Fenster ausgetauscht werden und so weiter. Folglich muss der Umzug verschoben werden. Derartiges, dachte ich, erlebt man nur, wenn man selbst baut, aber doch nicht in einer Mietwohnung! Nun weiß ich es besser. Ein halbes Jahr nach Einzug hatte seinerzeit der letzte Handwerker seine Arbeit beendet. Das ist so absurd, das kann man sich gar nicht ausdenken. Und dann geht es ja immer weiter, bis hin zum Wechsel des Stromanbieters, der angeblich so einfach sein soll. Von wegen! Alles im Buch basiert tatsächlich auf unfreiwilliger Recherche.

Am Vorurteil der „Servicewüste Deutschland“ scheint also was dran zu sein...

Shaheen: Ich weiß nicht, ob „Servicewüste“ der passende Begriff ist. Das allein erklärt nicht alles. Es hat sicher eine ganze Menge mit Kapitalismus und hemmungslosem Profitstreben zu tun. Dünne Personaldecke, knappe Ressourcen, keine Zeit, alles muss schnell gehen und möglichst viel Profit bringen. Das fängt beim Makler an und hört beim Wohnungseigentümer noch lange nicht auf. Und längst nicht überall ist qualifiziertes Fachpersonal anzutreffen.

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