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Prosa
Vampire in Ungarn
Nach Ungarn sind wir gefahren, ab Graz über Fürstenfeld bis zur Grenze bei Szentgotthard. Dort haben wir die unrestaurierte Barockkirche gesehen, trübes Halbdunkel, Geruch nach nasser Mauer und Staub, die Gemälde nicht frisch vergoldet - das übertrumpft alle Farben und macht sie tot - müde grau und wie alte Fresken pastellen sind die Deckenmalereien, die süßlichen Statuen und Stuckaturen herb von Staub und Alter, wir lugen unter zerschlissene Tapisserien und hinter das Gittertor zum Hauptaltar, streifen herum. In der Seitennische hocken zwei schwarze Kopftuchfrauen, ihre Rosenkränze klappern an die schmale Bank von brüchigem Holz, auf den Küchenstühlen der letzten Reihe liegen speckigverblichene Sitzkissen mit eingestickten Namen. Von den Wänden bröckelt die Mauer und die gelbe Ölfarbe des Sockels fällt in Blasen ab, größere Placken sind verhüllt, als sei dahinter kostbare Freskenmalerei. Neugierig versuchen wir die Geschichten auf grauen Tafeln zu entziffern, geschrieben auf Ungarisch und in linkischem Deutsch: die gleiche Zisterzienser-Geschichte wie jenseits der Grenze im steirischen Stift Rein. Verwandt, melden die Holztafeln, seien alle Klöster im 12. Jahrhundert, von französischen Mönchen besiedelt. Wie und wie lange sind die Zisterzienser so weit hergezogen zu Fuß und mit Maultier, vom Kloster Sénanques nahe dem Lubéron, haben Wein und Baumreiser von dort mitgebracht, das Land fruchtbar gemacht, Wein und Obst angebaut, Lesen und Schreiben gelehrt, ora et labora. Die kindliche Europa-Landkarte weist die Wege, aber dieser Ort ausgerechnet ist nur noch ein pulvriges Loch in der hölzernen Europa-Karte, von Wurmfraß zerstört. Hierher kamen ebenfalls wilde Stämme von Osten, haben die Bauten mit Sprengstoff gefüllt und alles vernichtet, mörderisch wurde in diesen geliebten Gegenden zwischen West- und Ost-Europa gemetzelt. Das hat die Furcht der Bewohner im Lauf der Jahrhunderte in Legenden von Dracula-Herren und von Vampiren verdichtet.
Am langen Marktplatz zwischen Kirche und Gasthaus pflanzen junge Gärtner neue Bäumchen vor kleine Läden mit Waren aus aller Welt, mit lackierten Schildern in mehreren Sprachen, Wörter zusammengewürfelt aus Ungarisch, Slowenisch, Deutsch. Englisch. >Tini-Shop. Mode for Kids and Tinis<. >Mini-Supermarkt Ödön Kartuzy<. Wir wundern uns, im Eck-Café warmes Essen zu kriegen; denn nebenan an der Zahnarzt-Praxis klebt ein handgeschriebener Zettel. >Heute wegen Stromausfall geschlossen.< Reisende fabulieren über das unvereinbare Nebeneinander. Auch das ist Grenze. Aber warum auffallend viele Zahnärzte.
Wir fahren raus aus der Stadt, finden die gesuchten Ortschaften nicht, Na-men wie Kerkafalva, Keikáskápolna, Nagyrákos, Oriszentpétar, wir folgen der mutmaßlichen Grenze nach Austria, flaches Land, Kürbisse eher willkürlich und nicht in soldatischen Reihen, manche blühen gelb, sehr viele Brachfelder stehen hoch in blühendem Gras, weiße Kamillen mit feinen Faserrispen überfächeln die Halme im Wind, kleine Tannenschonungen, Waldstreifen, Teiche. Nahe den Dörfern aus neuen Steinhäusern und einigen oft unbewohnten langgezogenen Bauernhäuseln aus Brettern liegen lange schmale Felder, in manchen arbeitet eine Frau mit Kopftuch oder junge Männer, eine Oma werkelt zwischen weißen und rosa Essmohnblumen, sehr hoch, sehr groß die flatterigen Blüten. Erbsen, Bohnen, Getreide, Kürbis, dicht gepflanzt, aber nicht so schnurgerade wie in der Steiermark. Wenige Autos, auch Trabis, auch Volvos, auch blanke Mercedes und Opels, immer holpriger wird die Straße, einsamer wird es im Walde, bis wir vor einem Schlagbaum stehen. Zeigen Pässe. >Hier geht's nach Slovänien, Sie dirfen nicht weiter. Umkähren.<
Zurück bis Zsentgotthard, zur Grenze, Autobahn nach Graz nicht gefunden, zu müde zum Suchen im Wolkenbruch. Verwirrung im Hirn wirkt sich aus, so haben wir uns in der Gegend verirrt. Sind in der Einöde in einen wilden Wald geraten, undurchdringlich, fanden nicht zurück. Als es nicht nur von den filzigen Waldbäumen voller Jelängerjelieber-Ranken duster war, sondern auch noch dämmrig am Abend wurde, haben wir erleichtert das Hotelschild gesehen, sonderbar war es, das Haus außen ein Spukschloss, innen antike Möbel, die breite Holztreppe hoch hängen auf der Täfelung altersbraune Gemälde vom Grafen Dracula und seiner Gefährtin mit rätselhaft schielenden Augen. Neu ist die Ausstattung der Suite, das Badezimmer mit runder Wanne unter blauschwarzem Marmor.
Beim Abendessen sind wir nur zu Dritt im Saal und kommen ins Ge-spräch. Reizend ist die Dame am Nebentisch, irgendwie habe ich so ein Gesicht schon gesehen, Doktorin mit einem ungarischen Namen, nennen Sie mich Katalin, hat sie gelacht, Landsleute sind wir. Weil sie es im frankfurterischen Hessisch sagt, glauben wir es. Weil Europa zusammen fließen wird, sagt sie, sei es egal, wer alles hier wohnt an der Grenze. Aus Frankfurt, der europäischsten Stadt, sei die Doktorin hergekommen, weil sich dort die Ärzte auf die Füße treten und keine neuen brauchen. Hier werden sie dringend benötigt, die Grenzbauern kennen keine Zahnbehandlung und haben im Alter keine Zähne im Kiefer. Zahlen können sie kaum, eher mit einem Kürbis, einem Korb Trauben, zwei Hähnen. Aber die Deutschen kann sie hier privat halb so teuer behandeln wie drüben. Daher die vielen Zahnarztschilder an so vielen Häusern. Doch, ja, bei sehr vielem ungarischen Rotwein, in vino veritas oder nicht, die schöne Doktorin kommt ins Erzählen: Auf andere Art international als dieses Viel-Länder-Eck ist dieses Frankfurt und nicht immer nur Bankfurt gewesen. Gemeint ist das Frankfurt am Fluss Main, nicht die kleinere Stadt an der Oder. So sitzt nun die schöne Zahnärztin mit dem Silberblick und dem Brillianten im Eckzahn hier im ungarischen Grenznest wie ein Paradiesvogel, nicht direkt bunt, aber raffiniert, elegant. Katalins Vorname zeigt ihre ungarischen Ahnen, die hessische Sprechfärbung verrät, dass diese Ahnenreihe lange zurückliegt. Schon immer galt ihre Zuneigung der östlichen vermeintlichen Heimat; so ist ihr der Umzug nicht schwer gefallen, auch konnte sie ihrem Schmarotzer-Gatten Ronald entkommen. Sie hatte ihn während ihres Studiums der Zahnmedizin kennen gelernt, er ohne Lust auf Wunsch der Eltern studiert, die dem Erben ihres ständig wachsenden Zahntechniker-Familienbetriebs einen Doktortitel wünschen. >Geld habbe merr, endlisch muss Bildung her, dess hadd doch än andärs Prestische! Gelle na! Bub, sdudier! Merr zahle gern!< Aber er hatte es nicht im Kopp, der Ronald Röhr, schwer ging ihm das Praktikum von der Hand, schwerer noch jeder Satz in den bulligen Kopf, da hat er der Einfachheit halber nach sechs Semestern beschlossen, die Kommilitonin Katalin zu heiraten, die wild auf den schönen Mann war, und ihr das Studieren über-lassen, weil ein Doktortitel in der Familie reicht. Kopp und Hand hatte sie, Geld er, seine Familie heißt das. Sie waren' s zufrieden und in den siebzi-ger, achtziger Jahren hatte das Zahn-Ersatz-Gewerbe buchstäblich im Doppelsinn goldenen Boden.
Sie schweigt, wir schweigen, träge vom Wein. Wir gehen zu Bett im Baldachinzimmer und schlafen ein. Als ich von einer Berührung wie Flügelflattern erwache, blinzle ich und sehe einen großen Schatten im Zugwind durch das offene Fenster zum Wald hin verwehen, als ein Lichtstrahl ins Morgengrau sickert. Höre meinen Mann neben mir stöhnen, strecke die Hand gegen das Gesicht und ziehe sie klebrig nass zurück. Die Hand riecht nach Eisen wie Blut. >Blut Blut tut tut dem Vampir gut<, höre ich den müden Mann neben mir murmeln. Sicher ein Alptraum nach zu schwerem Rotwein.
Um über die vielen Porträts des Grafen Dracul nachzudenken, sind wir gestern zu erschöpft gewesen, auch war der rote Wein bitterlicher als aus der Steiermark gewohnt. Hat wohl noch aggressiver als der Schilcher gemacht, war auch nicht so transparent-rosig, war dickflüssig, ich sag es nicht gern, war wie Blut.
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