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Prosa
GrottenOlm Julien
Schnee hängt an den Wetterseiten der grauschwarzen Buchen, Schnee matscht unter den Lederstiefeln, Hosen halb hineingesteckt, nass, wo sie über Moos schleifen, drei Pullover, drei Jacken übereinander gezogen, silberne Seidenhaare hängen über die Augen, sieht Julien de Vélange oder sieht er nicht, tief in das Tal, wo nachmittags unter sekundenkurzem Sonnenstahl-Einfall metallig matter Nebel aus dem Tal hochdampft, langsam. Lautlos. Zweig knackt. Rabe krächzt. Er fröstelt. Schaudert. Eliza nimmt den Starrenden beim Arm und zerrt ihn den Waldweg hoch, hält ihn, denn in den ausgetretenen Stiefeln stolpert er, glitscht Wasserschnee auf Laub, braun wie die letzten Blätter an besen-kahlen Ästen, ragen in Bleihimmel, guck da, guck endlich, wach auf, knorriger Stamm, zwei Astlöcher, wie Erlenkönig, in seinen Armen das zitternde Kind. Zittern. Angst. Schlaflos in Mainhattan. Drei TageNächte. Essen? Weiß nicht. Sie schiebt ihn in die Gaststube. Leer bis auf zwei flüsternde Paare. Platz neben dem Kamin, Feuer flackert, hellt seinen Blick kurz auf, er streckt Arme vor, atmet aus, sie läuft langsam zu den Fenstern, Wintergarten Blick über leere Stühle in den Winterwald, gerade Buchenstämme im Schnee, Brombeerranken, kahles Moos, über Wurzelknorren graugrün, weiß beschneit. Zurück im Raum, zieht sie die Nase kraus, seine feuchten Kleider dunsten in der Kaminwärme übel. Verwahrlost. Waschen. Schlafen. Essen. Vergessen. Einer von denen, sagen sie - von Beethoven, von Kant, von manchem Genialen - die bemerken das alltäglich Lebensnotwendige nicht, weil sie nichts als ihre Musik, ihre Einfälle, ihre Wissenschaft, ihre Filme hinter der Stirn wichtig nehmen müssen, müssen, müssen. Eigene Gedankengänge gängeln sie, Besessenheit dafür laues Wort. Rausch banaler Vergleich. In der Antike poeta vates. Gottgleich. Vergleich immerhin weniger feindselig. Vielleicht nicht von allen verlacht? Hirn heller. Phantaisie schneller. Fluch. Segen Gottes. Gabe. Sagen, die das nicht haben müssen. Euphorie. LiebesLeidenschaft. Ja. Wonnen der Gewöhnlichkeit. Thomas Mann, nein. Wie das gekommen ist? Gar nicht ist das gekommen. Er war immer schon so.
Lebenslauf ansehen. Könnte ein wenig erklären? Französische Ahnen, das sagt er heute. Engländer vorgestern. Origines als Urahnen - gibt er auf, zu hell sind Haut und Haare, zu senkrecht Profil, mädchenzart Nase, Mund, Kinn. Gestern sind die Vorfahren angeblich aus Russlands wildester Steppe gewesen. Kirgisen gar. Dem Gesichtsschnitt nach könnte das sein: Wangenknochen hoch und fein. Adlig sein. Mehlhaar nein. Vielleicht gebleicht. Er erfindet sich gern neu und um. Alle Monate wieder. Wem schadet das. Dichten fängt mit Lügen an. Gleichgültig.
Jedenfalls verfängt sich seine Jugend im Dunkel. Sprachen merkt er sich auf der Stelle. Aber weil er mit denen nur in Berührung kommt, sind es Wörter seiner Branche, englische, französische, russische, georgische- armenische erstaunlich gut, Französisch perfekt, lange in Toronto, später auf dem vom Halbbruder gekauften Halb-Inselchen, der ihm immer die ausrangierten Computer seiner Firma überließ.
Zwanzig Jahre eher: Mädchenjunge sagen sie. Intelligenzbestie auch. Lachen aus. Boxen gelernt, damit sie ihm nicht hinter die empfindsa-me Klugheit kommen, denn dann schlagen sie erbarmungslos zu. Umso mehr dreschen sie drein, wenn die Kerle den Blicken der eige-nen Freundinnen folgen. Als Junge schon flogen sie ihm zu, er hat das wenig gemerkt. So sieht er aus, zu Frauen ist er aus Scheu leise, was die Feinsten, die Schönsten fasziniert. Gelegenheit macht Liebe, wo viel Energie, Fantasie, meist auch gewaltige Triebe. In den meisten Menschen, in Genialischen, Fixierten seltsam, widerwillig, weil es vom Erfinden ablenkend stört, wenn, dann unwiderstehlich. Das Fremdartige irritiert Frauen, die das Glück des Harmlosen haben. Den Tonio Kröger soll die süß-doofe Ingeborg in eine wie alle verwandeln.