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Prosa
Jelängerjelieber-Ranken - eine Krimi Kurzgeschichte
Jelängerjelieber-Ranken häkeln vor den weißen Holunderdolden durch die mittleren von den Fabrikscheiben, die kann man nicht mehr zuklappen, und klappt man diese eine, tötet man die Ranken, auch die vom wilden Hopfen, das passt zu dieser alten Brauerei an der krummen Moldau. Vor dem Hochwasser, das alles weggeschwemmt hat, hat sie Künstler aus vielen Ländern beherbergt. Neben dem Atelier des Malers aus Frankfurt und Steinheim am Main wohnt, sehr selten, eine Frau aus Wien. Maria Kubelka trägt die Hakennase kühn, die Stimme und Gestalt maskulin. Ihre Mannweibstrenge treibt die Nachbarn in die Enge, sie macht Gesetz für alles, was da ist. Wir trauen uns nicht, zu widersprechen. So wundere ich mich, als die Frau nachts verstört erscheint, Augen gerötet wie geweint, hinter ihr andere Schritte, schleichender als ihre. Ein Mann, kleiner um einen halben Kopf, mir schwarzem Bart und Haar, ein Kräuseltuch um Kopf und Schulter. Sie geht so steif, ich bin nicht dumm, lese Kriminalromane und ich schreibe sie auch, stelle mich dumm, laufe wie ein Kind um sie herum und sehe, dass er eine Pistole in ihre Wirbelsäule drückt. Es ist spät und duster, wache ich oder träume ich einen Alptraum. Versteht er nicht die Sprache oder ist es gleich, zu verlieren hat sie nichts: So spiele ich mit. Haha, sage ich, Sie sind Malerin und ich bin Dichter. Fiktion. Ausgedacht. Lache ich. Als sie erzählt, er habe sie entführt. Es könnte sein, immer ist sie allein und fährt unsichere Straßen zwischen lauter osteuropäischen Ländergrenzen. Hin und her fährt sie wochentags zwischen diesem Krumauer Atelier an der Moldau und der Wiener Schule. Dämmerung. Am Rastplatz saß er im Auto, fahren Sie mich zur Grenze. Höflich, kurz. Er sagt wenig, korrekt, er studiere in Wien. Religionsgeschichte. Fahren Sie. Bis zur Grenze fahren sie - die eine schweigt aus Angst, der andere redet sich Mut an - so hat sie ihm alles von Krumau an der Moldau und von dem Atelier in der alten Brauerei erzählt. Er ging immer freundlicher darauf ein, er schreckte sie bald nicht mehr, tat ihr leid. Die Krumauer Konstellation erkennt er als seine Chance. Sie hat ihm erzählt von ihrer Selbstständigkeit und der Abgeschiedenheit, in der alten Fabrik mit vielen leeren Räumen voller Gerümpel könne einer sich monatelang verstecken, hinter der Brandmauer entlang die Moldau verduften. Er steigt ja eh an der Grenze aus, auf Nimmerwiedersehen. Denkt sie erst. Denkst du! Er steigt nicht aus. Doch. Steht und tippt in sein Laptop im silbernen Koffer wie mein Kameramann. Spricht ins Handy, die Sprache erkennt sie nicht. Köfferchen steht kurz offen, erzählt sie atemlos, ich sehe zwei Pistolen, winzige Metalldinger, die ich nur aus dem Kino kenne, alles winzig klein, Fotoapparat, Video, das nimmt er nachher, hinterm Wald, hält hoch, dreht mich, knipst mich, gibt was ein, die kennen dich nun alle, meine Brüder. Kein Entrinnen. "Weiter. Zu Ihrem Atelier. Umdisponiert, ich tauche dort ein wenig unter. Mehr Sicherheit gibt es nicht!" Weil ich von den Kollegen erzählte, von diesem Kunsthaus, das von Viermeterzaun umgeben und nur mit Codewort zu öffnen sei. "Bei Dunkelheit blinken von Dachtraufen Bewegungsmelder und längs der Moldau schleichen im Matschweg unter dem Holunder gelbbraune Hunde." Im Gedränge der vielen Touristen mischen sich alle gut in die Menge. Er bleibe er hier. Folgen Sie mir, bald bin ich fort. Es passiert Ihnen nichts. Allah wird es lohnen. Am dritten Tag. Maler Hauke sitzt und zeichnet, steht vor der großen Wand und erfindet Stifters Böhmerwald so anschaulich wie neu, das gibt die Illusion im Wald und frei zu sein in frischer Luft, der bärtige Kerl raucht wie ein erzgebirgischer Räuchermann, sieht auch so aus, zündet eine an der andern an, heimlich nervös. Und ich als die Jüngste mit dem Madonnengesicht des doofen Mädels darf für die alle einkaufen, auch Kaffee und Brot und Rotwein für uns. Morgens ist er fort.
Unserem Atelier in Ceský Krumlov, Moldau-Stipendium 2002 zusammen mit Olaf Hauke