Sprachschatz

Kurze essayistische Arbeit

Autor:
Ulrike Draesner
 

Kurze essayistische Arbeit

Schräge Vögel speien Pumpguns

Nun ist ein Wortfeld, das Konnotationen und Nervenverbindungen folgt, noch lange kein Gedicht. Und es wird vielleicht nie eines. Eher gleicht es dem Anfang eines möglichen Anfanges - das eine Ende eines der vielen Fäden, die zusammenkommen müssen, damit ein Vers entsteht.   

Der prozessierten, vergorenen, bearbeiteten, auseinandergedröselten, gewendeten und betrachteten, aus dem Bekannten ins Unbekannte zielenden Sprache „Dichten“ nähert man sich, wenn man dieser semantisch-konnotativen (Wort)Verbindungsweise jene der Laute bzw. Silben zur Seite stellt. Man sieht hier, von einer vielleicht eher ungewohnten Seite, auf den REIM. Er meint Verbindung durch Ähnlichkeit in einer kleineren Gruppe und manchmal auch im Einzellaut – und ist eben damit Teil des Sprachschatzes im oben beschriebenen Sinn. Nicht (nur) Zufall, sondern Spur: die Möglichkeit einer Möglichkeit  

Das mag trivial klingen, wird aber anders, wenn man vom Reim selbst kommt und die Diskussionen über Reime-ja, Reim-nein betrachtet. Eigentlich sind sie ganz obsolet (Obstsalat, Sohlenobst). Es kann nicht darum gehen, einen Teil des Sprachschatzes in Gedichten „wegzulassen“. Im Gegenteil: er möchte so aktiviert werden, dass er „spricht“ -  Verbindungen zeigt. Der Reim ist vielgestalt. Elke Erb verdanke ich das Beispiel des Kinderreims „Otto der Doofe geht in die Kurve“: das Ohr also empfindet, auch ganz ohne dichterische Verbildung, „Doofe“ und „Kurve“ als Reim. O und u, v und f, End-e. Das schleift dahin zwischen Reim und Assonanz, schön gekurvt oder „slant“ und dennoch „near“, wie diese Erscheinung im Englischen heißt. Schräge Vögel also – mehr oder minder (zu)geneigt.

Der Spielformen gibt es viele, und wenn man ein wenig die Gelenke der Worte und die eigenen Synapsen schüttelt, wird  man locker in Gliedern und Liedern. Man sieht im Hundekorb den Musenhof, und, noch slantiger gefasst, den Musentoast. Der Pinguin neigt zur pumpgun, man beobachtet, wie er dem mitteleuropäischen Jäger die Pirsch ruiniert. Fließend der Übergang, wenn ein Wort durch Vertauschen, Einsetzen oder Wegnehmen eines einzigen Buchstabens in ein anderes übergeht. Mühelos werden aus Hausaufgaben Hauaufgaben, die Reue mutiert zur Reuse, in der man als armes Fischlein zappelt,  und aus dem Wort „sachlich“ schleicht der Schlich. Das sind Reim und Verwandtes, Reim & Co, Reim als gliederschlenkerndes, gehirnerweiterndes Sprachnutzungsprogramm.

Mein Lieblingsreim tendiert zur Unsichtbarkeit, er ist eine Art Palimpsestverein - fiktiv oder auf einer fiktiven Basis, schwimmend, aber nicht haltlos erfunden. Manchmal ist das Indogermanische, diese halbfiktive Sprache, dafür sehr nützlich. Die Silbe „grh“, heißt es, habe für Wachstum gestanden. Grh als Geräusch des Wachsens? Dazu kann man unterschiedlicher Meinung sein; je länger ich darüber nachdachte, umso besser konnte ich es hören. Schaut man das Deutsche näher an, findet man die Spuren: Gras, Granne, grün, aber auch Gram. Dass Gram also mit Wachsen verbunden ist?

Scharfstellen des Blickes im gezielten Daneben. So dass man noch etwas vom Angeschnittenen sieht, das Nachbarschaft, Spiegelung, Schätzung erzeugt. Green, grass, grooming, groom – Bräutigam.

Und jetzt erstoppe ich mich! Sprachschatz: wenn Sprache mir Gedanken und Fragen, Anregungen und Verbindungen, Irrsinn, Untergründe, Gelenkigkeit, Geheimnisse und Erfindungen zeigt. Über meinen Kopf hinweg, über mich hinaus.


 

zurück