eingekreist - die Monatskolumne September 2012

Monatskolumne

Autor:
Christian Kreis
 

Monatskolumne

Der Weg zur Fettleber, Teil 2

September 2012 | Hamburg

Die letzte Kolumne endete damit, daß wir besoffen zurück nach Bra fuhren und von der Polizei angehalten wurden. Die Polizei darf getrost ins Reich der Phantasie verwiesen werden. Ich wollte einfach nur einen Cliffhanger zur Überbrückung einbauen. Der zweite Tag endete, wie das Leben eines vorsichtigen und hypochondrischen Menschen endet, nämlich im Bett und in den Armen von Morpheus (trotz Phallophobie).

Dritter Tag.

Am Morgen leichte Kopfschmerzen. Doch um elf war der nächste Termin. Wieder galt es zu studieren, einen und einen und noch einen. Danach besuchten wir die Stadt Alba. Damit die Kolumne, die ich notgedrungen schon in zwei Hälften geteilt habe, nicht noch länger wird, obwohl ich meinen Textblähungen, wenn es nach mir gegangen wäre, am liebsten freien Lauf gelassen hätte, darf ich über diese Stadt nicht mehr sagen, als daß sie war, wie italienische Städte sind, und daß wir dort Pizza aßen. Ein jeder von uns eine üppige Pizza. Dazu tranken wir etwas Leichtes und Erfrischendes, einen Rosato. Und nach der Pizza hatten wir gegen 15 Uhr die nächste Weinprobe bei Simone Scarletta, einer vermutlich ebenso brünetten Schönheit wie die, die uns bisher den Wein eingeschenkt hatten. Wir kurvten durch die Hügel des Piemont, die Serpentinen rauf und hinunter. Als wir Simone Scarletta gegenüber traten, fiel mir auf, daß sie einen Damenvollbart hatte und in Bauarbeiterhosen steckte und auf diese Weise etwas unweiblich wirkte. Simones Stimme war außerdem dunkel und tief. Wenn sie nicht Simone hieße, würde ich sagen, sie ist ein Mann. Sie dürfte es nicht leicht haben. Vielleicht würde eine Hormonbehandlung helfen oder lieber gleich eine totale Schönheitsoperation. Simone öffnete nacheinander einen Barbara D’ Alba, einen Dolcetto D’ Alba, einen Langhe Nebbiolo, und dann die Krönung dieser Hügel, den Wein der Könige, einen Barolo. Wir kosteten und kosteten. Irgendwann nahm ich das Weinprospekt, das auf dem Tische lag, ging raus in die Sonne und las den vor meinen Augen flirrenden Satz, der in ein liebevolles Deutsch übertragen war: „Die Zeit der Lese, voller Erregungen und Schweiss, so schön dass man sie mit anderen teilen möchte und in einem Fest verwandelt, wo das Ergebnis der Arbeit eines ganzen Jahres und der Güte des Himmels die Zeit des Erzeugungsverfahren im Keller eröffnet.“ Die Sonne brannte mir auf den Kopf, mir war schwindlig, und das, was ich gelesen hatte, nicht ganz verständlich, doch ich fühlte Erregung und Schweiß, die heiße Güte des Himmels, und träumte von kühler Zeugung im Keller, selbst mit Simone, aber nicht allzu lange, den wir mußten weiter, der nächsten Weinprobe entgegen, die 17 Uhr angesetzt war. Die anderen kamen aus dem Keller hervorgeschwankt, wo war noch mal der Bus? Im Bus fragte Christoph, warum ich immer so komisch geguckt hätte. Na wegen Simone, sagte ich. Christoph lachte und sagte, Simone sei ein normaler italienischer Männername. Und Simone ein ganz normaler italienischer Mann. Ich solle den Wein ab jetzt lieber ausspucken. Das kam jedoch nicht in Frage. Der Wein entspannte mich. Nach dem zweiten Weinglas hatte ich nicht mehr daran gedacht, wie tödlich Autofahren ist. Und nach vier Gläsern Wein war es mir für einen kurzen Moment vorstellbar geworden, daß ich vielleicht nach drei Flaschen Wein neben einem Mann einschlafen könnte, aber nach drei Flaschen Wein könnte ich wahrscheinlich auch neben einem Außerirdischen einschlafen.

Der nächste Termin war bei Gianfranco Allessandria. Egal, ob der jetzt männlich oder weiblich war. Hauptsache, er kriegt den Korken aus der Flasche. Drei Hügel weiter hielten wir an. Eine sehr weiblich aussehende Person begrüßte uns. Bei einem solchen Mann hätte sogar ich keine Mannophobie entwickelt. Dann wurde der Wein geöffnet, die üblichen Sorten hier, also wieder eine Flasche von der Barbara Alberne, eine vom Dolce Vita d’Alberne und eine vom Lange Benebelio. Auch einen Barbarischen Dog. Und als Krönung natürlich einen Bardollo.

Auf der Rückfahrt nach Wonder-Bra schwebten wir auf Teppichen von Rebengrün. Wohin man blickte, jeder Hang und jedes Flurstück war damit ausgelegt. Auf den Höhen die Perserteppiche des potenten Barolo. In den Niederungen die Bastmatten der jung zu trinkenden Barbera. Oder wars umgekehrt? Die Erdkruste hatte sich hier in Falten gelegt und damit den Beweis erbracht, wie schön Faltenbildung sein kann. Zumindest im Auge des angeheiterten, zur pittoresken Wahrnehmung wildentschlossenen Betrachters. Wenngleich ich mir diese Gegend nicht schön trinken mußte, ich trank sie mir einfach noch schöner.

In Bra gab es am Abend den nächsten Termin. Ein mehrgängiges Menü, unter anderem mit den berühmten rohen Würsten der Gegend. Aus meiner Sicht sind diese Würste nichts weiter als rohes, in einen Darm gepreßtes Gehacktes. Aus rohem Fleisch habe ich mir noch nie was gemacht. Ich halte es wie der erste Mensch, der das Fleisch ins Feuer hielt und entdeckte, wie schmackhaft und verdauungsbereit es dadurch wird. Wer einmal meinen Freund und Schriftstellerkollegen Roman Turban, der ein besessener Rohfleischesser ist, nach der Vertilgung einer riesigen Schabefleischportion gesehen hat, wird sich für die Gabe des Feuers erneut bei Prometheus bedanken.      

Die unheimliche Gangfolge, die nun folgte, wie folgt:

Doch halt, schon die Auswahl und Bestellung war delikat. Zuerst eine piatta della tradizione. Mit Hilfe eines geborgten I-phones (jeder meiner Freßgefährten hatte so ein Teil, das er zuweilen liebevoll mit dem Finger streichelte) und dem Google Übersetzer erschloß ich mir den Sinn dieser vielversprechenden, aber dunklen Laute. Die Übersetzung ergab: traditionellen Flachen. Selbst für einen mono- oder höchsten duoglotten Menschen wie mich heißt das wohl eher traditionelle Platte.

Dann der erste Gang. Aber was nehmen? Tajarin alla salsiccia di Bra? Der elektronische Übersetzer übersetzte recht klar: Tajarin mit Bra Wurst. Jetzt hätte ich nur noch gern gewußt, was Tajarin heißt. „Du kannst zwar alles essen, aber nicht alles wissen“, hätte jetzt mein Schulfreund Thomas gesagt. Tajarin widersetzte sich aber trotz Übersetzer. Zumindest hatte ich den Anfang eines Gedichtes: Jury Gagarin aß gern Tajarin. Doch was war Gnocchi di patate allo Stichelton. Gnocchis sind bekannt (schmecken wie Klöße), Stichelton blieb wie Tajarin unübersetzbar ulkig.

Zweiter Gang: Rombo al vapore con costine, die Übersetzung ergab: Steinbutt gedämpft Spareribs. Immerhin wurde deutlich, es handelte sich um gedämpften Steinbutt. Oder werden die Spareribs gedämpft? Ich gab noch mal costine ein. Das heißt Rippe, hatte ich es also mit einer gedämpften Steinbuttrippe zu tun?

Tagliata di Fassone Piemontese, laut Übersetzer: Geschnitten Fassone. Wäre ich bei einem italienischen Barbier und nicht in einer Osteria, hätte ich an Faconschnitt gedacht. Tagliata übersetzte Google mit Schnitt, Fassone verteidigte seine Bedeutung wie die Muslima ihre Unschuld. Ich gab’s auf.[1]

Coniglio alle erbette dell orto, tippte ich als letztes ein und erhielt: Kaninchen mit Kräutern aus dem Gemüsegarten. Warum nicht gleich so. Bei dieser Übersetzung wurde mein Vorstellungsvermögen nicht überstrapaziert. Das war mein Essen. Ich bin nämlich kein Freund von Überraschungen.

Der Nachtisch war sprachlich barrierefrei, ich bestellte ein Tiramisu. La deutsche Vita!

Das Essen kostete schließlich für jeden über sechzig Euro. Ich habe noch nie so viel Geld für ein einzelnes Essen ausgegeben. Ich möchte in Erinnerung rufen, daß ich auch Lyriker bin, das heißt, ein potentieller Kunde der Bahnhofsmission. Die nächste Zeit würde ich ein bißchen sparen müssen. Zum Glück gibt’s ja noch Oma.

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