Monatskolumne
Der Weg zur Fettleber, Teil 2
Heute gab es keine Weinprobe, sondern Sodbrennen in Turin. Wir liefen durch die Arkadengänge der Stadt und mir schwappte unablässig die Magensäure in die Speiseröhre, wie die Brandungswelle ans Land (eine Sodbrandung sozusagen). Was hätte ich jetzt für Bullrichsalz gegeben? Aber ich konnte ja nicht in die Apotheke gehen und sagen, vorrei uno Bullrichsale, per favore.
In einem der luxuriösen Kaffeehäuser der Stadt, die den österreichischen Einfluß nicht verleugnen können, tranken wir einen sechs Euro teuren Kaffee, der uns von uniformierten Kellnern gebracht wurde. Das besondere an diesem Kaffee, oder besser gesagt, an diesem kaffeeartigen Getränk war ein spezieller Likör, der da drin war. Er machte den Kaffee extrem süß. Jeder Schluck war eine Herausforderung für Gaumen und Magen. Aber wir waren nicht zum Spaß in Turin, sondern zum Extremkosten. Der Höhepunkt unseres Turinbesuches war ein Einkaufsbummel durchs Eataly, das jeden anständigen Vegetarier an ein Leichenschauhaus erinnert hätte. Überall hingen Würste und Schinkenschenkel, auf Eis lagen die Kreaturen des Meeres, aufgetürmt standen die Käseleiber. Hier haben wir uns für den Abend eingedeckt. Ein kleines Picknick. Es gab sogar dekadentes Bier mit Sektkorkenverschluß. Das war der vierte Tag in Folge, der mit einer Magenweitung endete.
Fünfter Tag.
Heute fuhren wir rüber in die Provence, aber wenn es nach mir gegangen wäre, sicherheitshalber von Klo zu Klo. Hoffentlich bekam ich meinen Körper wieder in den Griff, bevor wir das Elsaß erreichten. Ich wollte wenigstens einmal im Leben eine Foie gras probieren, die berühmte Gänsestopfleber. Wäre ich ein gläubiger Vegetarier, würde ich dafür in die Hölle kommen. Momentan war ich in der Vorhölle. In der Nacht behielt mein Körper die Köstlichkeiten aus dem Eataly nicht mehr bei sich. War es das Bier (mit Sektkorkenverschluß) zu allem Überfluß? Oder die Burratta, dieses mit Sahne gefühlte Mozzarellasäckchen, das man eigentlich mit einer Fettwarnung versehen müßte? Oder die rohen Bra-Würste, die von ungewaschenen Fleischerhänden berührt wurden, so daß ich nun schmierinfiziert bin?
Nachdem wir in Grasse die Parfümfabrik Fragonard besichtigt hatten, wo uns eine streng gekämmte Verkaufsdame keck mit Parfüm eindieselte und zum Kauf von mehreren Litern überreden wollte, aß ich am Abend etwas leichter. Auch wenn der Satz so klingt, das hatte ursächlich nichts mit dem Parfüm zu tun, sondern mit dem Gegenteil davon. Vorher jedoch, noch ganz benebelt von schweren Düften und Verkaufsversuchen, bei denen sie uns erzählt hatte, sogar Patrick Süßkind habe zu Recherchezwecken einst diese Fabrik besucht – wobei es nicht verwunderlich wäre, wenn er diesen Gefallen auch allen anderen Parfümherstellern in Grasse getan hätte –, erwiesen wir dem Mittelmeer unsere Referenz, indem wir als männerbrüstige, schmerbäuchige Walrösser den Strand unter uns planierten und so ein abschreckendes Beispiel von deutscher Körperlichkeit boten (und womöglich bei den Mädchen eine Germanophobie auslösten). Dafür rochen wir gut nach Beau Gosse, schöner Junge.
Abends aß ich also leicht. Aber leicht ist relativ. Ich sprang immer wieder auf und rannte zur Toilette, manchmal mitten im Satz. Ob ich je wieder durchfallfrei sein würde. Aber gar nichts essen, wäre auch
Sechster Tag.
Heute ging es in Richtung Châteauneuf-du-Pape. Die Gegend des Côtes du Rhône Weins. Im Bus mußte ich mir ständig Scherze über Kot du Rhone anhören. Aber kein Wunder. Ich fragte sogar mitten in der Weinprobe, wo die Toilette sei. Mitleidig und etwas angeekelt schaute mich die hübsche französische Weinmacherin an. Nach dem Motto: Da ist er wieder, der häßliche Deutsche. Danach besuchten wir ein Städtchen von schönstem südfranzösischen Flair. Das südfranzösische Flair endete jedoch bei den südfranzösischen Toiletten. Wenn man das Loch in der Erde sieht, das hier als Toilette mißverstanden wird, vergeht einem der Durchfall. Der heilsame Anblick der südfranzösischen Toiletten rettete mich dann bis nach Lyon, wo ich das teuerste Frikassee meines bisherigen und auch zukünftigen Lebens verspeiste. Schon wenn ich daran denke, kriege ich wieder Bauchschmerzen.
Siebenter Tag und letzter Tag.
Endlich ins Elsaß. Die Toiletten nahmen wieder normale Formen an, meine Stoffwechselendprodukte auch. Ich könnte also über etwas anderes schreiben als über Toiletten. Aber im Grunde verstehe ich jetzt die Rentner ganz gut, wenn sie sich erkundigen, ob der Bus eine Toilette habe. Denn alle Räder stehen still, wenn dein kranker Darm es will. Dieser Vers ist albern, aber wahr.
Wir näherten uns dem Höhepunkt der Reise, dem gemeinsamen rituellen Verzehr der Foie gras, der fetten Leber, was jedem Tierschützer jetzt wahrscheinlich die Zornesröte ins Gesicht treibt. Aber ich bin Kolumnist. Wenn ich in Spanien wäre, würde ich auch einen Stierkampf besuchen. Die Foie gras ist der Stierkampf des Elsaß.
Je näher wir Hunawihr kamen, wo es laut Roman Turban die besten Foie gras gäbe, desto mehr funkelten seine Augen und desto häufiger beleckte er seine Lippen. Schon als Kind besuchte er mit seinen Eltern diesen Ort und schon als Kind hatte er von der Gänsestopfleber gegessen, die ihn seitdem immer wieder hierher zog, wie den Vampir zum Hals seines Opfers. Bald würden wir dort sein. Den Horizont begrenzten die Vogesen und davor lagen verstreut auf den Hügeln die mittelalterlichen Dörfer. Auf den Höhenzügen die Ruinen der Burgen. Ringsherum in Wellen von frischem hellgrün gelegt, die Weinfelder. Zu Füßen von Roman hatte sich inzwischen eine Speichellache gebildet. Es tropfte in Fäden aus seinem Mund. Sehr lange würden wir das Abendessen nicht mehr hinauszögern können. Kurz vor Hunawihr stiegen wir in einem Hotel ab. Bis zum Abendessen schaute ich mir die Gegend an. Roman wurde im Hotelzimmer eingesperrt, wo er wehklagende Laute von sich gab. Er kratzte und schabte an der Tür. Dann legten wir im Licht der untergehenden Sonne die letzten Kilometer von unserem Hotel nach Hunawihr zurück. Als wir aus dem Bus stiegen, nahmen wir Roman in die Mitte. Eine schmale Straße schlängelte sich durch den Ort, kaum ein Mensch zu sehen. Zutrauliche Katzen lungerten auf dem Pflaster. Eine alte Frau schaute mißtrauisch aus dem Fenster. Der Gasthof stand da, mit seinen leicht heruntergekommenen Nebengelassen, so mochte er schon seit hunderten von Jahren dastehen, beinah unverändert. Eine steile Stiege führte hinab in das Wirtshausgewölbe. Tische mit gestärkten weißen Tischtüchern standen dort, das ruhige Gemurmel der Gäste empfing uns. Eine hübsche kleine Elsäßerin, mit niedlichem Dialekt, reichte uns die Speisekarten. Bei ihrem Anblick beruhigte sich Roman. Als die Foie gras vor ihm stand, strahlte sein Gesicht eine tiefe Verklärung aus. So hatte Mechthild von Magdeburg ausgesehen, als sie das fließende Licht der Gottheit empfang. Auch ich hatte einen Teller mit einem Klecks foie gras vor mir. Es schmeckte wie bessere Leberwurst. Immerhin, es schmeckte nicht schlecht. Aber meiner Zunge fehlte der Bildungshintergrund. Sie konnte mir nicht vermitteln, warum ich dafür mein letztes Geld hergab. Die Kluft zwischen Preis und Leistung blieb ein Grand Canyon für mich. Roman hingegen war in einem anderen Zustand, ganz weit weg. Es mußte sehr schön sein da, wo Roman jetzt war. Ich wäre ihm gerne gefolgt. Aber ich hätte diesen Grand Canyon überwinden müssen, was für mich als Ostdeutschem fast ein Ding der Unmöglichkeit war. Was für Roman die Foie gras ist, sind für mich Nudeln mit Tomatensoße. Die habe ich als Kind geliebt und liebe sie immer noch. Deshalb liebe ich auch die einfache italienische Küche. Überhaupt ist Italien die DDR des Südens. Alles ein bißchen heruntergekommen, aber man wurschtelt sich durch.
„Du wirst also häufiger mit mir nach Italien fahren?“, fragte mich meine katholische Freundin, als ich endlich wieder zurück in Halle war und sie in meinen Armen lag, wärmebedürftig wie sie ist.
„Na klar. Versprochen!“, sagte ich und küßte sie.
„Nächste Jahr aber erst mal wieder an die Ostsee.“
[1] Vielleicht fühlt sich ja an dieser Stelle ein italienischkundiger Leser berufen, mich über die Wortbedeutung dieser Gerichte nicht unaufgeklärt zu lassen.