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# 001
IN AUGENSCHEIN - Gespräche über anonymisierte Texte (# 001). Zu Gast: Asmus Trautsch
Januar 2013
Der Fülle des lyrischen Textes steht die besonders hingegebene Lektüre gegenüber. Wie es den Text zu neuen, erleuchtenden Wortverbindungen treiben kann, wenn er sich den Spielen, Zwängen und Anforderungen eines lyrischen Einfalls hingibt, so kann auch die Lektüre durch Beschränkung in neue Richtungen wachsen: und an Aufmerksamkeit gewinnen, wenn die Sicherheit gewohnter Fangnetze fehlt. In dieses Wagnis will sich die Reihe Augenschein begeben, indem sie im Gespräch mit Lyrikern über Lyrik Namen und Titel verdeckt. Der blinde Fleck über dem Namenszug der Autoren soll einen freieren Blick auf das erlauben, was die Signatur ihrer Texte ausmacht. Da geht es um Stile, mehr als um Inhalte; gerade deshalb geht es um Beobachtungen und nicht um Wertungen. Kein Quiz, sondern ein Spiel, dessen Regeln sich im Moment erst formen. Nur das Material ist gegeben und älter als wir. Wir bleiben familiär, wir wollen spazieren, die Augen, Ohren und Hirne weit aufsperren. Deutlichkeit und Lösung können dabei selbstverständlich nicht in unserem Interesse liegen.
Asmus Trautsch, 1976 in Kiel geboren, ist ein Lyriker mit feinen Ohren, ein Komponist mit scharfem Sprachgefühl. Bereits 1994, 1996
und 1997 Teilnehmer am Treffen junger Komponisten
auf Schloss Weikersheim, konnte er in den letzten Jahren seine Vorliebe für Schlossstipendien im brandenburgischen Wiepersdorf und im stuttgarter Solitude fortsetzen. Die Spannweite seiner Studien und Arbeiten lässt das nur berechtigt erscheinen: 2003 gründete er nicht nur den Verein Klangnetz, sondern auch den Lunardi Verlag, den er gemeinsam mit Bettina Hartz bis 2010 leitete. Er studierte an der Universität der
Künste Berlin, der Humboldt-Universität und dem University College London Philosophie, ältere und neuere deutsche
Literatur sowie Komposition. Sein lyrisches Debut Treibbojen erschien 2010 im Berliner Verlagshaus J.Frank.
Herr Trautsch, lassen Sie uns zunächst ein wenig über Stil und die Wiedererkennbarkeit von Stilen sprechen. Wie wichtig ist Ihnen „Stil“, wenn man ihn etwa als Gegenbegriff zu „Inhalt“ oder „Thema“ fasst?
Wenn man Stil als die Form des Sprechens begreift, in der ein Thema überhaupt erst ästhetisch wird, als die Art und Weise wie geschrieben wird, wie die Worte, Rhythmen und Klänge konfiguriert sind, dann konstituiert Stil das Gedicht und ist insofern essentiell. Wenn man den Stilbegriff aber etwas enger und traditionell aus der Rhetorik bestimmt, also als Manier des Sprechens und Dichtens, dann findet man sich auf Paradigmen zurückgeworfen: beispielsweise hohen, mittleren und niederen Stil, jeweils bestimmten Gattungen zugeordnet. Das aber würde in unserer pluralistischen Gegenwart schnell unter dem Verdacht stehen, mit der Vergleichbarkeit zwischen den Dichterindividuen und ihrer Sprache zu rechnen. Man würde dann wohl sagen, dass jemand, der in einem bestimmten Stil schreibt, gerade nicht Individualität zum Ausdruck bringt, sondern sich eines Schemas, einer historischen Weise des Schreibens bedient. Dieser Stilbegriff scheint mir überholt, wenn er auch Spuren hinterlassen hat, die heute noch produktiv verwendet werden können.
In der alten Gattungsrhetorik war es ja vielmehr der Ausweis eines besonders guten Dichters, dass er verschiedene Register und Stile schreiben und bedienen kann.
Und auch weiß, an welcher Stelle er welchen Stil zu verwenden hat: decorum.
Heute liegt der Fluchtpunkt des Stils in der Individualität des Dichters verborgen und es ist gefordert, dass er immer wieder erkennbar ist, egal was und in welcher Form er schreibt.
Das ist natürlich auch eine problematische Forderung, weil damit eine unterschwellige Erwartung an Einheitlichkeit erzeugt wird.. Bei Bildenden Künstlern merkt man das noch stärker. Hier stellen sich schnell Maschen ein, eine Manier, die wiedererkennbar ist und dadurch auch als Marktwert fungiert in Entsprechung zu dem numerisch stets vergleichbaren Geldwert. Das unterläuft den Anspruch auf Individualität. Gleichzeitig erscheint es mir als ein Dogma, wenn man die rhetorische Tradition zugunsten des romantischen Erbes außer Kraft setzt. Ich möchte hier nur auf das Gegenbeispiel Wystan Hugh Auden verweisen, der brillant im Wechsel seiner Stile war. Man erkennt ihn gerade nicht an einem typischen „Auden-Sound“ wieder, aber er ist trotzdem als Dichterindividualität sehr stark konturiert.
Könnte man also sagen, dass der, sagen wir einmal: „rhetorische Stil“ eine Unterordnung unter literarische Traditionen fordert, während die Forderung nach „individuellem Stil“ den Dichter seiner eigenen Vergangenheit unterordnet?
Seiner eigenen Vergangenheit, wenn er denn schon eine hat, oder aber einem bestimmten Zukunftsentwurf.
Das wäre dann der Innovationsdruck, den wir aus der Romantik geerbt haben?
Ja, eine Innovation auf eine imaginäre Norm hin: nämlich die eines wiedererkennbaren Stils. Das gibt es ja tatsächlich. Man erkennt sofort etwa ein Gedicht von Paul Celan oder Elke Erb. Das betrifft interessanterweise auch Dichter, die auf unterschiedlichen Stilebenen geschrieben haben. Auden war da ein Beispiel, aber man könnte auch T. S. Eliot nennen oder Brecht, man könnte hier sehr viele Namen anführen, gegenwärtige, auch in anderen Künsten: Strawinsky oder Picasso. Diesen beiden Künstlern wurde ein gewisses Renegatentum vorgeworfen, obwohl sie sich selbst sehr treu geblieben sind – ohne dass man das prima facie an bestimmten Stileigenschaften hätte festmachen können.
In dieser Richtung findet sich ja auch der Umschlagpunkt, wo Stile zu Schulen oder Stilgemeinschaften führen. Aber wo wir gerade hier sind und das Wort prima facie fiel, lassen Sie uns doch vier Proben aufs Exempel machen, und erst laut lesen und dann laut denken:
I.
Der Sommer dampfte in den Sträuchern,
es hatte Stachelbeeren geregnet sowie
ein Nest voll Mauersegler. Wir bissen
in die grünen Beerenlampions
und sprachen über kältere Zeiten.
In den Teelichtern verzischten Falter.
Ein Segler kroch die Wand hinauf,
grau und zerrauft. Er wär wohl gern
nicht mehr gesegelt, doch konnte er’s
nicht abbekommen von dem Körper,
der er war. Dann kam November.
Der Sommer hielt dagegen an.
Wie immer bei Gedichten, und das ist das Signum der Gattung, zumal unter „nachstilistichen Bedingungen“, kann man nicht exakt sagen: Das ist ein Gedicht. Das ist kein Gedicht. Das ist ein gutes Gedicht. Und so weiter. Es ist jedes Mal ein Experiment, ein Gedicht zu lesen. Ich würde nun zunächst einmal bemerken, dass das Gedicht aus Sätzen besteht. Die Sätze sind durch Punkte getrennt und entsprechen nicht genau den Versen. Am Verseingang steht, wie heute üblich, keine Majuskel und die Versenden sind weder durch Reime noch durch Assonanzen, wie mir scheint, auch nicht durch eine erkennbare Ordnung von klingenden oder stumpfen Silben organisiert. Man kann also darauf schließen, dass die Versifikation relativ schwach in dem Sinne ist, dass die Verse keine entscheidende rhythmische und wahrscheinlich auch keine entscheidende semantische Dimension haben. Man kann also den Enjambements folgen und sich fragen, warum der Zeilensprung an der Stelle ist, wo er zu finden ist. Das liegt von den dichterischen Mitteln her nicht auf der Hand. Das findet man häufig und das macht sicherlich die Dichterin oder den Dichter noch nicht wiedererkennbar.
Könnte man es nicht andersherum geradezu als auffällig werten, dass ganze Sätze mit „korrekter“ Interpunktion gebildet werden?
Nun ja. Auch Groß- und Kleinschreibung sind ja seit langem nicht mehr selbstverständlich. Auch wird hier Sprache nicht zu sehr gestaucht, gedehnt, dekonstruiert. Der Text ist in seinen Bildern und in der Konkretion der Bilder durchaus semantisch orientiert. Die Formung der Verse lässt auf den ersten Blick keine Notwendigkeit erkennen – aber im möchte betonen: auf den ersten Blick: in solchen Angelegenheiten muss man schon sehr genau hinschauen.
„Auf den ersten Blick“ ist Programm.
Was mir weiterhin auffällt, ist, dass das Gedicht mit romantischen Wendungen operiert. „Er wär wohl“ oder der Beginn „Der Sommer dampfte in den Sträuchern“, auch das apostrophierte „er’s“. Da kommt einerseits gesprochene Sprache ins Gedicht, aber gerade im Schriftbild bekommt es etwas Stilisiertes, das klingt nach Zitation. Eine Szenerie im Sommer, wo vegetabile und animalische Natur auftauchen und die Subjektposition in das Tier verlegt wird. Dass Natur subjektiviert wird, das passiert natürlich auch heute viel, das ist ein poetisches Verfahren der Übertragung, ähnlich der Metapher. Stilistisch fällt natürlich auch auf, dass der erste und letzte Vers sich in der Evokation des Sommers entsprechen, obwohl der Sommer eine Wandlung erfährt. Zuerst ist das Dampfen ein unpersönlicher Vorgang, am Ende erzeugt die Wiederkehr eine Ambiguität: hält der Sommer nur an im Sinne von dauern? Oder ist er zum Subjekt geworden und „hält dagegen“ wie ein Opponent des Herbstes. Aber sagen wir so: Mir scheint diese Form des Sprechens keine zu sein, die sich in Bezug auf den Autor deutlich individualisiert; aber ich möchte betonen, dass genau das für mich kein Qualitätsurteil ist.
Wer könnte das geschrieben haben?
Ich weiß nicht genau warum, es ist schwer, da den Finger drauf zu legen. Aber ich würde vermuten, dass das Gedicht von Nora Bossong ist. Die Verbindung von scheinbar beiläufiger Erfahrung (ein Gespräch am Sommerabend) und unerwarteten Momenten, dazu eine Art leise Verdichtung am Ende. Und alles in einer Syntax, die der Prosa nahekommt.