Erzählung

Über die Kunst aufzuhören

Februar 2013


1 Vor dem Kochen

Ich habe allerlei Zutaten wie Magerquark, Muskatnuss, Crème Fraîche und glänzend schwarze Oliven auf dem Küchentisch aufgetürmt. Gar nicht lange her, denke ich, und ich war frei. Es war in jener kleinen Hafenstadt an der Ostsee, als mir von den Göttern eine Musenzeit geschenkt war, in der ich keinen Strich mehr als nötig tun musste. Zum Beispiel sparte ich mir das Kochen, und ließ mich von Freunden und Bekannten durchfüttern. Wem schmeckt so etwas nicht?

 

2 Backen

Das Zubereiten von Speisen erscheint mir bis heute als eine Prozedur von hoher Zwanghaftigkeit, allein schon weil man sich an ein Rezept halten muss. Ich gebe zu, dass ich mich immer noch lieber durchfüttern lasse. So vermische ich unwillig das Mehl mit dem Backpulver, und knete beides zu einem Teig. Keine Frage, ich bin der Leibeigene meines Magens, der knurrt und mich weiter kneten lässt. Das wäre nicht ohne die passende Begleitmusik zu ertragen. Aber Vorsicht. Hier lauert für den Nichtkoch die erste Gefahr. Stellt er Musik an, um das Kochen zu begleiten? Oder kocht er, um Musik anzustellen? In diesen Nuancen liegt der Geschmack der Mahlzeit beschlossen. Da ich mich für das Anstellen der Musik entscheide, bleibe ich einige Zeit vor dem CD-Regal stehen. Keine Frage, welche Musik ich hören werde. Dennoch zögere ich. Mir ist klar, dass ich das Kochen bewusst verschleppe. In der kleinen Hafenstadt an der Ostsee hörte ich zum ersten Mal Rachmaninovs zweites Klavierkonzert, auf einer Couch unter meinem Hochbett ausgestreckt, aus schmal gefassten Augenlidern träumend, inmitten von Decken und Kissen, bis mich irgendjemand zum Essen rief.

Vergangene Zeiten, sage ich mir, während ich den Teig zu zwei Rechtecken ausrolle, ein Ei trenne und die Teigplatten mit verquirltem Eiweiß bestreiche. Kochen erfordert eine unbedingte Gegenwärtigkeit. Nur keine Ablenkung. Will der Nichtkoch einmal Koch werden, muss er in den sauren Apfel beißen und bei der Sache bleiben. Da ist es wieder, das sanft wie eine Welle heranrollende Klaviermotiv, das mich beim Kochen innehalten lässt. Es war vorauszusehen, und ist dennoch geschehen. Ich lasse die Teigplatten mit ihrem Eiweißkleid bekleckert liegen und gehe zum Buchregal. Was hat das noch mit dem Kochen zu tun? Alles und nichts, möchte ich philosophisch antworten. Hier stehen die Lyrikbände, zarte Blätterteigkompositionen, luftig in der Substanz, sättigend und schmackhaft dazu. Die Mahlzeit ist angerichtet, ich muss nur auf die Bibliotheksleiter steigen und mir ein Bändchen aus der akkurat angeordneten Reihe fischen. Ich entscheide mich für das weiße Bändchen, das mir in der kleinen Hafenstadt an der Ostsee wie ein Rabe zugeflogen ist. Ich bin verloren, weil ich nicht weiß, was aus meinen Oliven-Schnecken werden wird. Doch ich habe gleichzeitig gewonnen, denn ich habe die wahre Speise entdeckt, die ich wohlig zur Musik von Meister Rachmaninov durchblättere. Komm und nimm mir die Asche von den Beinen!

Mit einem verächtlichen Schnauben kehre ich zur Fronarbeit an den Küchentisch zurück, die allein meinem knurrenden Magen gilt, der, rüpelhaft wie er ist, seine Rechte anmeldet. Manchmal denke ich, dass ich meine Kochunlust therapieren muss. Aber was käme da noch alles zum Vorschein? Also stelle ich die Musik leiser und hangele mich stoisch durch das Rezept. Ich vermische die Crème Fraîche mit einem weiteren Ei und Mandeln. Für einen kurzen Moment durchströmt mich ein heldenhaftes Gefühl. Meine Kochunlust ist so stark, dass ich von einer förmlichen Kochangst sprechen muss. Nach jedem Schritt im Rezept lege ich eine üppige Pause ein, und belohne mich auf der Couch liegend und im weißen Bändchen lesend mit weiteren Takten aus Rachmaninovs zweitem Klavierkonzert. Lilya Zilberstein wühlt sich voller Appetit durch die Klaviertastatur. Meister Rachmaninov hat ihr ein opulentes Mahl bereitet. Alles außer dem Kochen ist ein paradiesisches Experiment, denke ich. War es nicht so in der kleinen Hafenstadt an der Ostsee? Wir setzten die sozialutopischen Ideen von Charles Fourier in die Tat um, eines großen Nichtkochs und leidenschaftlichen Konfitürenaschers, indem wir aus Lust an der Freude lebten. Wer zum Beispiel kochen wollte, der tat das. Und erstaunlicherweise hatten stets manche von uns Lust darauf. Ich lag auf der Couch und improvisierte auf der Gitarre. Nein, Hunger habe ich dort nicht ein einziges Mal gelitten.

Meine Freundin behauptet, ich hätte ein gestörtes Verhältnis zum Kochen. Über den Zustand der Kochunlust ist sie sich niemals klargeworden. Wie selbstverständlich greift sie zu Bratpfanne und Öl, schnippelt Salate und knetet Teige. Ich sage ihr frei heraus, dass das nicht meine Welt ist. Schließlich würde ich auch nicht Tibetisch lernen oder zu Treffen von Modelleisenbahnfans pilgern. Doch sie lässt sich dadurch nicht beeindrucken. Für sie ist das Kochen eine Frage des Überlebens. Gerade hält sie sich auf einem Kongress in Übersee auf. Sie hat mir als Liebesgruß zehn Kochrezepte aufgeschrieben und in eine Klarsichtfolie gepackt. Fast widerwillig gucke ich mir das erste Rezept an. Oliven-Schnecken. Daneben hat sie mit dem Kugelschreiber ein Herz gemalt. Tatsächlich hat sie fast das ganze Rezept unterstrichen, soviel zu ihrem Vertrauen in meine Kochkünste.

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