eingekreist - die Monatskolumne März 2013

Monatskolumne

Autor:
Christian Kreis
 

Monatskolumne

Abschiedsgeschenk

März 2013
 

Als mein Opa starb, kam meine narzißtische und manchmal nazistische Oma auf die Idee, den Beruf meines Opas in den Grabstein meißeln zu lassen. Nun steht dort in goldener Schrift „Zahntechnikermeister“, obwohl meine Oma kaum noch Zähne hat, auch keine goldenen. Das liegt daran, daß sie aus Zahnarztangst seit Jahrzehnten nicht mehr beim Zahnarzt war und nicht an der Unfähigkeit meines Opas. Aber irgendwie seltsam sieht das schon aus. Sollte mein Vater sterben, wird bestimmt nicht „Elektromeister“ auf seinem Grabstein stehen, selbst wenn es da einige Möglichkeiten gäbe. Zum Beispiel könnte die Inschrift bei Dunkelheit leuchten oder auch nervös flackern, sobald man dem Stein zu nahe kommt. Das würde sogar der Persönlichkeit meines Vaters entsprechen.

In den vergangenen Jahrhunderten wurde das, was der Tote tat, als er noch lebte, durch ein Symbol auf dem Grabstein dargestellt. Meine Oma hätte also ebensogut die Umrisse eines Zahns in Opas Grabstein meißeln lassen können. Allerdings mit ein paar Kariesstellen dazu, um die Vergänglichkeit anzudeuten. Im neunzehnten Jahrhundert häuften sich die bürgerlichen Titel auf den Grabsteinen - Professor, Studienrat oder Kommerzienrat - als Statusanzeige über den Tod hinaus. Im Umkehrschluß wird man demnächst vielleicht „Hartz-IV-Empfänger“ auf den Grabsteinen derjenigen lesen, die sich nicht rechtzeitig bis zu ihrem Ableben um Arbeit bemüht haben, als kleine Sanktionsmaßnahme für die Ewigkeit. Ganz im Sinne der protestantischen Lebenszusammenfassung, die ich neulich auf einem Grabstein entdeckt habe: „Wenn unser Leben köstlich gewesen/ so ist es Mühe und Arbeit gewesen“. Für mein Grab habe ich mir deshalb schon folgenden Spruch überlegt: „Er brachte der Welt großen Segen, das hat an seinen Kolumnen gelegen“. Oder: „Kolumnen schrieb er sehr fleißig, erschöpft starb er mit fünfunddreißig“.

Als ich kürzlich in Berlin mit meiner katholischen Freundin über den Alten Sankt Matthäus Kirchhof ging, fiel mir ein neues Friedhof-Marketing-Konzept auf. Die um die Gunst der potentiellen Toten ringenden Steinmetze hatten zwischen den normalen Gräbern Mustergräber angelegt. Schilder auf diesen Mustergräbern informierten über die verwendeten Materialen, über Maße und Bearbeitung. „Hier ruht Herr Mustermann“ stand komischerweise nicht auf den Mustergrabsteinen. Es wäre nur folgerichtig gewesen. Unter den sogenannten Themengräbern, die sich die kreativen Steinmetze ausgedacht haben, befand sich eins mit dem Titel: „Der Bergsteiger“. Es bestand aus einem grabmalgroßen Felsen, um den herum ein Kletterseil mit Karabinern geschlungen war. Man fragt sich, soll hier jemand liegen, über den die Hinterbliebenen mitteilen wollen, er stieg sein Leben lang gerne Berg, oder jemand, dem das Steigen auf einen solchen zum tödlichen Verhängnis wurde. Ein anderes Themengrab hieß „Der Seefahrer“. Es zeigte ein aus dem Material Keramik gefertigtes Boot, das gerade Schiffbruch erlitt. Als Betrachter ahnt man die Möglichkeiten. Das Grabmal eines Fettsüchtigen könnte ein stilisierter Cheeseburger aus Speckstein sein. Für den Raucher ein hüfthoher Aschenbecher aus pechschwarzem Granit in Lungenform, der gleichzeitig als Raucherinsel für die Friedhofsbesucher dient. Die Angehörigen müssen ihn regelmäßig entleeren. Als Rauchersippenhaft, denn Strafe muß in unserer gesundheitsbewußten Zeit schließlich sein. Und beim Selbstmörder böte die Art, wie er sich umgebracht hat, viel Gestaltungsspielraum für den Steinmetz. Glücklicherweise sind Oma diese postmodernden Möglichkeiten für hippe Tote bis jetzt verborgen geblieben. Sie hätte auf Opas Grab einen Überzahn im Stile Arno Brekers gesetzt, am besten aus Carrara-Marmor. Der wäre allerdings die Schwachstelle gewesen. Er ist nicht hart wie Kruppstahl und würde dem deutschen Winter auf Dauer nicht standhalten. Eine Kruppstahlkrone für den verweichlichten italienischen Marmor würde bald fällig sein. Und wenn man bedenkt, daß die Italiener im Zweiten Weltkrieg nicht mal die Griechen besiegen konnten, ist das für Oma auch nicht erstrebenswert.

Inzwischen gibt es schon Grabsteine in Herzform. Auf Gräbern kleine Figuren, die emotionale Bedürfnisse der Hinterbliebenen befriedigen sollen. Ich ahnte, wie es in deren Wohnzimmern aussieht. Ich begriff, daß man den Menschen auf dem Friedhof keine Gestaltungsfreiheit geben darf, es ist nachrufschädigend.

Am Ende fand ich auf diesem Friedhof sogar ein Mustergrab, das mein Leben zu symbolisieren sich bemühte. Eine rechteckige Stele aus Sandstein und oben drauf war ein aufgeschlagenes Buch, eine Brille und ein Federkiel aus Bronze installiert worden. Als Hypochonder habe ich ja ständig Angst vor Krankheit und Tod. Beim Anblick dieses Grabsteins kommt nun aber eine weitere Angst hinzu. Es bleibt zu hoffen, daß meine Oma, trotz ihrer ostpreußischen Zähigkeit, vor mir stirbt. Deshalb sollte ich mich beim Kolumnenschreiben auch nicht so verausgaben. Einfach ein paar weniger Pointen pro Text einbauen. Und mehr Obst essen. Sonst bekomme ich von Oma noch das Themengrab „Der Schriftsteller“ als Abschiedsgeschenk verpaßt. Oder „Der Hartz-IV-Empfänger“, was für Oma auf das Gleiche hinausläuft.


Christian Kreis hat zuletzt die Monatskolumne Februar 2013 »Brief an den Großvater« auf Fixpoetry geschrieben.