Ostern im Thüringer Teichland

Erzählung

Autor:
Mechthild Curtius
 

Erzählung

Das Plothener Starenwunder.

Kameramann Andreas erinnert sich:  Ostern ist gewesen, eingeschult der erste Sohn des strengen Lutheraners, der seinem Dorf ein wenig zu viel von der Höllenqual predigt. Der Vater läuft während der Osterferien bei den Muttergroßeltern in Plothen Tag für Tag mit Andreas durch das Teichland. Das Kind merkt, wie seine Hand ihn leichter fasst, bis der Vater umherblickt und aufatmet. Lebensfreude im Freien. Unter den Wolken die Teiche und Tümpel und Pfützen, der Wind bewegt die Wasseroberfläche, die Spiegelungen verschwimmen, treibt mit den Blättern vom Vorjahr alles Finstere fort. Um die Teiche blüht hell Huflattich aus dem verfilzten Winterried, unter hart geknicktem Rohr gelbfettige Sumpfdotterblumen, einzelne neue Halme, das ist alles, was von der berühmten Froschlöffel- und Teichrosenflora da ist so früh im Jahr. Darum liebte das Kind Andreas mehr als die Häuser die Teiche. Die Plothener Platte in den Ferien; südwärts mussten sie fahren, und doch wurde es immer kälter. Dann hatte der Vater Zeit, er war eigentlich nicht mehr der Gleiche. Vom Himmel auf die Erde der Vater versetzt, wurde dem Kind die Gegend zum Paradies aus unzähligen oft nicht sichtbaren Singvögeln, die man hörte, sah er einen, staunte er, wie vielgestaltige und laute Töne aus einer einzigen winzigen Kreatur kommen konnte. Auf den Teichstegen standen die Reiher, er unterschied sie an der aufrechten Haltung, mit zurückgelegtem Federkopf, sie waren wie feine Frackherren. Wie derbe Gesellen dagegen die Schwäne, die flogen plump und nicht hoch, die Reiher elegant und über die Fichtenwipfel davon, saßen erst lange in den oberen Zweigen, ein, zwei Dutzend manchmal, nie konnte Andreas erkennen, was sie bewog, dass sie wie auf ein Signal davonflogen, er belauschte sie, sah nie das Signal, nur dass immer einer unter allen sekundenlang unruhig wurde, ehe sie aufflogen und durch die Luft segelten. Anders war es bei den Staren, die schwirrten in Spektakel zu Tausenden herunter und fort. Das "Plothener Starenwunder" fuhren sie zur Zugvogelzeit in den Kartoffelferien besichtigen; auf dem Rohrteich, den die Oberländer inzwischen den Starenteich nannten, setzten sie sich - ein jeder Vogel grauweißgesprenkelt genauso lang und hoch wie die Schilfkolben oder Riedrüschen - je auf einen schwankenden Halm, so verbrachten sie leise querelend die Nacht, schwirrten morgens auf, sehr hoch, da war der Himmel dunkler als bei der größten Gewitterwolken, die zu der Zeit nach ihnen gern stürmisch über die tausend Teiche herfielen und zerbrochene Bäume und abgedeckte Häuser hinter sich zurückließen, Flurschäden wegen Windbruch und zerzauster Äcker.
 

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