„Denn Denken schadet der Illusion“

Monatliche Kolumne des Kultursalons Madame Schoscha

Autor:
Kathrin Schadt
 

Monatliche Kolumne des Kultursalons Madame Schoscha

Madame Schoscha (Barcelona) - Herr Altobelli (Berlin) - 7.Brief

Madame Schoscha lebt seit Kurzem in Barcelona. Ihr alter Bekannter, Herr Altobelli weiterhin in Berlin. Beide leben sie in einer ganz eigenen Zeit. Und dennoch in dieser Welt, über die sie sich gegenseitig berichten, sie schreiben sich Briefe. Im monatlichen Wechsel flattert ein Brief aus Berlin oder Barcelona herein und vereint die aktuelle, kulturelle Erlebniswelt der beiden. Ganz wie im gleichnamigen Kultursalon Madame Schoscha, der mehrfach im Jahr in einem Schöneberger Theater stattfindet, geben sich die beiden Auskunft über ihre Entdeckungen aus Kunst und Alltag. Es scheint sich daraus eine wahre Brieffreundschaft zu entwickeln.


Illustration: Gastón Liberto


Barcelona, April 2013

Geistige Gesundheit, geschätzter Altobelli, scheint mir maßgeblich abhängig von den zwischenmenschlichen Beziehungen in denen wir stehen. Meine Psychohygiene lässt sich gerne von meinen Sozialkontakten durcheinander bringen, beziehungsweise machen diese sie erst nötig. Und dabei spielt es keine Rolle, ob dieser Kontakt eine behaarte Brust zu bieten hat, oder eine mich anschauende Hundenase. Und bei all dem ist klar, man braucht sie, die Beziehungen, um gesund zu bleiben und wieder verrückt zu werden. „I figure it's the love that keeps you warm“, kopfwarm, Überhitzung stets eine Möglichkeit.

Das Beziehungsgefüge zu meinen Mitmenschen, ein Netz das ich von Beginn an gesponnen habe, ein Fädchen hier, ein anderes dort, mal dort eine Verstrickung gekappt, mal hier etwas ausgebessert, sitz ich „am Rand und webe mich in jede Strömung ein“. Dickleibig wart ich dort, putz mir die behaarten Beinchen, bis das Glöckchen wieder klingelt. Denn das wird es gewiss. Ständig regnet es Emogranaten, die hausgroße Löcher in das Netz reißen, das Glöckchen hektisch durcheinander schütteln, das glotzäugige Tierchen alarmiert aufs Trapez rufen und wieder einmal architektonische Höchstleistung von ihm abverlangen. „Safe from the guards of intellect and reason”, habe ich die Spielregeln bis heute nicht verstanden.

Dabei spielt die Art der Beziehung gar keine Rolle. Konflikte hagelt es an allen Fronten. Wobei man der klassischen Liebesbeziehung ja gerne die größte Aufmerksamkeit schenkt, „Love a higher law“, vor allem in Liedern. Ich habe Ihnen passend zum Thema meine persönliche Liebeslieder Hitliste in Gänsefüßchen gesetzt. Da Sie musikalisch so bewandert sind und meine Hitliste auch nicht besonders originell, habe ich mir den Spaß erlaubt, die Zitate nicht zuzuordnen, sondern Ihnen diese Aufgabe zu überlassen. Sollten Sie alle erraten, werde ich Sie mit zwei Karten für den nächsten Salon am 25. Juni in Berlin belohnen.

Und von den Liebesliedern zum Kitsch (nicht mal ein Katzensprung): Dem katalanischen Schriftsteller Pere Calders ist es in einer seiner Kurzgeschichten gelungen, Kitschthema Nummer eins – Schicksal (hafte Begegnungen) - ganz unkitschig und humorvoll zu behandeln. In Seltsame Vorsehung erzählt Calders von einem jungen Mann, der nach einem Spaziergang eine fremde Familie in seiner Wohnung vorfindet. Seine Haushälterin Irene verschwunden, ist seine Wohnung zwar immer noch seine, aber plötzlich wie selbstverständlich von diesen Fremden bevölkert. Wie sich herausstellt, ist die Tochter der Familie seine zukünftige Ehefrau, die er auf diesem Wege kennenzulernen hat und auch nicht mehr los wird, da die Sippschaft die Wohnung nicht wieder verlässt.

 

Die Angelegenheit nahm unerbittlich ihren Lauf. Seit Jahren bin ich mit Clara verheiratet, und es ist mir weder besser noch schlechter ergangen, als es in solchen Dingen zu gehen pflegt. Geblieben aber ist mir ein Schuldgefühl […]. Denn es mag ja gut sein, dass die Vorsehung so spektakuläre Stücke inszeniert, damit wir dorthin gelangen, wo wir hin sollen, aber dass sie sogar andere Leute aus dem Weg räumen muß, damit wir freie Bahn haben …! Manchmal wache ich in der Nacht auf und denke: „Was wohl aus der armen Irene [Haushälterin] geworden ist?“

 

Pere Calders ist auf meiner katalanischen Hitliste, die sich, ich gestehe, noch recht spärlich ausnimmt, ganz weit oben. Zu lesen ist er in dem Band Und laß als Pfand, mein Liebling, Dir das Meer, einer Anthologie katalanischer Kurzgeschichten, die ich Ihnen empfehle. Die Geschichten haben mich an Kafka, manchmal an Murakami, dann wieder an den lateinamerikanischen Magischen Realismus erinnert, an Geschichten, die einer eigenen, manchmal leichtfüßigen Logik folgen. Es scheint mir lohnenswert, wenn man sich einen ersten Überblick über katalanische Literaten verschaffen möchte.


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