Monatliche Kolumne des Kultursalons Madame Schoscha
Madame Schoscha (Barcelona) - Herr Altobelli (Berlin) - 7.Brief
Dass eine Beziehung sich ganz anders gestalten kann, zeigen auch die neuen Bande, die ich zu einem mir völlig Fremden leis geknüpft habe. Auf meinen täglichen Spaziergängen auf den Montjuïc, dem Hausberg von Barcelona, dort auf einer Parkbank unter den Platanen, sitzt ein Mann mit einem Saxophon und spielt täglich mehrere Stunden. Keine Stücke, die man wieder erkennen würde, improvisierten Jazz und auch nicht für ein Publikum, denn dort, wo er sitzt kommt außer mir und den katalanischen Siestanern in Filzpantoffeln und Fiffi an der Leine niemand vorbei. Er sitzt da und spielt für sich. Egal zu welcher Uhrzeit (nachts war ich noch nicht da). Mittlerweile kennen wir uns. Ohne den Arm zu heben oder ein Nicken anzudeuten, grüßen wir uns. Es ist kein Hallo, kein Blinzeln. Es ist die stille Übereinkunft, dass man sich mittlerweile kennt, erkennt. Ich habe überlegt, ihn anzusprechen. Ihn zu fragen, was er da eigentlich macht. Auch, um Ihnen davon berichten zu können. Aber es würde das zärtliche Gleichgewicht stören, dass wir uns geschaffen haben, das Glöckchen an unserem Faden irritiert zum Klingen bringen. „No matter how it ends, no matter how it starts“, ist dies eine Verbindung, die nicht mehr braucht und dennoch viel tut. Und was sollte er auch auf die Frage, was er da mache, antworten? Saxophonspielen, was sonst.
Auf die Frage, ob unsere immer verschrobeneren menschlichen Beziehungen überhaupt noch zur Arterhaltung führen, antwortet mir wiederum prompt der Frühling. Da werden die Neuankömmlinge aus den winterstauben Wohnungen gezerrt und mit ihren Wagen die Trottoirs blockiert. Womit wir bei der innigsten Beziehung überhaupt angelangt sind: Säugling und Brust. Und dabei ist es die Frau, die in der Beziehung drauf zahlt. Erst kürzlich stieg eine befreundete Tänzerin aus meiner Dusche (sie stillt seit einigen Wochen ihren Sohn) und seufzte beim Blick in den Spiegel ergeben: Da gehen sie hin. Man sollte meinen, dass spätestens nach einem Nachkommen, Frauen von diesen Leiden genug haben: „I am my mothers only one, it´s enough”.
Dass diese Beziehung aber auch beim Säugling Irritationen hervorrufen kann, glaubt die abenteuerliche Theorie der Brust Schimpf Phase. Das häufig bei Kindern um den dritten Lebensmonat beobachtete exzessive Weinen während des Trinkvorgangs, soll hier auf dem Bewusstwerdungsprozesses des Kindes beruhen, dass es fortan von der Mutter getrennt ist und die Brust etwas ist, was nicht zu ihm, sondern zur Mutter gehört, die den Quell geben aber auch wieder entziehen kann. Ich sag nur: “Mind is a razor blade”! Diese traurige Entdeckung kommentiert das Kind mit heftigem Anschimpfen der Brust, einer verfrühten Pubertät gleich und gelangt so zur ersten Selbstständigkeit.
„Geruch nach … Duft nach … […]. Auch den seidigen Pudergeruch. Und dazu ein anhaltendes, all die andern Gerüche begleitendes, intensives Düftchen nach saurer Milch. Ach, doch wenn er, ein riesiger, lachender Mund, sich dann herunterbeugt, rieselt wie ein Freudenregen noch ein anderer Duft hernieder. Tief, tief, tief atmet, saugt sie die Gerüche ein. Und die Träume sind gelbe Geruchsblasen.“ (Aus Das Geländer, der Zitronenbaum und das Meer, der Katalanin Maria Aurèlia Capmany)
Und wenn Ihre Schützlinge aus der Akademie zurück an den Busen der Natur und in engen Kontakt mit anderen Künstlern kommen wollen, könnte das Canserrat eine sehr reizvolle Station für sie sein. Ein Künstlerhaus mitten im Montserrat, einem irritierend schönen Sandsteingebirge kurz vor Barcelona. Schriftsteller wie visuelle Künstler haben hier die Möglichkeit ein bis zu dreimonatiges Aufenthaltsstipendium zu erwerben, sich auszutauschen und ungestört zu arbeiten.
Abschließend, mein lieber Herr Altobelli, sagen Sie mir doch noch, für wen Sie momentan am liebsten tanzen? Wer auch immer es ist, denken Sie dabei an Rilkes Worte, eine gesunde Beziehung funktioniere auf dem einfachen Prinzip des sich Bindens und Lösens und wieder Binden und Lösen, Binden und Lösen …
Und so verbleibe ich mit den Worten
“Your servant am I / and will humbly remain”
Ihre Madame Schoscha
PS: Anbei wieder eine Illustration von Gastón Liberto, der überraschenderweise kürzlich Barcelona verlassen hat und mit seiner Familie nach Argentinien zurück gekehrt ist. Welche Begegnung ihn zu dieser Flucht veranlasst hat, kann ich Ihnen leider nicht sagen. Aber glücklicherweise wird er mir weiter seine Bilder überlassen.