Von alten Bäumen fallen neue Früchte

Monatliche Kolumne des Kultursalons Madame Schoscha

Autor:
Christian Ingenlath
 

Monatliche Kolumne des Kultursalons Madame Schoscha

Madame Schoscha (Barcelona) - Herr Altobelli (Berlin) - 8.Brief

Zurück zu meinen Ausflügen im Nachbarland. Auch in der Höhle von Lascaux bei Montignac gibt es viele Gründe, warum einem die Augen aufgehen können. Wenn man sich von der kleinen Enttäuschung erholt hat, dass man in Lascaux II aus Schutz vor der zerstörerischen Wirkung der menschlichen Atemluft nur eine originalgetreue Kopie der berühmten Felsmalereien zu sehen bekommt, kann man absteigen in die ca. 17.000 Jahre alten Bilderwelten der Steinzeitmenschen. Was mag unsere Vorfahren dazu bewogen haben, bekannte Tiere oder Symbolzeichen auf diese beeindruckende Weise festzuhalten? Die Erklärungsansätze sind vielfältig und reichen von bloßen Markierungen des Territoriums bis hin zu rituellen Beschwörungen, um die kommende Jagdsaison günstig zu beeinflussen. Teilweise wurden einige Stellen vermutlich von unterschiedlichen Generationen hintereinander mehrfach übermalt. Beim Betrachten dieser Bildschichtungen erinnerte ich mich echohaft an die markanten Fragen einer umtriebigen Berliner Theaterdramaturgin:

“Was macht man mit dem Wunsch, sich immer wieder neu zu entwerfen? Wie gelingt das? Nicht fertig zu werden mit sich.“

Diese Fragestellung scheint eher auf den modernen Menschen zugeschnitten zu sein, dem die großen Zusammenhänge und Gewissheiten wegbröckeln. Aber wer weiß schon, was ein früher Vorfahre von uns gedacht haben mag, der irgendwann feststellten musste, dass er wesentlich mehr Talent zum Malen als zum Jagen hatte.

Bei einem weiteren Ausflug habe ich mich auf Spurensuche nach Cyrano de Bergerac begeben. In der gleichnamigen Stadt an der Dordogne erfahre ich, dass der wortgewandte Haudegen hier zwar als Statue verewigt wurde, aber dort nie gelebt haben soll. Gewirkt haben wird er hier sicherlich. Die Wirkungsmacht seiner gesammelten Briefe ist zweifellos an keinen Ort gebunden.

Ein Künstler der Jetztzeit steht wie kein anderer für Neuentwurf und Metamorphose: Robert Allen Zimmerman, der beschloss als Bob Dylan in der Welt herumzutingeln. Über den Wandel von Bob Dylan ist schon alles und nichts geschrieben worden. Wer sich nicht davon irritieren ließ, hatte sein Angebot verstanden: “I’ll let you be in my dreams if I can be in yours.“

Mein Onkel Joe schenkte mir vor 13 Jahren das komplette Songtexte-Buch mit folgender handschriftlichen Widmung: „Bob Dylan ist ein Puzzle mit 100.000 Teilen und keine Randstücke.“ Vielleicht stellt man im Laufe des Lebens fest, dass es gar nicht schlimm ist, wenn man die Randstücke weglässt. Solange man nicht aufhört, irgendwo anzulegen. 

All diejenigen, denen das zu verwegen vorkommen sollte, seien noch einmal mit Sarah Kirschs Worten bedacht:“ (…) wenn die Geduld/durch den alten Teppich der Wiese/Wieder den Faden zieht das beliebte/Muster vom Vorjahr entsteht. Solange/Das Leben sein eigenes Spiegel-/Bild ist erschrecken wir nicht.“

Sie wollten abschließend noch wissen, für wen ich derzeit am liebsten tanze? Das erzähle ich Ihnen gerne, wenn Sie mich in Ihre Träume lassen.

In vorfreudiger Erwartung unserer baldigen Zusammenkunft in Berlin

Ihr Herr Altobelli

 

PS: Beigefügt erhalten Sie wieder eine Illustration der Schöneberger Künstlerin Larisa Lauber. Sie wird auch in diesem Jahr meine Briefe an Sie um eine wunderbare Dimension erweitern.

 

PPS: Ihre Liebesliederliste vom letzten Brief:

1.      Eins und eins, das macht zwei (Hildegard Knef)    

2.      Inside out (Feist)       

3.      Uhlala (Mia)                                                 

4.      For you (Tracy Chapman)                            

5.      One (U2)                                                      

6.      Denkmal (Wir Sind Helden)                        

7.      Etwas verrückt/Foxtrot (Michael Jary Tanzorchester)

8.      Hindue Blues (Kevin Johansen)

9.      Can’t take my eyes off of you (Damien Rice)

10.  House of cards (Radiohead)

11.  Flume (Bon Iver)

12.  Heartbeats (Jose Gonzales)

13.  Lady Jane (Rolling Stones)

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