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Statement
Das Öffentliche reklamieren und nutzen. Martin A. Hainz's zweites Statement zur NSA.
NSA
– wie reagieren..?
Wir werden abgehört, so wissen wir nun. Dieser Skandal[1]ist viel diskutiert worden, wobei zu Unrecht der Eindruck entstand, daß erstens Geheimdienste sich nicht zuweilen in Graubereiche begeben müßten (was hieße, daß es zwischen Nachrichten- und Geheimdiensten einerseits und andererseits der Polizei kein wesentlicher Unterschied bestünde), vor allem aber zweitens die irrige Meinung, dies sei neu, zu herrschen scheint. Nein, seit Jahrzehnten ist den Informationstechnikern, die es natürlich auch bei den entsprechenden Diensten gibt, klar, daß das Internet ein Datenwust ist, der richtig gelesen informativ ist. Die Kunst des Lesens, und das heißt hier vor allem auch des Auslesens, hat sich freilich sehr verbessert. Aber die Unschuld, was Sprache, was Medien betrifft, verloren wir, falls es sie je gab, als Sprache wirklich Sprache wurde, nicht instinktiver Zeichengebrauch wie der Bienentanz. Seit damals lesen wir gegen die Verfasserintention, jedenfalls zuweilen, und nichts anderes tut man heute: mit freilich neuen Mitteln.
So ist es nicht neu, daß Wertkartenmobiltelephone verwendet werden, Akkus aus diesen dann entfernt werden, wenn es im Zwiegespräch im Park um heikle Inhalte geht, das TOR-Netzwerk die Inhalte von den Verfassern trennt, sofern diese nicht willentlich Signaturen hinterlassen (der „Tod des Autors”, wie ihn Barthes und Foucault erdachten, ist dort also auf gewisse Weise Prinzip) … und auf der anderen Seite werden Verbindungen, Glasfaserkabel, Server und Endgeräte gehackt.
Es ist eine Pattsituation, denn mit relativ einfachen Mitteln ist es also möglich, Botschaften zumindest so zu verschlüsseln, daß der Inhalt eines Austauschs sich, während aus verschlüsselten Zeichenketten durchaus auf eine Codierung geschlossen werden und der mögliche wörtliche Inhalt gelesen werden kann, doch maximal auf Metaphernkomplexe analysieren läßt, wobei Anspielungen unklar, vor allem aber Sender und Empfänger unter Umständen anonym sind. Und in Anbetracht des gewaltigen und noch immer steigenden Datenaufkommens und der Kapazität selbst kostenintensiver Datenspeicher und hocheffektiver Filtermechanismen kommt hinzu, daß diese nur bedingt aussichtsreichen Möglichkeiten nur auf einen vielleicht nicht immer glücklich gewählten Anteil der Kommunikation in Anwendung gebracht wird; dennoch ist es ein Patt, weil zugleich das Raffinement derer immer größer wird, die trotz der Ambition, ihre Datensuche oder -sucht zu konterkarieren, mit immer effektiveren Heuristiken doch wenigstens Muster erkennen können, Verbindungen strukturell nachweisen, Intentionen in einer paradoxen, weil lieblosen Philologie ausforschen.
Als Resultat fürchten wir kurzum die Allmacht der NSA nicht ganz zu Unrecht, wiewohl Osama Bin Laden durch eine konservativere Methodik, nämlich einen Verräter, gefunden wurde, also trotz höchstem Interesse die moderne Technik wenig fruchtete – während andererseits offenbar auch niemand bei der NSA in Snowden einen whistle blower vermutete, obwohl dieser schon vor seiner Entscheidung, seine Identität der Welt preiszugeben, mit Redaktionen in Verbindung getreten war, was wie gesagt daran liegt, daß die potentiell interessanten[2]Daten eben nicht immer dort sind, wo sie jemand, der das Datenaufkommen kontrollieren wollte, gerne hätte, situiert sind, was mit Strategien, Inhalte den Suchparametern zu entziehen, die auch nicht antizipieren, was gesucht werde (seit Sokrates und Platon ein Dilemma), die NSA vor eine Sisyphusarbeit stellt – oder, weil es ein Patt ist: theoretisch stellen müßte.
Die Frage, die sich angesichts dessen stellt, ist: Wie reagiert man auf das Vorhandensein der NSA, allgemeiner: gleichsam unerwünschter Rezipienten, die es jedenfalls geben kann?
Zum einen ist darauf mit einer schlichten Bewußtwerdung zu reagieren – die Kategorien dessen, was öffentlich, was privat sei, sind vor allem im Internet offenbar nicht wenigen Nutzern unklar. Vieles wird hier preisgegeben, im falschen Glauben, man agiere hier nicht öffentlich, doch man agiert mehrfach publik und sozusagen ungewollt also publizistisch. Freunde auf Facebook sind nicht zwingend Freunde; Daten werden weitergetragen; sie werden von denen, die Netzwerke und Instrumente gratis bereitstellen, genutzt (weil nur, wer zahlt, zumindest potentiell Kunde ist[3]); und ebenso von jenen, die durch Gesetzeslage oder Nutzung anderer Möglichkeiten auf Daten zugreifen können. Damit ist von Mobbing abgesehen der Manipulation des Kunden, der man in anderen Kontexten ist, Tür und Tor geöffnet, damit ist aber auch klar, daß Intimes nicht intim bleibt. Konsequenzen, die man ziehen könnte, sind die Nutzung des deep internet (eben TOR), die Wahl anderer Kommunikationskanäle, Verschlüsselungen (die allerdings wie das Herunterladen eines TOR-Browsers unter Umständen Interesse wecken könnten), … am Ende ist dieses Kommunizieren eine Wette gegen die Lauschenden, wie freilich Existenz immer eine Wette beinhaltet.
Zweitens wäre der öffentliche Raum wieder von der Öffentlichkeit zu reklamieren und zu okkupieren – anscheinend ist ja nur ein Teil des Problems, daß, was privat gesagt wird, öffentlich wird, hingegen ist die neuerliche Privatisierung dieser Daten, wobei privatus (lat. Raub) ganz wörtlich genommen werden darf, ganz sicher ein nicht zu leugnendes Problem. Das betrifft auch die Privatisierung der Datenflüsse, die je nach Bezahlung limitiert werden, ein Schlag gegen die Infrastruktur aller, der in vielen Hinsichten schädlich ist und als Teil eines Neofeudalismus aufgefaßt werden darf, was zum dritten Punkt führt.
Schließlich nämlich wäre aber auch dies möglich und zuletzt vielleicht vonnöten: vom Untertanentum abzukommen, stringent seine Gedanken publik zu machen, nicht dergestalt, krude Privatmythologien oder Gedankengut, das weder mit Gedanken noch Güte gesegnet ist, zu verbreiten, sondern in der Weise, daß man offensiv Überlegungen nicht in einem geneigten Kreis vorträgt, sondern publik, daß man sozusagen der Gelehrtenrepublik als radikaldemokratischem think tank Vorschub leistet, derer unsere Gesellschaft stets auch bedarf. Man muß das Öffentliche reklamieren und dann auch nutzen: Diese Publizität bedeutet Einflußnahme auf das Gespräch, was sei und sein solle, mit Jelinek die Aktualisierung jenes „Prinzip(s) der Rede und des Dagegenredens, woraus ein Drittes entsteht, also die Einrichtung der Wahrheit in der Wirklichkeit”[4].
Wir reden von Privatem in der Öffentlichkeit, doch, und das mag schlimmer sein, zugleich von Öffentlichem ängstlich im Privaten, dabei etwas zulassend oder sogar fördernd, wovon ein Symptom sein mag, was Snowden – in mancher Hinsicht für viel zu kurze Zeit: „Tatsächlich sind wir bei Prism und Tempora momentan auf einem Niveau der öffentlichen Wahrnehmung, das knapp über dem Streit zu Google Street View liegt.”[5]– aufdeckte, aber auch und vor allem ins Gedächtnis rief.
[1]… falls es einer – nur einer – ist, cf. auch http://www.fixpoetry.com/feuilleton/interviews_essays/2220.html…
[2]Interesse nämlich ist subjektiv, wie schon die Romantiker in die Begriffsgeschichte des Wortes schrieben, so Schlegel, der erklärte, „warum es kein höchstes Interessantes gibt.” (KFSA, 1. Abt. Bd. 1, S. 253)
[3]Bekannt ist diese Karikatur: http://blog.laukien.com/wp-content/uploads/2011/09/Facebook-Youre-the-product.jpeg…
[4]Elfriede Jelinek: »Moment! Aufnahme!« 5.10.99. In: Der Falter 42/99, S.66-67, S.66.