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Interview
Ein gemeinsamer Körper, der in zwei Hälften zerfiel – Liebesgedichte von Michael Basse
Einige Texte in skype connected würden wohl separat nicht als Liebesgedichte durchgehen, geben aber dieser Sammlung als „Liebesbrevier“ gerade ihre spezielle Färbung. Die Gedichte spielen mit ihren klassischen Sujets, den Engeln, den Göttinnen und Göttern und geben diesem Brevier – einem (Stunden-) Gebetsbuch katholischer Geistlicher – eine pikante, an Foucault geschulte blasphemische Note. Basses Liebesgedichte verharren in ihren Bildwelten nicht im hochspeziellen weil authentischen Miteinander zweier Liebender, sondern treffen stets einen Ton der Allgemeingültigkeit. Obwohl sie keine Idylle lobsingen, zeigen sie dennoch ihre Sehnsüchte. Wer meint, Liebe sei etwas zwischen zwei Herzen und ginge allenfalls durch den Magen, der kann studieren, wie sehr Liebe hier auch durch den Geist geht.
Hier lieben sich zwei: Wenn Liebe überhaupt evident sein kann, dann in Basses skype connected. Liebe, das unbekannte Etwas, das ganz ätherisch auch zwischen den Zeilen schwebt. Zuletzt werden die ineinander Verliebten selbst ätherisch: „in hundert jahren werden wir schweben / schwereloser sternenstaub / tanzende eiskristalle / keiner ist vor uns sicher“.
„Dumm über Körperexzesse zu schreiben“
A. S.: In Deinen vorherigen vier Gedichtbänden hast Du Dich als eindeutig politischer Lyriker zu erkennen gegeben, in dessen Gedichten eigentlich kaum Privates verhandelt wird. Stattdessen werden die Zeitläufte reflektiert – mal wütend, mal sarkastisch, hin und wieder auch elegisch – aber jedenfalls immer politisch. Und nun im fünften Band plötzlich Liebesgedichte? Weshalb dieser Kurswechsel?
Die Frage liegt natürlich auf der Hand. Ich weiß aber nicht, ob man von einem Kurswechsel sprechen kann. Entscheidend ist da ja die Haltung und die hat sich bei mir glaube ich nicht geändert. Die einfachste Antwort wäre wahrscheinlich, dass ich durch diese anderen Gedichtbücher hindurch gegangen sein musste, bevor ich über die Liebe schreiben konnte. Einfach, weil es das älteste und zugleich schwierigste Thema der Poesie überhaupt ist. Und da habe ich eben mit den einfacheren Fragen angefangen. Ich könnte auch sagen: wenn man 23 Jahre lang mit demselben Menschen glücklich unverheiratet zusammenlebt, dann hat sich so ein Erfahrungsfundus angesammelt, dass sich manche Gedichte wie von selbst schreiben. Aber den Kern der Sache hat vielleicht doch ein älterer Kollege getroffen, der mir nach der Lektüre von skype connected signalisierte, ich solle mir mal keine Sorgen machen, auch meine früheren Gedichte seien im Grunde schon alles Liebesgedichte gewesen. Da hat er das dialektische Paar schön eingepasst: Denn auch politische Lyrik ‚singt‘ und ist von einer bestimmten Haltung dem Leben gegenüber geprägt. Aus Hass oder Zynismus entstehen nun mal keine Gedichte. Umgekehrt gilt: auch meine Liebesgedichte verstehen sich als politische Gedichte. Allerdings würde ich eine Trennung zwischen privat und politisch machen. Ob jemand Sommersprossen oder einen Leberfleck hat, ist privat und daher zufällig und beliebig. Wie man hingegen sein Verhältnis zum anderen Geschlecht definiert, das geht andere durchaus etwas an und ist hochpolitisch.
A. S.: Du hast Deinem Band zwei Mottos vorangestellt, eines von Pound aus den Cantos, das eher aufs Geistige zielt - „Wo Liebe ist, ist auch ein Aug“, also Wahrnehmungskraft, zum anderen eines von Neruda, wo es eher um das Animalische, also die körperliche Liebe geht. Ist damit das Spektrum der Spielarten der Liebe in diesem Band umrissen?
Sicher gibt es viel mehr, ja unendlich viele Spielarten der Liebe. Aber man sucht sich solche Stichwortgeber für Mottos ja bewusst aus. Beide haben nicht nur wunderbare Liebesgedichte geschrieben. Beide stehen, jeder auf seine Weise, für eine reife und nicht ichbezogene schwärmerische Liebesdichtung. Vor allem aber: beide verstanden sich als dezidiert politische Dichter und sahen darin keinen Widerspruch zur Liebesdichtung, die sich speziell in Deutschland bis heute schwer tut, das Persönliche und das Politische zusammenzudenken. Der Clou lag für mich aber darin, dass Pound zumindest streckenweise Faschist war, Neruda dagegen überzeugter Kommunist, was aber keine Rolle spielte, wenn Sie leidenschaftliche Liebeslyrik schrieben. Da sind sie einfach nur Dichter, die sich in einen zweieinhalbtausend Jahre alten Liebesdialog einloggen, etwas weiterschreiben und etwas Neues hinzufügen, was so noch nicht gesagt wurde …
A. S.: … also gilt auch für Liebeslyrik das Überbietungsgebot der Avantgarde – immer höher, schneller, weiter, in jedem Fall aber neu und anders?
Jetzt hab ich mir selbst wohl ein Bein gestellt. Denn ich weiß natürlich nicht, ob ich etwas Neues zu sagen habe, oder nur Bekanntes auf eine vielleicht nur geringfügig andere, neue Weise. Aber der Titel des Bandes wurde von mir ja bewusst gewählt. Er verweist auf eine technische Kommunikationsform, die es früher so nicht gab. Skype – jetzt mal rein poetisch verstanden als Metonymie, in der sich die Verkehrsform globaler digitaler Kommunikation zum Ortstarif spiegelt – Skype wäre dann das, was ich als User sagen wir rein formal zum großen überzeitlichen Liebesdialog hinzuzufügen hätte. Gleichzeitig verändert jede neue ‚Verkehrsform‘ natürlich auch den Inhalt. Liebende verkehren in digitalen Zeiten anders als zu Zeiten, als man noch Telegramme verschickte. Egal, wo sich zwei Menschen heute aufhalten: sie können sich zu jeder Tages- und Nachtzeit über nahezu alles informieren und also auch über alles reden. Einerseits bläht das die Möglichkeiten der Kommunikation ungeheuer auf, andererseits zwingt es sie auf ganz neue Art aufs Wesentliche.
Hier lieben sich zwei: Wenn Liebe überhaupt evident sein kann, dann in Basses skype connected. Liebe, das unbekannte Etwas, das ganz ätherisch auch zwischen den Zeilen schwebt. Zuletzt werden die ineinander Verliebten selbst ätherisch: „in hundert jahren werden wir schweben / schwereloser sternenstaub / tanzende eiskristalle / keiner ist vor uns sicher“.
„Dumm über Körperexzesse zu schreiben“
A. S.: In Deinen vorherigen vier Gedichtbänden hast Du Dich als eindeutig politischer Lyriker zu erkennen gegeben, in dessen Gedichten eigentlich kaum Privates verhandelt wird. Stattdessen werden die Zeitläufte reflektiert – mal wütend, mal sarkastisch, hin und wieder auch elegisch – aber jedenfalls immer politisch. Und nun im fünften Band plötzlich Liebesgedichte? Weshalb dieser Kurswechsel?
Die Frage liegt natürlich auf der Hand. Ich weiß aber nicht, ob man von einem Kurswechsel sprechen kann. Entscheidend ist da ja die Haltung und die hat sich bei mir glaube ich nicht geändert. Die einfachste Antwort wäre wahrscheinlich, dass ich durch diese anderen Gedichtbücher hindurch gegangen sein musste, bevor ich über die Liebe schreiben konnte. Einfach, weil es das älteste und zugleich schwierigste Thema der Poesie überhaupt ist. Und da habe ich eben mit den einfacheren Fragen angefangen. Ich könnte auch sagen: wenn man 23 Jahre lang mit demselben Menschen glücklich unverheiratet zusammenlebt, dann hat sich so ein Erfahrungsfundus angesammelt, dass sich manche Gedichte wie von selbst schreiben. Aber den Kern der Sache hat vielleicht doch ein älterer Kollege getroffen, der mir nach der Lektüre von skype connected signalisierte, ich solle mir mal keine Sorgen machen, auch meine früheren Gedichte seien im Grunde schon alles Liebesgedichte gewesen. Da hat er das dialektische Paar schön eingepasst: Denn auch politische Lyrik ‚singt‘ und ist von einer bestimmten Haltung dem Leben gegenüber geprägt. Aus Hass oder Zynismus entstehen nun mal keine Gedichte. Umgekehrt gilt: auch meine Liebesgedichte verstehen sich als politische Gedichte. Allerdings würde ich eine Trennung zwischen privat und politisch machen. Ob jemand Sommersprossen oder einen Leberfleck hat, ist privat und daher zufällig und beliebig. Wie man hingegen sein Verhältnis zum anderen Geschlecht definiert, das geht andere durchaus etwas an und ist hochpolitisch.
A. S.: Du hast Deinem Band zwei Mottos vorangestellt, eines von Pound aus den Cantos, das eher aufs Geistige zielt - „Wo Liebe ist, ist auch ein Aug“, also Wahrnehmungskraft, zum anderen eines von Neruda, wo es eher um das Animalische, also die körperliche Liebe geht. Ist damit das Spektrum der Spielarten der Liebe in diesem Band umrissen?
Sicher gibt es viel mehr, ja unendlich viele Spielarten der Liebe. Aber man sucht sich solche Stichwortgeber für Mottos ja bewusst aus. Beide haben nicht nur wunderbare Liebesgedichte geschrieben. Beide stehen, jeder auf seine Weise, für eine reife und nicht ichbezogene schwärmerische Liebesdichtung. Vor allem aber: beide verstanden sich als dezidiert politische Dichter und sahen darin keinen Widerspruch zur Liebesdichtung, die sich speziell in Deutschland bis heute schwer tut, das Persönliche und das Politische zusammenzudenken. Der Clou lag für mich aber darin, dass Pound zumindest streckenweise Faschist war, Neruda dagegen überzeugter Kommunist, was aber keine Rolle spielte, wenn Sie leidenschaftliche Liebeslyrik schrieben. Da sind sie einfach nur Dichter, die sich in einen zweieinhalbtausend Jahre alten Liebesdialog einloggen, etwas weiterschreiben und etwas Neues hinzufügen, was so noch nicht gesagt wurde …
A. S.: … also gilt auch für Liebeslyrik das Überbietungsgebot der Avantgarde – immer höher, schneller, weiter, in jedem Fall aber neu und anders?
Jetzt hab ich mir selbst wohl ein Bein gestellt. Denn ich weiß natürlich nicht, ob ich etwas Neues zu sagen habe, oder nur Bekanntes auf eine vielleicht nur geringfügig andere, neue Weise. Aber der Titel des Bandes wurde von mir ja bewusst gewählt. Er verweist auf eine technische Kommunikationsform, die es früher so nicht gab. Skype – jetzt mal rein poetisch verstanden als Metonymie, in der sich die Verkehrsform globaler digitaler Kommunikation zum Ortstarif spiegelt – Skype wäre dann das, was ich als User sagen wir rein formal zum großen überzeitlichen Liebesdialog hinzuzufügen hätte. Gleichzeitig verändert jede neue ‚Verkehrsform‘ natürlich auch den Inhalt. Liebende verkehren in digitalen Zeiten anders als zu Zeiten, als man noch Telegramme verschickte. Egal, wo sich zwei Menschen heute aufhalten: sie können sich zu jeder Tages- und Nachtzeit über nahezu alles informieren und also auch über alles reden. Einerseits bläht das die Möglichkeiten der Kommunikation ungeheuer auf, andererseits zwingt es sie auf ganz neue Art aufs Wesentliche.