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Prosa
Ankunft in Marokko - eine autobiographische Skizze
Mit dem Gepäck auf dem Rücken zogen wir weiter, nicht ohne den Blick von den bunten Läden rechts uns links unseres Weges zu lassen und die Einladungen, die allerorts erfolgten, leise abzuwehren. Wir suchten eine Unterkunft. In einer Seitenstraße entdeckte Birgit das „Hotel des Amis“. Dort traten wir ein. Hinter der bescheidenden Tür mit der winzigen Leuchtreklame erwarteten uns drei großzügige Innenhöfe, deren Wandläufe allesamt mit feingliedrigen Fayencen verkleidet waren. Das Hotel hatte schon bessere Tage gesehen, aber es ließ noch etwas erahnen von der Würde seiner besten Zeiten. Wir mieteten ein Zimmer, indem wir - was wir damals noch nicht wissen konnten – über viele Jahre lernten, was als Unterkunft für den Reisenden reichen kann: ein großes, geräumiges Bett aus Eisenrohr, ein etwas klappriger Tisch, zwei Stühle, eine Garderobe. Nachdem wir uns frischgemacht hatten, traten wir wieder auf die Straße: Tatsächlich waren wir mitten in der Medina von Essaouira gelandet. Keine fünfzig Meter entfernt von unserem Hotel stand ein kleiner Torbogen, worin, auf bescheidenem Raum, rechts und links zwei kleine Läden Platz gefunden hatten. Aus dem rechten Laden hörten wir die Saiten einer Oud, ein andrer ließ dazu die Klänge einer Handtrommel vernehmen, und unwillkürlich fiel unser Blick in diesen Raum: Rechts auf der Bank saß ein alter Herr im Burnus; die kleinen, grauen Locken fielen in sein feines, von langer Lebenszeit gefurchtes Gesicht, als er uns mit einem sehr dezenten Kopfnicken begrüßte. Von hinten kam ein jüngerer Mann auf uns zu, reichte uns die Hand, ließ dabei ein offenes „Entrez“ verlauten, um gleich darauf die Unterhaltung in Deutsch fortzusetzen. Jahre später hat A. mir erzählt, dass er die Touristen an ihren Schuhen erkennt – mit einer Trefferquote von neunzig Prozent. Wir blieben den ganzen Nachmittag in diesem Laden. Heute, 28 Jahre später, ist A. einer unserer nahestehendsten Freunde. Er nennt uns „Schwester“ und „Bruder“, und er meint dies wohl ziemlich genau in dem Sinne, der Gotthold Ephraim Lessing vorgeschwebt haben mag, als er seinen „Nathan“ schrieb. Dabei hat A. den „Nathan“ niemals gelesen und wird es wohl auch in Zukunft nicht tun.
Es gibt wahrscheinlich unendlich viele Arten des Reisens, und doch lassen sich vielleicht alle diese Arten des Reisens mit zwei Grundhaltungen in Verbindung bringen. Die erste Grundhaltung ist die des Wissenden: Er ist leidlich gut informiert, bevor er sich auf den Weg macht, hat aber vor allen Dingen recht genaue Vorstellungen von dem, was ihn erwartet. Er glaubt, die Kultur, in die er eindringt, zu kennen, weil er ein paar Reiseführer gelesen hat und dies ja auch nicht die erste Reise ist, die er macht. Er kann die Dinge einordnen. Er weiß, was ihm blüht, jedenfalls so ungefähr. – Die zweite Grundhaltung ist anders, es ist die des Nichtwissenden. Nicht, dass dieser gänzlich uninformiert wäre, bevor er reist – das ist keineswegs der Fall. Aber er weiß, dass alles Reiseführerwissen und alle Bücherkenntnis nichtig sind gegenüber der wirklichen Erfahrung. Die Haltung des Nichtwissenden erfordert Offenheit, Interesse am Fremden – vor allen Dingen aber Respekt und Wertschätzung gegenüber der Kultur, die er besucht. Ein dergestalt Reisender wird auch niemals vergessen, dass er ein Gast ist in der fremden Kultur. Das verpflichtet. Während der erste Reisende vermutlich früher oder später einschneidende Enttäuschungen erleben wird, kann der zweite Reisende durch seine andere Grundhaltung sein Leben unendlich bereichen. Nicht, dass ihm dadurch zwangsläufig jede Enttäuschung erspart bliebe, aber das Glück eines solchen Reisens ist doch unermesslich groß. Ich weiß nicht, welchem Umstand wir es zu verdanken haben, dass es uns vergönnt ist, zu dieser zweiten Art der Reisenden zu gehören und dieses Glück genießen zu dürfen...
Es gibt wahrscheinlich unendlich viele Arten des Reisens, und doch lassen sich vielleicht alle diese Arten des Reisens mit zwei Grundhaltungen in Verbindung bringen. Die erste Grundhaltung ist die des Wissenden: Er ist leidlich gut informiert, bevor er sich auf den Weg macht, hat aber vor allen Dingen recht genaue Vorstellungen von dem, was ihn erwartet. Er glaubt, die Kultur, in die er eindringt, zu kennen, weil er ein paar Reiseführer gelesen hat und dies ja auch nicht die erste Reise ist, die er macht. Er kann die Dinge einordnen. Er weiß, was ihm blüht, jedenfalls so ungefähr. – Die zweite Grundhaltung ist anders, es ist die des Nichtwissenden. Nicht, dass dieser gänzlich uninformiert wäre, bevor er reist – das ist keineswegs der Fall. Aber er weiß, dass alles Reiseführerwissen und alle Bücherkenntnis nichtig sind gegenüber der wirklichen Erfahrung. Die Haltung des Nichtwissenden erfordert Offenheit, Interesse am Fremden – vor allen Dingen aber Respekt und Wertschätzung gegenüber der Kultur, die er besucht. Ein dergestalt Reisender wird auch niemals vergessen, dass er ein Gast ist in der fremden Kultur. Das verpflichtet. Während der erste Reisende vermutlich früher oder später einschneidende Enttäuschungen erleben wird, kann der zweite Reisende durch seine andere Grundhaltung sein Leben unendlich bereichen. Nicht, dass ihm dadurch zwangsläufig jede Enttäuschung erspart bliebe, aber das Glück eines solchen Reisens ist doch unermesslich groß. Ich weiß nicht, welchem Umstand wir es zu verdanken haben, dass es uns vergönnt ist, zu dieser zweiten Art der Reisenden zu gehören und dieses Glück genießen zu dürfen...
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