"eingekreist" - Kolumne Juni 2010 - Und führe mich nicht in Versuchung

Kolumne

Autor:
Christian Kreis
 

Kolumne

Und führe mich nicht in Versuchung

mich über die katholische Kirche lustig zu machen, wenn alle es tun. Doch mein Geist ist schwach!

Neulich sprach ich zu meiner Freundin, die katholisch ist, ob sie mich nicht mal wieder mißbrauchen und ihre schmutzigen Phantasien an mir ausleben möchte. Sie hat gelacht und mich auf später vertröstet. Katholikin eben. Auch wenn das hiesige Leben ein bißchen eintönig (und sinnlos sowieso) ist, später bzw. drüben soll es richtig abgehen. Daher ihre positive Grundstimmung. Ihre professionellen Glaubensbrüder sind zum Glück weniger zurückhaltend. Der Beichtstuhl ist bekanntlich der Darkroom
der katholischen Kirche. Das hat sich rumgesprochen. Seitdem nimmt das Bedürfnis zu beichten unter Masochisten zu.
Für den Hausgebrauch bieten Erotikfachmärkte in der Abteilung „Größere Spielzeuge“, neben Andreaskreuzen und Sexschaukeln, jetzt auch Beichtstühle an. Der Markt sei da, meinte der Verkäufer, als ich mich danach erkundigte. Die Fetischszene habe neben dem gynäkologischen Stuhl den Beichtstuhl für sich entdeckt und experimentiere freudig damit herum. Für das Luxussegment sei obendrein ein Heiliger Stuhl geplant. Mit Sitzvibrator und allem pi pa Po.

Meine Freundin habe bald runden Geburtstag, meinte ich. Da würde ich gern etwas besonderes ... Kein Problem, meinte er, und gab mir den Katalog der anstehenden Herbstmesse. Schauen Sie sich alles in Ruhe an, wir nehmen auch Vorbestellungen entgegen.
Die Preise haben es in sich. Für einen Heiligen Stuhl in der Grundausstattung muß man fünftausend Euro hinblättern. Mit den ganzen Extras schnell das doppelte. Die Grundausstattung bietet nicht viel mehr, als daß man drauf sitzen kann. Im Alltag läßt er sich als repräsentativen Fernsehsessel benutzen. Unsere Wohnung ist nicht sehr groß, die Sachen müssen multifunktional sein. Beim Blättern entdeckte ich einen schönen Hirtenstab, mit Vibrationsfunktion, für nur hundert Euro. Die edlere Variante ist der Kardinalrektalstab. Ab fünfhundert Euro aufwärts.
Ich entschied mich für die urchristliche, einfache Variante eines Hirtenstabs. Im Katalog waren gleich neben dem Hirtenstab Schafattrappen abgebildet. Mit echtem Schafsfell und auswaschbaren Körperöffnungen. Die Kollektion „Der gute Hirte“, bestehend aus Hirtenstab, schwarzem Latexumhang und Schaf, ist für tausend Euro zu haben. Gerade in Großstädten, meinte der Verkäufer, wo man sich vom ländlichen Leben entfremdet habe, werde das Schaf gut angenommen. Er ging hinter ins Lager und holte ein Exemplar nach vorn. Ich streichelte es. Man kann sagen, was man will, das Fell ist sehr angenehm. Es wärmt auch gut. Ich war mir aber nicht sicher, ob meine Freundin das Schaf akzeptieren würde. Tja, meinte der Verkäufer, das sei bedauerlich, daß es da immer noch Vorbehalte gebe.

Ich bin ein Freund von Körperbehaarung. Daher auch meine Liebe zum Tier. Den Schafkaufimpuls zu unterdrücken, hat mich jedenfalls einige Anstrengung gekostet. Oft besuche ich im Zoo das Streichelgehege. Nur die Kinder stören ein bißchen. Sie holen sich Kleingeld vom Papa, um an dem Futterspender Pellets für die kleinen Ziegen zu holen. Die großen Ziegen sind natürlich nicht blöd. Sie stehen schon direkt neben dem Futterspender und wenn die Pellets in die Patschehändchen der Kinder kullern, werden sie aggressiv, bedrängen mit ihren Hörnern die Kinder. Die fangen an zu weinen und dann fallen ihnen alle Pellets runter, die von den großen Ziegen, wie gewohnt, sofort verspeist werden. Deshalb stecke ich mir vorher immer ein paar Kekse in die Tasche. Und wenn das Drama am Futterspender beginnt, locke ich die kleinen Ziegen mit den Keksen zu mir.

Heutzutage gibt es einen schichten- und geschlechtsübergreifenden Ganzkörperrasierzwang. Möglicherweise werden auch deshalb immer häufiger Felle in den Erotikfachmärkten angeboten. Vergeblich habe ich meine Freundin zu überreden versucht, mal nicht ihre Beine zu rasieren. Und dann wundert sie sich, daß ich häufiger unseren Hund als sie streichele. Im Grunde verbringe ich auch viel mehr Lebenszeit mit dem Hund als mit ihr. Morgens geht sie aus dem Haus und zur Arbeit, um Geld zu verdienen, während ich aus dem Haus gehe, um mit dem Hund Gassi zu gehen. Nach dem Gassigehen lege ich mich wieder ins Bett und der Hund dazu. Es ist eine völlig harmlose und rührende Liebe zwischen uns beiden. Ich kraule ihn noch ein bißchen, bevor wir beide, Fell an Fell, unser Vormittagsschläfchen halten. Ich bin fast so behaart wie der Hund, aber mindestens so wie Esau. Von der Brust über den Rücken bis in die Arschritze hinein oder aus der Arschritze heraus. Unter meinem schwarzen Pelz schimmert weißlich meine Haut hervor. Nach dem Schlaf gibt es für uns beide einen Imbiß. Ich öffne ihm eine Büchse mit leckerem Wildragout. Das riecht schon gleich gut, nachdem ich mit dem Büchsenöffner den Deckel durchstochen habe. Dann koste ich immer einen Brocken und muß mich sehr zurückhalten, nicht die ganze Büchse leerzulöffeln. Der arme Hund, denke ich. Mit seinen treuen Augen schaut er zu mir herauf wie ein Lamm. Geduldig wartet er, bis er aus meiner Hand seine Speisung erfährt. Bin ich für ihn Priester, Papst, Gott in einem? Ich reiche ihm den Vitaminkringel wie eine Hundehostie herab, aus meiner Hand in seinen Hundemund. Möglicherweise ist es genau dieses angenehm hündische Gefühl der Umsorgtheit und Gnade, das man beim Abendmahl sucht und verspürt. Der Hund weiß, aus meiner Hand empfängt er all sein Glück und Segen. Nachdem wir uns gestärkt haben, gehen wir wieder hinaus an die frische Luft.   

Christian Kreis für Fixpoetry Juni 2010