Prosa
Bob Dylan auf dem Eigelstein
„Haie und kleine Fische“ – eine der täglichen Pflichten des Journalisten, sie aufzuspüren. joa (Autorenkürzel) war damals, Anfang/Mitte der 1980-er Jahre, ausschließlich als Journalist aktiv. Genauer: festangestellter Redakteur der „Kölnischen Rundschau“. Neben dem Schaffen in der Bezirksredaktion gehörte es zu joa’s bevorzugten Tätigkeiten, Features über aufstrebende Musiker aus der sich immer breiter machenden Kölsch-Rock-Szene zu verfassen, egal, ob sie Jürgen Zeltinger oder Marcus Neu, Wolfgang Niedecken oder Arno Steffen hießen. „Avrocke“ war angesagt.
Die mit VON JOCHEN ARLT sowie joa gekennzeichneten Portraits wie Interviews brachten dem Leser Aura und Persönlichkeit ausnahmslos eingeborener Rock-Heroen näher. Das Geweih des Heimathirsches nahm Form an, will heißen verästelte sich nur höchst selten in einem Revier von Show-Biz-Platzhirschen der restlichen Welt.
Gastierten die „Rolling Stones“ in der Sporthalle, ganz klar, war der gleichzeitig im „Blackbird“ stattfindende Gig von Jumpy Zerletts „Feel“ erste Pflicht. Machte David Bowie in Deutz Station, wurde spätestens nach dem fünften Song ins „Basement“ gedüst, um noch bei Alfred Schellers „Jennifer“ dabei zu sein. Denn der Blues-Crack aus Nippes brachte mit Nobby Sugar und Co. sicher die neue Mitgrölhymne „Marmor, Stein und Eisen bricht“ als Zugabe.
Eines späten Nachmittags freilich, völlig unverhofft, schwamm dem Heimatbock ein ganz dicker Fisch vors Gehörn: kein Geringerer als Bob Dylan höchstpersönlich. Schade, respektive ärgerlich – vor allem die Begleitumstände.
Doch der Reihe nach: joa, verschworener Dylanologe seit Mitte der 1960-er Jahre, sah sich dem Idol aus Jugendtagen am Freitag, 15. Juni 1984, gegen 18 Uhr, auf dem Eigelstein Auge in Auge gegenüber. Mr. Tambourine Man war auf Schusters Rappen und mit zwei ihn flankierenden Leibwächtern unterwegs. Gar keine Frage, dass der Heimatchronist den greifbar lebenden Mythos freiheraus ansprach.
Mehr als zu einem verbindlichen „Sorry, Mister Dylan . . .“ jedoch kam joa nicht. Denn einer der Bodyguards schob den Bezirksredakteur weniger freundlich, dafür umso bestimmter zur Seite. „Don’t make him angry“, so die schneidige Begründung des Hai-ähnlichen Kraftmenschen. Indes vergaß der resolute Beschützer des epochalen Singers/Songwriters nicht, sich nach der Adresse „from a good fishrestaurant“ zu erkundigen.
joa, stets gebührende drei Meter etwa hinter dem richtungweisenden Rockpoeten mittlerweile in der Stolkgasse – vor dem Rundschau-Haus – unterwegs, wusste nicht nur Rat, witterte vielmehr die historische Chance eines gemeinsamen Mahls einschließlich Exklusiv-Story vor dem am Samstag im Müngersdorfer Stadion steigenden Open Air mit Joan Baez und Santana. Doch die un-/eigennützige Hilfsbereitschaft dankte ihm das US-Trio in ruppiger Wild-West-Manier. Gleich nachdem joa Ort und Straße eines Steakhauses („Well, we will go to the old town, near the Rhine, and look for fish“) gesteckt hatte, herrschte ihn der andere His-Bobness-Aufpasser an: „Away, son of a bitch! Away!!“
Grund der Überreaktion kann, logisch, kaum die Steak-Finte gewesen sein. Vielmehr hatte joa erneut versucht, mit Maestro Robert Zimmerman himself ins Gespräch zu kommen. Ein strammer wie gezielter Fausthieb auf den Brustkorb des total perplexen Journalisten war schließlich vor dem Hauptpost-Portal das Finale dieser Begegnung der dritten Art. Well, it’s all over now, baby blue.
Fazit: Vermutlich gewohnte Turbulenzen des Weltruhms. Denn Bob Dylan, mit pubertär behaarter Teetassengesichtshaut und Hobo-Strohhütchen, hüllte sich während des rund zwanzigminütigen Spaziergangs in abgeklärtes Schweigen. Sein Blick verharrte starr in Richtung Domtürme oder im Nirwana des Bürgersteigasphalts. Null Beachtung oder gar Mitgefühl schenkte der legendenumrankte Jokerman dem Zeitungshai.
Selbiger blieb anschließend übrigens wieder artig bei den „kleinen Fischen“ der wohlbestellten regionalen Gewässer. Bis heute eigentlich. joa wartet zwar nach wie vor ähnlich ungeduldig auf jeden neuen Tonträger Santa Bob’s wie seine Kinder auf Hans Muff in Begleitung des Osterhasen. Doch als inzwischen freischaffender Autor wechselte er längst schon vom Musik- zum Literaturrevier über und weiß dort rheinische Heimathirsche wie kaum jemand anderer zu schätzen.
Sollte joa beispielsweise übermorgen dem wiederbelebten William Shakespeare im Café Reichard gegenübersitzen – er wird vermutlich die Sahne von seiner Schokolade schlürfen und gelassen in Walter Wittkämpers „Kleine Kölsche Anthologie II“ weiterschmökern. Einer der großen Dylan-Klassiker, nach wie vor aber die reine Wahrheit für Haie als auch kleine Fische: The Times They are A-Changin’.